Schlafender Schöffe – Strafprozess muss wiederholt werden

In Kassel muss ein langwieriger Strafprozess noch einmal von vorn beginnen, weil ein Schöffe bei der Verhandlung zeitweise geschlafen hat.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ein Urteil des Landgerichts (LG) Kassel in der Revision aufgehoben, weil schon zu Prozessbeginn ein folgenschwerer Fehler geschehen war. Einer der Schöffen hatte während der Verlesung der Anklage geschlafen.

Vor dem LG Kassel musste sich letztes Jahr der Mitarbeiter eines Finanzamts verantworten, der jahrelang fremde Steuererklärungen mit falschen Angaben abgezeichnet, manipuliert oder sogar selbst erstellt haben soll. Die Richter in Kassel hatte hatten den Mann deswegen im Juni 2019 unter anderem wegen Steuerhinterziehung in 159 Fällen, Untreue in 112 Fällen und Bestechlichkeit in 33 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen hatte der Mann Revision eingelegt und die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO erhoben.

Die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet

Das Urteil wurde vom BGH jetzt in der Revision mit sämtlichen Feststellungen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des LG Kassel zurückverwiesen. Das Problem: Beim Prozessauftakt hatte der Schöffe erwiesenermaßen “über einen nicht unerheblichen Zeitraum fest geschlafen”. So steht es in der Begründung der Karlsruher Richter. Der Verteidiger des Angeklagten hatte den Vorsitzenden Richter auf den Vorfall angesprochen. Er teilte ihm mit, dass der Schöffe “die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet und eine erschlaffte Sitzhaltung eingenommen habe”.

Der Verteidiger führte in der Revisonsbegründung aus, er habe den Schöffen beobachtet, “der weiterhin in dem beschriebenen Zustand auf der Richterbank saß, mindestens eine Minute lang” und habe sich dann während der Verlesung der Tatvorwürfe Nr. 176 bis 177 der Anklageschrift mit der Bemerkung an den Vorsitzenden Richter gewandt, “er möge sich versichern, ob der Schöffe noch wach sei”. Der Vorsitzende habe spontan erwidert, dass der Schöffe noch wach sei. Der Schöffe selbst habe auf die vom Verteidiger veranlasste Unterbrechung der Verlesung der Anklageschrift und den Wortwechsel zwischen dem Verteidiger und dem Vorsitzenden nicht reagiert.

So nicht, urteilte der BGH. Die Kammer des LG sei bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO habe deswegen Erfolg. Denn zur Besetzung zählen auch die gesetzlich vorgeschriebenen Schöffen. Und einer von diesen habe nachweislich bei einem Teil der Anklageverlesung geschlafen. Bewiesen wurde dies unter anderem druch die dienstliche Äußerung des teilnehmenden Staatsanwalts. Die gesamte Verhandlung muss deswegen vor einer anderen Kammer des LG Kassel erneut stattfinden.


Entscheidung: BGH, Beschl. v. 14.10.2020, Az. 1 StR 616/19
Fundstelle: https://www.lto.de/

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