Im Normalfall erwartet man vom Verzehr eines Schokoladen-Weihnachtsmannes wenig Schlimmeres als eine Zunahme des sprichwörtlichen Hüftgoldes. Dass das saisonale Naschwerk aber durchaus Gravierenderes in petto hat, zeigt eine Kündigung, die vor dem Arbeitsgericht Berlin landete.
Gegenstand des Streits war eine Kündigungsschutzklage bzw. die Anfechtung eines Klageverzichts im Rahmen einer angeblich betriebsbedingten Kündigung. Hintergrund war, dass der Mann, der seit 22 Jahren als Verkäufer bei dem Einzelhandelsunternehmen arbeitete, sich an einer „in einen Nebenraum der Filiale ausgelagerten Schokoladenfigur (“Weihnachtsmann”) ohne erklärte Erlaubnis des Filialleiters gütlich getan hatte“. Die Richter konnten nicht klären, ob der Mann „zwei Bruchstücke der Figur (Kläger) – oder vielleicht auch deren kompletten Korpus (Beklagte) – verzehrt“ hatte.
Klar ist aber, dass der Mitarbeiter zwei Tage später von zwei Vorgesetzten zum Gespräch gebeten wurde. Diese bezichtigten ihn des Diebstahls. Deshalb solle der Mann „sein Arbeitsverhältnis am besten selber kündigen“. Nun sah der Arbeitnehmer dies freilich anders, weshalb er zu einem Folgegespräch in die Zentrale zitiert wurde.
Arglistige Täuschung, widerrechtliche Drohung und weit überzogen
Wie zu erwarten unterscheiden sich zum Verlauf jenes Gespräches die Angaben von Kläger und Beklagter. Der Arbeitgeber ging von Diebstahl aus. Daher sei „eine Trennung voneinander unausweichlich“ und man habe dem Mann, „wenn er nicht selber kündige“, eine „auf betriebliche Gründe gestützte fristgerechte Kündigung“ in Aussicht gestellt. Aus Arbeitnehmersicht hätte man mit einer Drohung klargemacht, dass man ihm, wenn er „nicht unterzeichne und die ordentliche Kündigung aus dringenden betrieblichen Gründen akzeptiere – fristlos kündigen werde“. Die Beklagte wiederum bestritt dies.
Welche Version nun auch der Wahrheit entspricht, letztlich unterzeichnete der Mann die Kündigungsverzichtserklärung.
Allerdings hielt der Mann die Reaktion des Arbeitgebers auf seine Nascherei für „weit überzogen“. Er war außerdem der Auffassung, dass der Klageverzicht „wegen arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung“ unwirksam sei, weshalb er Kündigungsschutzklage erhob. Der Arbeitgeber beantragte eine Abweisung der Klage. Der Kläger habe wirksam auf die Erhebung einer solchen verzichtet und außerdem keine widerrechtliche Drohung oder arglistige Täuschung dargelegt. Weiter habe das Bundesarbeitsgericht bereits festgelegt, dass auch die Verletzung von Eigentum des Arbeitgebers von geringem Wert als Grund für eine außerordentliche Kündigung ausreiche.
Weihnachtsmann ist nicht gleich Bienenstich
Mit dieser Ausführung bezieht sich die Beklagte auf das sogenannte “Bienenstich-Urteil” des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1984. In diesem war die Kündigung einer Mitarbeiterin durch den Arbeitgeber bestätigt worden, nachdem die Frau ein Stück Bienenstichkuchen ohne Erlaubnis verzehrt hatte.
Nach Ansicht des Gerichts war dieses Urteil aber nicht mit dem vorliegenden Fall zu vergleichen. „Welten trennen diese Verhältnisse von denen des hiesigen Geschehens“. Zum einen ging es hier um „trostlose Überbleibsel von “Weihnachtsmännern” des Vorjahres“, die „mit ihrer Verfrachtung in ihr entlegenes Zwischenlager allesamt ausrangiert“ waren. Somit spiele es auch keine Rolle, ob nun lediglich Bruchstücke oder ganze Figuren verzehrt worden seien. Auch, und vor allem im Gegenteil zum Bienenstich-Urteil, sei „dem Kläger fehlendes Unrechts-Bewusstsein ohne Wenn und Aber abzunehmen“ gewesen.
Das kündigungsschutzrechtliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit
Gerade in diesem Zusammenhang musste nach Ansicht des Gerichts der Fokus besonders auf die (Un-) Verhältnismäßigkeit gelegt werden. Um den gewünschten Umgang mit der ausrangierten Ware zu verdeutlichen oder Unklarheiten diesbezüglich auszuräumen, hätte es nicht direkt des Abbruchs der Arbeitsbeziehung bedurft. Vielmehr hätte „eine Zurechtweisung des Klägers – und äußerstenfalls eine diesbezügliche Abmahnung […] dafür allemal genügt“. Wo dies im „kündigungsschutzrechtlichen Prinzips der Verhältnismäßigkeit“ sowieso schon die äußerst mögliche noch tolerable Reaktion gewesen sei, so gelte dies umso mehr im Angesicht der langen Zugehörigkeit des Klägers zum Unternehmen.
Im Begründungstext des Urteils stellte das Gericht umfangreich das Verhältnismäßigkeitsprinzip dar. Es wies auf die notwendige „Abwägung aller Umstände des Einzelfalles“ hin. Ob ein Verhalten ausreiche, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, hänge demnach „von der unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmenden Interessenabwägung” ab.
Kündigung unwirksam!
Nach der Rechtspechung falle „die Beachtung der Umstände des Einzelfalls in kündigungsrechtlichen Sachzusammenhängen in den Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit“. Diese habe damit sogar Verfassungsrang. Die Beklagte hätte sich bei der Androhung der fristlosen Kündigung nur deshalb „rechtsirrig auf der sicheren Seite” wähnen können, „weil sie ihre Obliegenheit zur Abwägung der Einzelfallumstände sichtlich verkannt hat“.
Letztlich erklärte das Gericht den Klageverzicht (da dieser „widerrechtlich durch Drohung“ erfolgte) und die Kündigung für unwirksam. Es gab der Kündigungsschutzklage statt. Der Arbeitgeber wurde zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers verurteilt.
Auf die Auswirkungen von Schoko-Weihnachtsmännern auf das besagte Hüftgold sollte das Urteil wohl keinen Einfluss haben.
Fundstelle: Arbeitsgericht Berlin, Urt. v. 09.03.2007, 28 Ca 1174/07