Balkonsprung von Prostituierter als Arbeitsunfall?

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Um vor ihrem Freier zu fliehen, sprang eine Prostituierte von einem Balkon im zweiten Stock eines Hauses. Das Sozialgericht Hamburg musste nun entscheiden, ob dies als Arbeitsunfall zu werten ist.

Die Klägerin kommt aus dem europäischen Ausland und hat dort ein Studium zur Bahn- und Verkehrsingenieurin abgeschlossen. Sie kam 2012 mit einem Touristenvisum nach Deutschland. Um ihr Einkommen auszubessern, wollte sie Sex-Dienstleistungen anbieten. Den Job als Prostituierte fand sie über eine Annonce im Internet. Der Anbieter versprach ihr die Hälfte des Geldes, das die Freier zahlten. Dafür wurde die Frau in einer Modellwohnung untergebracht. In dieser sollte sie auch ihre Kunden empfangen. Im Gegenzug sollte die Frau 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen und Aufträge über ein Arbeitshandy entgegennehmen, das ihr ebenfalls zur Verfügung gestellt wurde. Der Mann wollte zudem für Kost und Logis, Arbeitskleidung, die nötigen Papiere und Flugtickets aufkommen.

Prostituierte als selbstständige Unternehmerin?

Nach Aussagen der Klägerin soll der Zuhälter sie in der Wohnung allerdings mehrfach vergewaltigt haben. Weil der Mann sie dort einsperrte, versuchte die Frau schließlich zu fliehen. Sie habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als vom Balkon der Wohnung im zweiten Stock zu springen. Zuvor hatte sie versucht, mit Hilfe zusammengeknoteter Bettlaken vom Balkon zu klettern. Bei dem Sprung zog sie sich mehrere Knochenbrüche zu. Die Arztkosten wollte sie sodann als Arbeitsunfall vor der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft geltend machen.

Diese lehnte ihr Anliegen jedoch ab. Nach Ansicht der Genossenschaft sei die Frau selbstständig gewesen. Begründet wurde dies damit, dass es keinen schriftlichen Arbeitsvertrag zwischen ihr und dem Zuhälter gegeben hätte. Außerdem sei die Frau nicht in einen Betrieb eingegliedert gewesen. Wegen des Fehlens eines Beschäftigungsverhältnisses stünde sie nicht unter dem Schutz der Unfallversicherung. Vielmehr sei sie als Prostituierte „selbstständige Unternehmerin“.

Das Sozialgericht Hamburg musste sich nun mit der Frage beschäftigen, ob die Frau einer selbstständigen Arbeit nachging oder ob es sich bei der Vereinbarung mit dem Zuhälter um einen Arbeitsvertrag gehandelt hat. In letzterem Fall könnte die Verletzung als Arbeitsunfall entschädigt werden.

Eingliederung in fremde Arbeitsorganisation

Letztendlich gab das Gericht der Prostituierten Recht. Der Balkonsprung sei als Arbeitsunfall zu werten. Für den Versicherungsschutz sei insbesondere kein schriftlich fixierter Arbeitsvertrag nötig. Es komme vielmehr „auf den Augenblick der Aufnahme der Tätigkeit und die Herstellung der Verfügungsgewalt des Unternehmers über die Arbeitskraft des Beschäftigten“ an. Der Zuhälter habe über die Arbeitszeit und die Arbeitsbedingungen der Prostituierten bestimmt. Maßgeblich sei das Gesamtbild der Tätigkeit und die „persönliche Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer und Art der Arbeitsausführung“.

Laut Gericht liegt keine selbstständige Beschäftigung vor, sondern ein abhängiges Arbeitsverhältnis. Der Unfall durch den Sprung vom Balkon könne als versicherter Unfall auf dem Arbeitsweg gelten. Die Frau ging nach der Flucht direkt zurück in ihr Heimatland. Daher sei „von einem versicherten Unfall auf dem Weg von der Arbeit zur im Ausland liegenden Familienwohnung auszugehen“. Die Frau ist inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt. Das Urteil ist rechtskräftig.


Urteil: SG Hamburg, Urt. v. 02.06.2016, Az. S 36 U 118/14
Fundstellen: http://www.faz.net/
Fundstelle: http://www.kanzlei-blaufelder.com/

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