„Wir haben sie totgemacht“ – Selbstgespräche im Prozess verwertbar?

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Stellen Sie sich vor, Sie sitzen alleine in ihrem Auto und singen Atemlos von Helene Fischer. Wäre es nicht peinlich, dabei von der Polizei abgehört zu werden? Und wäre es nicht noch peinlicher, wenn diese Situation später in einem Strafprozess wiederholt wird? Ganz bestimmt! Aber wie sieht es aus, wenn Sie nicht nur in ihrem Auto sitzen und singen, sondern dabei auch Selbstgespräche führen, in denen Sie einen Mord gestehen?

So geschehen im Jahre 2009. Der BGH musste sich deswegen mit der Frage beschäftigen, ob Selbstgespräche im Auto zum unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gehören und deswegen in einem Prozess nicht verwendet werden dürfen.

Selbstgespäche im Auto

Die Angeklagten S und I sind Geschwister. Der Mitangeklagte W ist der Ehemann von I, deren Ehe trotz Kinderwunsch kinderlos blieb. Alle drei wohnen gemeinsam in einem Haus. Später zog auch L, die philippinische Ehefrau des S mit ein. Im Jahr 2002 bekamen S und L einen Sohn. Während der Angeklagte S sich wenig um sein Kind kümmerte, wurde der Junge von den Angeklagten I und W wie ihr eigenes Kind behandelt, was zu Spannungen zwischen den beiden Ehepaaren führte. Später zog das Ehepaar mit ihrem eigenen Sohn aus und trennte sich.

Der Angeklagte S erhielt vom Familiengericht ein Umgangsrecht zugesprochen. Er befürchtete jedoch, dass seine Ehefrau nach der Scheidung zurück auf die Philippinen ziehen werde, um einen Kontakt mit dem Sohn zu vereiteln. Im Frühjahr 2007 beschlossen die Angeklagten S, I und W deswegen, dass das „Problem“ durch die Tötung von L gelöst werden solle. So geschah es dann auch. Die Leiche der 33-Jährigen Frau wurde bis heute nicht gefunden.

Mord aus niedrigen Beweggründen

Das Landgericht Köln hat dies als Mord aus niedrigen Beweggründen bewertet und die Angeklagten jeweils als Mittäter angesehen und zu langen Haftstrafen verurteilt. Dagegen legten die Angeklagten Revision ein und hatten Erfolg. Die Polizei hatte bei ihren Ermittlungen das Auto des S akustisch überwacht. Dabei wurden dessen Selbstgespräche, als er sich alleine im Auto befand, an mehreren Tagen aufgezeichnet und später in die Hauptverhandlung eingeführt sowie im Urteil des Landgerichts verwertet. S hatte unter anderen zu sich selbst geäußert:

“… die L. ist schon lange tot, die wird auch nicht wieder … kannste natürlich nicht sagen …”

“oho I kill her … oh yes, oh yes … and this is my problem …”

“… ich würde mal sagen, es wird jetzt wohl so sein, dass die Polizei mal auf eure Truppe kommt”

“… langweilig, der das Gehirn rausprügeln … kann ich dir sagen, joh und weg damit … werde auch keine mehr wegknallen … nö I, wir haben sie tot gemacht …”.

Das Landgericht hat darin ein geständnisgleiches Indiz für die Tötung von L durch den Angeklagten S gesehen. Die Bemerkung “WIR haben sie tot gemacht” deute zudem eine Mittäterschaft an. Die Schwurgerichtskammer hatte im Prozess angenommen, die Selbstgespräche seien verwertbar.

Unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung

Der BGH sah das etwas anders. Er urteilte, dass ein nichtöffentlich geführte Selbstgespräch einem selbständigen Beweisverwertungsverbot von Verfassungs wegen unterliege. Der absolut geschützte “Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung” werde aus Art. 2 I GG in Verbindung mit Art. 1 I GG hergeleitet und sei hier verletzt worden. Ob das nichtöffentlich gesprochene Wort zum absolut geschützten Kernbereich oder zu dem nur relativ geschützten Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehöre, sei dabei durch eine Gesamtbewertung aller Umstände im Einzelfall festzustellen. Der Grund für den absoluten Schutz eines Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung bestünde in der Eröffnung einer Möglichkeit für Menschen, sich in einem letzten Rückzugsraum mit dem eigenen Ich befassen zu können, ohne Angst davor haben zu müssen, dass staatliche Stellen dies überwachen.

Auf den Inhalt der Gedankenäußerung und dessen mehr oder weniger großen Sozialbezug komme es bei Selbstgesprächen – anders als bei Tagebüchern oder Zwiegesprächen an einem nichtöffentlichen Orten – nicht entscheidend an. Das Selbstgespräch des S unterliege deswegen einem Beweiserhebungsverbot, das in der Hauptverhandlung zu einem absoluten Beweisverwertungsverbot führe. Ob eine Verurteilung eines Angeklagten oder mehrerer Angeklagten auch ohne die Verwertung der aufgezeichneten Selbstgespräche des Angeklagten S möglich sei, müsse dem neuen Tatrichter vorbehalten bleiben.

Im Jahr 2013 musste das Landgericht Köln deswegen erneut über den Fall entscheiden. Im Wiederaufnahmeverfahren verurteilten die Richter den Ehemann erneut zu einer lebenslänglichen Haft wegen Mordes verurteilt. Seine Schwester und den Schwager hat das Gericht allerdings freigesprochen. Ihren Freispruch hatten die Richter damit begründet, dass das Ehepaar eventuell erst nach der Tat von dem Mord erfahren hatte. Etwas anderes sei nicht mehr zu beweisen.


Urteil: BGH, Urteil vom 22.12.2012, Az. 2 StR 509/10
Fundstelle: https://www.ksta.de/

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