Der Edelmannfall ist einer der Klassiker aus dem Zivilrecht, die jeder angehende Jurist im Rahmen seines Jurastudiums mindestens einmal in einer Vorlesung vorgesetzt bekommt. Der Reichsgerichtshof entschied den Edelmannfall 1927. Akteure des Geschehens sind der adelige Generaldirektor einer Firma Herr von Z. und ein als Betriebsleiter angestellter Mitarbeiter, Herr A. Was war geschehen?
Anfang 1920 wurde der Kläger von der beklagten Gesellschaft als Betriebsleiter angestellt. In einem dreijährigen Dienstvertrag wurde dem Kläger eine Dienstwohnung zugewiesen, welche die Gesellschaft für 120.000 DM käuflich erworben hatte. Der Kläger erhielt hierfür ein Vorkaufsrecht. Herr von Z. hatte A außerdem versprochen, dass das von ihm bis dahin als Dienstwohnung genutzte Hausgrundstück anstelle von zwei nicht in bar auszuzahlenden Weihnachts-Gratifikationen von je 60.000 DM in sein Eigentum übergehen solle. Dieses Versprechen wiederholte der Generaldirektor bei gemeinsamen Autofahrten mehrfach.
Jüdische Gepflogenheiten?
Als A nachfragte, ob man eine solche Übereignung nicht notariell beurkunden müsse, erklärte Herr von Z. entrüstet, bei ihm herrschten keine „jüdischen Gepflogenheiten“. A könne „vollkommen beruhigt“ sein und auf das Übereignungsangebot vertrauen. Schließlich sei er von Adel. Als ihm das Hausgrundstück in der folgenden Zeit nicht übereignet wurde, bat A erneut um die Auflassung des Hausgrundstücks vor dem Notar. Herr von Z. erwiderte daraufhin, dies eile nicht, da es sich um eine „reine Formsache“ handele. Die notarielle Erklärung könne „jederzeit abgegeben werden“. Sein „Edelmannswort“ sei für A „so gut wie ein Vertrag“. Obwohl Herr von Z. nach seinen Angaben noch nie ein Versprechen gebrochen hatte, hielt er sein Wort gegenüber A nicht.
Es blieb bei einem leeren Versprechen. Der Kläger verließ das Unternehmen daraufhin im Streit und verklagte es auf Übereignung des Grundstücks, hilfsweise auf Zahlung des Grundstückswerts. Das Reichsgericht lehnte seine Klage ab.
Reichsgericht zum Edelmannfall
Das Reichsgericht war im Edelmannfall der Ansicht, dass gegen das gesetzliche Formerfordernis weder der Einwand eines Verstoßes gegen Treu und Glauben, noch ein Verstoß gegen die guten Sitten begründet sei. Das Erfordernis der gesetzlichen Form könne nicht durch eine von den Beteiligten gewählte besondere „Feierlichkeit des Ausdrucks“ ersetzt werden. Die vom Gesetz vorgeschriebene Form könne nicht durch ein Edelmannwort überflüssig gemacht werden.
Der Kläger könne sich nicht auf einen Verstoß gegen Treu und Glaube iSd. § 242 BGB berufen, weil er das gesetzliche Formerfordernis des Vertrags gekannt habe. Der Generaldirektor habe bei seinem Mitarbeiter keinen Irrtum über die Notwendigkeit der Auflassung ausgelöst. A habe vielmehr „freiwillig“ auf die notarielle Beurkundung verzichtet und sich auf das Edelmannswort seines Vorgesetzten verlassen. Eine Abweichung von diesen Grundsätzen ergebe sich auch nicht aus dem Einwand der Arglist. Darauf hätte sich der Kläger berufen können, wenn der Beklagte bei Vertragsschluss die Form für unnötig erklärt und sich später trotzdem auf den Formmangel berufen hätte. Das war aber in dem zu entscheidenden Sachverhalt gerade nicht der Fall.
Auch läge kein Verstoß gegen die guten Sitten vor. Wenn die Zusage von einer ernstlichen Absicht getragen gewesen sei, sie zu erfüllen, so könne in der “feierlichen Erklärung” für sich allein noch kein Verstoß gegen die guten Sitten gefunden werden. Ein solcher Verstoß liege erst dann vor, wenn im Rechtsstreit jene Zusagen verleugnet worden wären.
Die Aktuelle Rechtslage
Wie wäre der Edelmannfall heute zu lösen? Die Verpflichtung zur Übereignung eines Grundstücks kann nach deutschem Recht nur in einem notariellen Vertrag eingegangen werden. Zwar wird ein ohne Beachtung dieser Form geschlossener Vertrag seinem ganzen Inhalt nach gültig, wenn die Auflassung und die Eintragung in das Grundbuch erfolgen, § 311b I 2 BGB. Dazu war es im Edelmann-Fall aber gerade nicht gekommen. Auch heute hätte das Gericht den Fall damit abgewiesen.
Der Wortbruch des Edelmannes widerspricht zwar sittlichen Pflichten. Dies kann jedoch auch nach aktuellem Recht grundsätzlich keine Rechtspflicht auszulösen. Die Nichtbefolgung von Verpflichtungen aus Anstand und Moral entzieht sich staatlicher Kontrolle, wenn damit nicht zugleich rechtsnormverletzendes Verhalten einhergeht. „Wer sich statt auf das Recht auf ein ‚Edelmannswort‘ verlässt, muß es hinnehmen, wenn der ‚Edelmann‘ sein Wort nicht hält.“
“JURios-Klassiker”: Weitere Fallbesprechungen
- Rheinschiffer-Fall: Muss ich meine Frau vor dem Ertrinken retten?
- Der Sirius-Fall – versuchter Mord oder strafloser Suizid?
- Der Katzenkönig-Fall: Anstiftung oder mittelbare Täterschaft bei Verbotsirrtum?
- Haakjöringsköd-Fall – Walfleisch oder Haifischfleisch?
- Herrenreiter-Fall – Schmerzensgeld wegen unerlaubter Werbung für Potenzmittel
- Rose-Rosahl-Fall: Ausversehen den Falschen getötet!
- Jauchegruben-Fall: Vollendeter Totschlag an einer Leiche?
- Pistazieneis-Fall: Freispruch trotz Arsen-Vergiftung!
- Der Klopapier-Fall: 3.600 Rollen Toilettenpapier sind 3.575 Rollen zu viel!
- Der Radfahrer-Fall: Man sollte nie zu lässig radeln. Oder fahren!
Urteil: Reichsgericht, Urt. v. 21.05.1927, Az. V 476/26
Fundstelle: http://lorenz.userweb.mwn.de/