Weihnachtliche Wortspiele: Vom Wurm gewurmt

„In dem vorliegenden Fall ist buchstäblich der Wurm drin.“ Mit diesen Worten beginnt der Tatbestand eines Urteils des Amtsgerichts Aalen (Urt. v. 16.09.1999 – Az. 3 C 811/99). Und weil der buchstäbliche Wurm dann auch noch ausgerechnet in einem Glas Bio-Paprika drin war, der an Heiligabend verspeist werden sollte, verlangte der Kläger von dem Hersteller Schmerzensgeld.

Der Betroffene hatte vorgetragen, dass „nach Entnahme der obersten Paprikaschote (…) aus der darunterliegenden Paprikaschote ein ca. 3 cm langer weißer Wurm herausgeragt“ habe. Beim Anblick seien der Kläger, dessen Ehefrau und Tochter, die ebenfalls am Esstisch saßen, von einem Ekelgefühl überfallen worden.“

Das ist verständlich. Und man vermutet, dass der Kläger das Glas nach diesem Anblick schnell wieder verschlossen und entsorgt hat. Hat er aber nicht.

„Trotz des Ekelgefühls habe der Kläger den Inhalt weiter untersucht und eine weitere Paprikaschote mit Würmern besetzt gefunden.“

Das ist übel!

Sicherlich kein schöner Anblick. Und es ist nachvollziehbar, dass die Familie – wie im Tatbestand der Entscheidung betont wird – „von dem Paprika und dem Wurm (sic!) nichts“ gegessen hat. Vielmehr habe das „Essen an Heiligabend (…) ein abruptes Ende gefunden. Die ganze Familie habe den Esstisch verlassen und mit Erbrechungserscheinungen gekämpft.“

Das ist natürlich (Achtung Wortspiel:) übel! Und es gab weiteres Leid:

„Die gesamten Weihnachtsfeiertage seien für den Kläger und dessen Familie buchstäblich verdorben gewesen. Bei den Mahlzeiten sei an Genuss nicht mehr zu denken gewesen. Das ekelerregende Bild sei immer wieder zurückgekehrt. Die mit Würmern gespickten Paprikaschoten haben beim Kläger dazu geführt, dass er dieses Gemüse, welches er bis zu diesem Vorfall sehr gerne zu sich genommen habe, nie mehr werde essen können.“

„Beim Anblick von Paprikaschoten bekomme er ein Ekelgefühl, unabhängig davon, ob dies in einer Gemüseabteilung, beim Einkauf von Käse, Fleisch oder Wurst sei. Der Kläger habe Paprika sehr geschätzt, und die Würmer im Paprikaglas haben ihn derart gewurmt, dass ihm ein Stück Lebensfreude verloren gegangen sei.“

Richterliche Wortspiele

Die Weihnachtsfeiertage „verdorben“, die Würmer haben den Kläger „gewurmt“?! Ein paar Wortspiele konnte sich auch das Gericht bei diesem Fall, in dem seiner Meinung nach ohnehin „buchstäblich der Wurm drin“ war, offensichtlich nicht verkneifen.

Dem Kläger war aber wohl kaum zum Scherzen zumute. Denn die entstandene „psychische Beeinträchtigung habe sich bei ihm auf sein körperliches Wohlbefinden ausgewirkt. Bei ihm seien Einschlafstörungen und Alpträume aufgetreten.“

Das ist natürlich hart – wenn es denn stimmt. Aber es stimmt halt nicht, meint das Amtsgericht Aalen:

„Der bloße Anblick eines Wurms (ist) nicht geeignet, beim Betrachter ein dauerhaftes Ekelgefühl hervorzurufen, das dann hinzu noch derartige Ausmaße annimmt, die zu einer psychischen Gesundheitsstörung mit krankheitswertem Charakter und zudem noch zu Schlafstörungen führen.“

Interessante Begründungen

Wirklich nicht? Ganz sicher nicht – meint das Gericht. Und es begründet seine Einschätzung ausführlich und mit sehr lesenswerten Argumenten:

„Im Laufe seines Lebens trifft ein Mensch immer wieder auf Würmer, ohne dass dies zu krankhaften Erscheinungen beim Betrachter führt. Nicht nur bei der Landbevölkerung, sondern auch bei der mit der Natur nicht ganz so verbundenen Stadtbevölkerung ist der Anblick eines Regenwurms nichts Außergewöhnliches. Deshalb ist bisher auch niemand auf die Idee gekommen, den Eigentümer eines Grundstücks wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, weil sich ein Regenwurm auf dessen Grundstück bewegte.“

Mag sein. Aber kann man das vergleichen? Irgendwie schon, meint das Amtsgericht Aalen. Außerdem gibt es auch andere Aspekte zu bedenken:

„Das Gericht verkennt nicht, dass ein Wurm auf der Straße oder auf einem Weg keine derartige Beeinträchtigung darstellt wie zwei weiße Würmer in einem Glas mit Bio-Paprika, auch wenn diese, wie im vorliegenden Fall, nur 3 cm lang waren und ein Regenwurm 10 cm oder länger sein kann. Bei sogenannten zivilisierten Menschen steht ein Wurm – anders als bei Ureinwohnern Australiens, Afrikas oder Südamerikas, Überlebenskünstlern und etwa auch Vögeln – nicht auf dem Speiseplan.“

Wo überall der Wurm drin ist

Richtig! Und Ähnliches gilt für die Käufer von Bio-Waren – eine Tatsache, die das Gericht dann gleich noch einmal für ein Wortspiel nutzt:

„Auch bei Käufern von Bio-Waren, die normalerweise kein gestörtes Verhältnis zur Natur haben, ist ein Wurm nicht das tägliche Brot. Dies auch in dem Bewusstsein, dass gerade Bio-Ware, die keiner chemischen Behandlung ausgesetzt sein sollte, eher mit Ungeziefer und Würmern befallen sein kann.“

Auch das ist richtig! Und es ist ja ebenso bei anderen Lebensmitteln möglich, dass „der Wurm drin ist“:

„Es entspricht (…) der Lebenserfahrung, dass man beim Verzehr von Obst oder Gemüse kleine Würmer bisweilen vorfinden kann. So finden sich beispielsweise immer wieder Würmer in Zwetschgen und in Äpfeln. Dem Gericht ist kein Fall bekannt geworden, dass jemand, der versehentlich auf einen derartigen Wurm gebissen hat, derart von Ekel überfallen wurde, dass dies beim Betroffenen zu Beschwerden mit krankheitsähnlichem Charakter geführt hätte.“

Nicht wissenschaftlich – aber repräsentativ

Dem Gericht ist kein Fall bekannt geworden? Das klingt nach einer eher schwachen Begründung. Aber nur auf den ersten Blick. Denn das Gericht hat seine bisherigen Erfahrungswerte überprüft:

„Eine zwar nicht wissenschaftliche aber doch repräsentative Umfrage bei den bekanntermaßen empfindlichsten Mitarbeiter/innen des Amtsgerichts konnte entweder nur spontane Heiterkeitsausbrüche oder aber Unverständnis über eine derartige Reaktion beim Kläger hervorrufen. Niemand konnte sich derartige Gesundheitsbeeinträchtigungen überhaupt vorstellen.“

Und das gilt umso mehr, als sich Würmer in frischem Obst zumeist in einem anderen Zustand befinden, als die von dem Kläger vorgefundenen:

„Während Würmer in Zwetschgen zumeist noch leben und zappeln, was bei empfindlichen Zeitgenossen kurzfristig Ekel hervorrufen mag, waren die Würmer in den eingelegten Paprikaschoten tot und bewegten sich nicht mehr.“

Ein Wurm ist kein Verwandter

Ein durchaus interessanter Aspekt. Aber lässt sich der Fall eben gerade weil es sich um tote Würmer handelt mit den Fällen der sog. Schockschäden vergleichen, bei denen psychische Störungen mit Krankheitswert anerkannt werden? Nein – meint das Amtsgericht Aalen:

„Der vorliegende Fall ist auch nicht mit den sog. Schockschäden zu vergleichen, bei denen die Beobachtung eines schweren Unfalles naher Angehöriger eine nachhaltige, die übliche Trauerreaktion übersteigende und medizinischen Krankheitswert besitzende psychische Gesundheitsstörung zufügte. In derartigen Fällen wird eine Gesundheitsverletzung angenommen. Diese Fälle sind mit dem vorliegenden aber nicht vergleichbar. Zwei tote Würmer sind schließlich etwas völlig anderes als der Tod eines nahen Angehörigen.“

Das klingt überzeugend. Und man wundert sich nach alledem, warum der Kläger trotzdem psychische Beeinträchtigungen behauptet, die sich körperlich ausgewirkt haben. Das Aalener Gericht hat da so eine Ahnung:

„Somit lässt sich der Verdacht nicht völlig ausschließen, dass die vom Kläger beschriebenen Symptome mit dadurch verursacht wurden, dass der Kläger verschiedene Zeitungsartikel gelesen hat über Urteile aus dem Land der unbegrenzten (Schmerzensgeld-)Möglichkeiten. Die beiden Würmer allein waren jedenfalls nicht generell geeignet, die vom Kläger beschriebenen Gesundheitsstörungen hervorzurufen.“

Womit die Klage abgewiesen wurde und der Kläger die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen hatte. Was ihn wohl wiederum (letztes Wortspiel in diesem Beitrag:) sehr gewurmt haben dürfte.


Hinweis: Der Beitrag stammt aus dem Buch #AllesRechtKurios erschienen bei Huss Medien und wurde mit deren freundlicher Erlaubnis veröffentlicht.

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Prof. Dr. Arnd Diringer
Prof. Dr. Arnd Diringerhttps://diringer-online.de/
Jurist und Publizist. Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg.

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