Anwalt vertritt jahrelang nicht existentes NSU-Opfer

Der Anwalt Ralph W. nimmt für eine Frau namens Meral Keskin seit mehr als 230 Verhandlungstagen am NSU-Prozess teil. Jetzt kam heraus, dass dieses vermeintliche NSU-Opfer nie existierte. Wie konnte es dazu kommen?

Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) war eine rechte, terroristische Vereinigung in Deutschland. Der NSU wurde um 1999 gegründet. Die Terrorzelle rief zur Ermordung von Mitbürgern ausländischer Herkunft aus rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven auf und bestand bis 2011. Die Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begingen im November 2011 Suizid. Ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe steht seit Mai 2013 in München vor Gericht. Dem Trio werden unter anderem die Morde an neun Migranten und einer Polizistin, zwei Sprengstoffanschläge sowie 15 Raubüberfälle vorgeworfen.

650 Aktenordnern in 56 Kisten

Der NSU-Prozess gilt als einer der größten und kompliziertesten Gerichtsprozesse der jüngsten Zeit. Es gibt 86 Nebenkläger, die von 62 Anwälten vertreten werden. Alleine die Anklageschrift gegen Beate Zschäpe und vier weitere Beteiligte umfasst 480 Seiten. Die Bundesanwaltschaft bewahrt die Ermittlungsergebnisse in 650 Aktenordnern in insgesamt 56 Kisten auf. Zu Beginn des Verfahrens wurden 600 Zeugen benannt. Laut einer Sprecherin des Oberlandesgerichts München kostet ein Verhandlungstag im NSU-Prozess schätzungsweise 150.000 Euro.

Eine Frau namens Meral Keskin soll verletzt worden sein als eine Bombe des NSU im Juni 2014 vor einem Friseurgeschäft in der Kölner Keupstraße explodierte. Insgesamt gab es bei diesem Anschlag 22 Verletzte. Wie jetzt herauskam, war Meral Keskin nicht unter ihnen. Die Frau existiert nach aktuellem Ermittlungsstand überhaupt nicht. Der Eschweiler Anwalt Ralph W. nahm für die Frau, die es nicht gibt, trotzdem an mehr als 230 Verhandlungstagen als Nebenklagevertreter am NSU-Prozess teil. Erst zweieinhalb Jahre nach Prozessbeginn fliegt der Schwindel auf. Nun hat der Anwalt die Rechnung bekommen. Das Oberlandesgericht München fordert 211.252,54 Euro von ihm zurück. Der Anwalt behauptet, er habe nicht gewusst, dass seine Mandantin nicht existiere.

Update: Anwalt freigesprochen!

Bereits seit Oktober 2015 ermittelt die Staatsanwaltschaft Aachen wegen des Verdachts des Betrugs gegen Ralph W. Er soll sich gemeinsam mit dem echten NSU-Opfer Atilla Ö. das falsche Opfer ausgedacht haben. Beide bestritten die Vorwürfe. Inzwischen ist Atilla Ö. verstorben. Der Anwalt behauptet nun, Atilla Ö. habe ihm die Existenz von Meral Keskin vorgegaukelt. Atilla Ö. habe ihm eine Frau als Meral Keskin vorgestellt, die ausschließlich Türkisch sprach. Die Kommunikation sei deswegen vollständig über Atilla Ö. gelaufen. Inzwischen hat auch die Kölner Anwaltskammer berufsrechtliche Schritte gegen den Anwalt eingeleitet.

Im November 2020 sprach das Landgericht Achen den Anwalt von allen Vorwürfen frei. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass dem Mann kein Vorsatz vorzuwerfen sei. Der Opfer-Anwalt habe zwar “so ziemlich alle anwaltsrechtlichen Vorschriften verstoßen”, sich aber nicht strafbar gemacht. Dem Mann sei zum Zeitpunkt der Beiordnung kein Betrugsvorsatz nachzuweisen. Denn: Er hätte mindestens positiv wissen müssen, dass das Attest für Meral Keskin in Wahrheit für eine andere – beim dem Anschlag tatsächlich verletzten Person – ausgestellt worden sei. Das sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Fall gewesen.


Fundstelle: http://www.sueddeutsche.de/
Fundstelle: https://de.wikipedia.org/wiki/NSU-Prozess

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