Rose-Rosahl-Fall: Ausversehen den Falschen getötet!

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Wie wirkt es sich aus, wenn jemand einen bestimmten Menschen töten will, aber bei der Tatausführung einen anderen Menschen trifft? Mit dieser Frage musste sich das Preußische Obertribunal bereits 1859 beschäftigen. Der Fall ist nicht nur wegen seiner juristischen Bedeutung, sondern auch wegen des kuriosen Sachverhalts in die Strafrechtsgeschichte eingegangen. Noch heute lernen angehende Juristen in der Strafrechtsvorlesung den Rose-Rosahl-Fall. Und das völlig zu recht.

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Das Geschehen am 11. September 1858 ist schnell erzählt. Der Holzhändler Rosahl aus Schiepzig (heute: Salzmünde in Sachsen-Anhalt) versprach dem Arbeiter Rose, ihn reichlich zu belohnen, wenn er den Zimmermann Schliebe aus Lieskau töten würde. Schliebe war ein Konkurrent Rosahls und letzterer erhoffte sich durch die Tötung höhere Gewinne für sein eigenes Unternehmen. Rose legte sich daraufhin gegen 20 Uhr zwischen Lieskau und Schiepzig (nahe Halle) in den Hinterhalt, um Schliebe, den er genau kannte, aufzulauern. In der Dämmerung sah er einen Mann des Weges daherkommen, den er für Schliebe hielt. In Wirklichkeit war es der 17-jährige Gymnasiast und Kantorssohn Ernst Heinrich Harnisch. Rose schoss Harnisch mit einer Schrotladung nieder und tötete ihn dann durch Schläge mit dem Gewehrkolben.

Kantorssohn versehentlich niedergeschossen und erschlagen

Der Sachverhalt wirft juristisch zwei Fragen auf. Wie hat sich Rosahl dadurch strafbar gemacht, dass er Rose anstiftete, den Schliebe zu töten. Und: Wie hat sich Rose dadurch strafbar gemacht, dass er ausversehen den Harnisch, statt den Schliebe tötete? Offensichtlich ist zunächst, dass der Vordermann, also Rose einem Irrtum bezüglich seines Opfers unterlag. Der Rose-Rosahl-Fall ist deswegen einer der Klassiker zum sogenannten “error in persona”. Problematisch ist hier einerseits die Frage wie sich ein Identitätsirrtum bezüglich des Opfers des Vordermannes auf diesen selbst auswirkt. Andererseits ist fraglich, welche Auswirkung ein solcher Irrtum auf den Hintermann, also den Anstifter hat.

Das Preußische Obertribunal hat die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt und den ausführenden Täter Rose wegen Mordes und den Anstifter Rosahl wegen Anstiftung hierzu verurteilt. So würde man auch nach geltendem Recht den Rose-Rosahl-Fall lösen. Juristen begründen dies folgendermaßen:

Dass Rose versehentlich den Schüler Harmisch und nicht den Zimmermann Schliebe getötet hat, ist strafrechtlich als sogenannter unbeachtlicher „error in persona“, also einem unbeachtlichen Irrtum über die Identität des Opfers zu werten. Das ist immer dann der Fall, wenn das geplante Opfer und das tatsächlich getötete Opfer „gleichwertig“ im strafrechtlichen Sinne sind. So also beispielsweise, wenn statt dem einen Menschen ein anderer Mensch getötet wird. Anders wäre dies nur, wenn z.B. statt einem Menschen versehentlich ein Hund getötet werden würde. Dann sind die beiden Tatobjekte nicht gleichwertig, weil es sich bei der Tötung eines Tieres immer nur um eine Sachbeschädigung iSd. § 303 StGB handelt. Rose hat sich demnach trotz seines Irrtums wegen eines vorsätzlichen, vollendeten Heimtücke-Mordes zu Lasten des Harnisch strafbar gemacht. §§ 212 I, 211 I StGB.

Opfer gleichwertig und Irrtum unbeachtlich

Die Folgefrage ist, wie sich der Rosahl strafbar gemacht hat. Er hat den Rose unstrittig zu einem Mord an Schliebe angestiftet, § 26 StGB. Allerdings tötete Rose im Ergebnis nicht Schliebe, sondern ungewollt der Gymnasiast Harnisch. Juristisch steht also die Frage im Raum, ob die Tötung des Harnisch dem Anstifter Rosahl zuzurechnen ist, obwohl er selbst nur zur Tötung des Schliebe angestiftet hat. Das Preußische Obertribunal hat dies mit der Begründung bejahrt, dass der Irrtum auch für den Anstifter unbeachtlich sei. Das Gericht hat Rosahl deswegen wegen Anstiftung zum Mord verurteilt. Begründet wird dies damit, dass dem Hintermann der Irrtum des Vordermannes zugerechnet werde. Das Gericht führt im Rose-Rosahl-Fall aus:

“Seine Strafbarkeit ist von der Thätigkeit des Angestifteten, in dessen Hand er die Ausführung gelegt, und dessen Geschicktheit oder Ungeschicktheit er diese anvertraut hat, dergestalt abgängig, daß nur ein wirklicher Exceß, – wo ein Mehreres oder Anderes gethan ist, – ihm nicht zuzurechnen ist. Ein solcher wirklicher Exceß liegt aber da nicht vor, wo, wie hier, der gedungene Angestiftete, der Lohnmörder, nur durch Irrthum in der Person desjenigen, gegen welchen er, um dem Auftrage des Anstifters zu genügen, seine Thätigkeit richtet, sich in dem Schlachtopfer vergreift.”

Und weiter: “Dieser handelt auch dann nicht etwa bloß auf Veranlassung des Anstifters oder bei Gelegenheit der Ausführung des Auftrages, (…) sondern die Anstiftung ist für ihn dergestalt fortdauernd bestimmend gewesen, daß seine That als Product der Anstiftung erscheint. Es hat Causalnexus zwischen der Anstiftung zu einem Morde und der, eine qualitativ gleiche Handlung ausmachenden That stattgefunden, und nur hat der Anstifter, in Folge des bei der Ausführung eingetretenen Irrthums des Thäters seinen Zweck nicht erreicht, was für den Thatbestand des angestifteten Verbrechens und für die Strafbarkeit des Anstifters eben so wenig, als für die des angestifteten Thäters von rechtlicher Bedeutung ist.”

Das Preußische Obertribunal hat sowohl Rose als auch Rosahl wegen Mordes zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Rose-Rosahl-Fall ist eine der wichtigsten Entscheidungen im Bereich der Anstiftung und der strafrechtlichen Irrtumslehre. Er wird deswegen zu Recht noch an alle Universitäten in der Strafrechtsvorlesung gelehrt. Die Begründung und die Figur des “error in persona” werden auch im heutigen Strafrecht noch auf derartige Konstellationen angewendet. An der Stelle des Mordes findet sich heute ein Gedenkstein, der Blutstein bei Lieskau.

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Abgrenzung zum “Aberatio Ictus”

Die Konstellation des “error in persona” ist von der des “aberratio ictus” abzugrenzen. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen Irrtum, bei dem der vom Täter beabsichtigte Erfolg bei einem anderen als dem von ihm anvisierten Objekt eintritt. Als Beispiel für einen aberratio ictus dient dabei folgender Grundfall: A will B töten und schießt. B bückt sich in dem Moment, sodass die Kugel die dahinterstehende unbeteiligte C trifft. Der Täter macht sich hier wegen eines Versuches am anvisierten Objekt und einer Fahrlässigkeitstat am getroffenen Objekt strafbar. Der Irrtum ist als Unterfall des Tatbestandsirrtums beachtlich.

Im Gegensatz zum error in persona, bei dem sich der Täter über die Identität des Opfers irrt, wird beim aberratio ictus (lat. Abirrung des Pfeiles) die Tathandlung fehlgeleitet.

Den Rose-Rosahl-Fall als Podcast anhören!

In Kooperation mit dem Podcast Northern True Crime haben wir den Pistazieneis-Fall und den Rose-Rosahl-Fall als Podcast eingesprochen. Vielen Dank an dieser Stelle an Chris und Nicole, dass wir in Eurer 40. Folge dabei sein durften! Ihr könnt Euch die ganze Folge kostenlos hier anhören:

“JURios-Klassiker”: Weitere Fallbesprechungen


Urteil: Preußisches Obertribunal, Urteil vom 05.05.1859, in: GA 7 (1859), 322 
Fundstelle: https://de.wikipedia.org/

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