Völlig zu Recht gehört der sogenannte Jauchegruben-Fall zu einem der absoluten Klassiker der Strafrechtsvorlesung im Jurastudium. Inhaltlich geht es darum, wie man sich strafbar macht, wenn man einer Person, die man mit einer ersten Handlung nur bewusstlos gemacht hat, im Irrglauben, sie sei bereits tot, erneut tödliche Verletzungen zufügt. Klingt kompliziert? Ist es aber nicht!
Was war geschehen? Nach Feststellungen der Staatsanwaltschaft hatten sich die jetzt Angeklagte A und eine Frau B ein Wortgefecht geliefert. Während des Streits stopfte A der B mit bedingtem Tötungsvorsatz zwei Hände voll Sand in den Mund. Dadurch wollte A die B für immer am Schreien hindern. B bliebt daraufhin regungslos auf dem Boden liegen und wurde von A für tot gehalten. Später stellte ein Gerichtsmediziner fest, dass B zu diesem Zeitpunkt nicht tot, sondern lediglich bewusstlos war. A dachte jedoch, sie hätte B mit dem Sand getötet. Sie wollte nun deren Leiche beseitigen, um die Tat zu verdecken. A warf den Körper der B, die immer noch bewusstlos war, deswegen in eine Jauchegrube. Nach Feststellungen des Gerichtsmediziners verstarb B dort durch ertrinken.
Die Vorinstanz, das Schwurgericht Oldenburg, hatte A im Jauchegruben-Fall wegen vollendeten Totschlags verurteilt. Dagegen legte A Revision ein. Die Angeklagte argumentierte, sie habe B mit dem Sand zwar töten wollen, der Tötungserfolg sei dadurch aber noch nicht eingetreten. Mithin läge keine vollendete Tötung vor. Zum Zeitpunkt als sie B in die Jauchegrube warf, habe sie nicht mehr mit Tötungsvorsatz gehandelt, weil sie gedacht habe, B sei bereits tot. Für eine Strafbarkeit durch die zweite Handlung fehle es deswegen am Vorsatz, also am subjektiven Tatbestand.
BGH: Vollendeter Totschlag
Eine sehr kreative Argumentation? Aber konnte die Angeklagte damit auch den Bundesgerichtshof in Karlsruhe überzeugen? Die Kurzfassung lautet: Nein! Der BGH hat die Entscheidung des Schwurgerichts im Jauchegruben-Fall im Jahr 1960 bestätigt. Die Richter verurteilten A ebenfalls wegen vollendeten Totschlags an B. Der BGH stellte zunächst fest, dass es einen sogenannten „Generalvorsatz“ im deutschen Strafrecht nicht gebe:
Man kann also nicht argumentieren, dass der Tötungsvorsatz, den die Angeklagte zum Zeitpunkt des Wortgefechts hatte, bis zum Werfen in die Jauchegrube fortwirkt. Allerdings sei für die Strafbarkeit der A wegen einer vollendeten Tötung bereits das Stopfen des Sandes in den Mund des Opfers ein ausreichender Anknüpfungspunkt.
Unwesentliches Abweichen vom vorgestellten Kausalverlauf
Dass der Tod der B dabei nicht in der von A vorgestellten Weise bereits durch das Ersticken am Sand eintrat, sondern erst später durch Ertrinken in der Jauchegrube sei irrelevant. A irre sich hier zwar über den konkreten Tathergang, dieser Irrtum sei im konkreten Fall jedoch unerheblich. Der Irrtum über den Kausalverlauf sei nicht als vorsatzausschließender Irrtum iSd. § 16 I StGB anzusehen, sondern als unwesentliche Abweichung.
Im Ergebnis bestätigte der BGH damit die Verurteilung der A wegen eines vollendeten Tötungsdeliktes zu Lasten der B. Der Jauchegruben-Fall zeigt, wie man mit einer Portion gesundem Menschenverstand im Strafrecht auch einen zunächst dogmatisch komplex wirkenden Sachverhalt vom Ergebnis her gedacht „richtig“ lösen kann.
Den Jauchegruben-Fall als Podcast anhören
In Kooperation mit dem Podcast Northern True Crime haben wir den Jauchegruben-Fall als Podcast eingesprochen. Vielen Dank an dieser Stelle an Chris und Nicole, dass wir in Eurer 60. Folge dabei sein durften! Ihr könnt Euch die ganze Folge kostenlos hier anhören:
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Urteil: BGH, Urteil vom 26.04.1960, Az. 5 StR 77/60
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