Das Bundesverfassungsgericht hat den Parteien eines Mietrechtsstreits vor dem Landgericht Hamburg Recht gegeben, die sich gegen die Ablehnung ihres Befangenheitsantrages gewehrt hatten. Die Tonaufnahme der lästernden Richter ist verwertbar.
Vor dem Landgericht Hamburg hatten sich Mieter mit ihrer Vermieterin und dem Eigentümer einer anderen Wohnung im selben Haus getritten. In einer Sitzungsunterbrechung hörten die Mieter, wie sich die Richter der zuständigen Kammer “in spottender Art und Weise über den Beruf des Beschwerdeführers” äußerten. In einer weiteren Pause unterhielten sich die Richter mit dem Nebenintervenienten über den Gegenstand des Rechtsstreits und erteilten ihm sogar Ratschläge.
Daraufhin stellte der Anwalt der Mieter einen Befangenheitsantrag und legtem zum Beweis eine heimlich angefertigte Tonaufzeichnung der lästernden Richter vor. Das Landgericht lehnte den Befangenheitsantrag ab. Die vorgebrachten Tatsachen seien in unzulässiger Weise durch eine heimliche Tonaufnahme erlangt worden und nach einer im Einzelfall vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht verwertbar. Dem Interesse der Beschwerdeführer stehe ein höherwertiges Interesse der Richter, des Nebenintervenienten und vor allem das Interesse des Rechtsstaats an dem Funktionieren der Rechtspflege gegenüber.
Funktionsfähigkeit der Rechtspflege nicht betroffen
Dagegen legten die Betroffenen Verfassunsgebschwerde gem. Art. 93 I Nr. 4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 23, 90 ff. BVerfGG in Karlsruhe und hatten Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass Die Ablehnung des Befangenheitsantrags die Mieter in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I GG) verletze. Dieses grundrechtsgleiche Recht garantiert, dass Rechtssuchende im Einzelfall vor einem Richter stehen, der unabhängig, unparteilich, neutral und distanziert ist.
Das Landgericht habe die Gespräche in den Sitzungsunterbrechungen zu Unrecht als “Beratung” im Sinne des § 193 GVG gewertet. Dagegen spreche schon, dass in diesen Unterbrechungen Schüler oder Studierende anwesend gewesen seien. Eindeutig keine Beratung iSd. § 193 I GVG seien außerdem Gespräche der Kammer mit einer Partei. Da das Gespräch öffentlich stattgefunden habe, könnte nicht so ohne weiteres, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege verletzen sein. Demnach hätte man aorgfältiger prüfen müssen, ob die heimliche Tonaufnahme verwertbar sei. Denn: “Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht ohne Berücksichtigung der durch die heimliche Aufnahme einer Beratung beeinträchtigten Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu einem anderen Abwägungsergebnis und letztlich auch zu einem anderen Ergebnis in der Sache gekommen wäre.”
Das Landgericht Hamburg muss jetzt neu über den Befangenheitsantrag entscheiden.
Entscheidung: BVerfG, Beschl. v. 30.09.2020, Az. 1 BvR 495/19
Fundstelle: https://www.lto.de/