Bei Gericht und beim Fußball gelten die gleichen Regeln

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Sie glauben, dass der Ablauf eines Zivilprozesses durch die Prozessordnung vorgegeben ist? Vielleicht auch, dass die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches nur bei zivilrechtlichen Fragestellungen Relevanz haben? Möglicherweise sind Sie sogar der Meinung, dass parteipolitische Erwägungen in einem Gerichtsurteil nichts zu suchen haben.

Alles falsch – jedenfalls wenn man den Ausführungen des Amtsgerichts Köln in einer 1993 getroffenen Entscheidung (Urt. v. 30.07.1993, Az. 266 C 162/93) glaubt. Schon im ersten Leitsatz stellt das Gericht klar:

Ein Verkehrsunfallprozeß wird nach denselben Regeln gespielt wie ein Fußballspiel. Sein Ausgang hängt nicht von der zufälligen Anzahl der Zeugen ab, die eine Partei zu Unfallzwecken mit sich fahren läßt, sondern von der Anzahl der Frei- wie Eigentore, die die Unfallbeteiligten schießen. Ob ein Tor gefallen ist oder nicht, entscheidet der Schiedsrichter, der im Zweifel die maßgebende Flensburger Punkte-Tabelle anzuwenden hat.“

Persönliches und Politisches

In den Entscheidungsgründen offenbart das Kölner Gericht dann in geradezu herzerfrischender Offenheit seine Arbeitsweise: „Jedenfalls habe ich trotz eifrigen Suchens keinen Präzedenzfall gefunden, den ich zur Arbeitserleichterung hätte abschreiben können.“

Und es legt dar, was es von rot-grüner Politik hält: „Wenn dort Ampeln aufgestellt gewesen wären, dann hätten diese beide rot gezeigt. Denn das ist die perfekte Signalisierung im Sinne rot-grüner Mehrheiten, die die finale und totale Verkehrsberuhigung auf ihre Fahnen geschrieben haben und die ihr Wesen solange treiben, bis das Geld alle ist oder die Wähler die Nase gestrichen voll haben.” Denn:

“Sie regieren uns als Penner,
weil für sie wir Ampelmänner.“

Erfahrungen eines Amtsgerichts

Neben diesen politischen Erwägungen nutzt das Gericht auch die Gelegenheit, über seine bisherigen beruflichen Erfahrungen zu berichten:

„In meiner nunmehr 30jährigen Sitzbahn (sic!) als Verkehrsrichter habe ich nämlich bislang immer nur mit Unfällen zu tun gehabt, zu deren Herbeiführung beide Unfallbeteiligte bei Grün in die Kreuzung eingefahren sind und das meist auch durch Beifahrer justitiabel beweisen konnten.“

Das bedeutet aber nicht, dass Zeugen per se unehrlich sind, wie der Richter anhand einer Anekdote belegt:

„So werde ich nie die entzückende ältere Dame vergessen, die in der Beweisaufnahme bekundete, ihr Mann sei bei Grün in die Kreuzung eingefahren. Auf meine vollkommen unüberlegte Frage, wo sie denn eigentlich in dem Auto gesessen habe, antwortete sie offen und ehrlich: ‚Hinten links‘. Auf meine ebenso überflüssige wie dumme Frage, ob sie denn von da aus überhaupt die rechts stehende Ampel habe sehen können, gab sie kluge und überzeugende Antwort: ‚Nein, Herr Richter, aber das ist auch gar nicht nötig. Denn ich weiß ganz genau, mein Mann fährt nur bei Grün in die Kreuzung ein‘. Diese Lady war die ehrlichste Zeugin, die ich je hatte. Ihr leuchtendes Beispiel beweist auch, dass die in der Rechtsprechung weit verbreiteten Vorurteile gegen Beifahrer in dieser Allgemeinheit nicht gerechtfertigt sind.“

Eine gewagte Auslegung

Das trifft – zumindest im Ergebnis – durchaus zu. Die nachfolgende juristische Argumentation erscheint dagegen zum Teil (mehr als) gewagt.

So bezieht sich das Amtsgericht Köln in der Entscheidung u. a. auf § 133 BGB. Nach dieser Norm ist „bei der Auslegung einer Willenserklärung (…) der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften“. Da es bei der Entscheidung aber nicht um Willenserklärungen, sondern um Verkehrsschilder ging, formulierte das Gericht diese gesetzliche Regelung einfach um:

„Bei der Auslegung ist allerdings gemäß § 133 BGB‚ der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Schildes zu haften‘.“

Kamikaze fahrende Radfahrer

Und das ist nicht die einzige erstaunliche Begründung. So führt das Gericht zur Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen aus:

Dem Beklagten „ist insoweit zuzugeben, dass Kraftfahrzeuge schon nach dem Kraftfahrtgesetz vom 03.05.1909 (RGBl Seite 437) ob der damals im Reichstag mehrfach artikulierten ‚Autoraserei‘ (Greger, Randnummer 10 zu der Vorbemerkung zum StVG mit Nachweisen) von Gesetzes wegen mit einer Betriebsgefahr ausgestattet sind, die einem Fahrrad leider völlig fehlt. Insofern vertreten jedoch seitdem namhafte Verkehrsexperten wie höchste Richter zunehmend die Auffassung, dass die Radfahrer dieses rechtliche Defizit durch ‚Disziplinlosigkeit‘ (BGH VRS 62, 93 = NJW 82, 234; Kammergericht VRS 68, 284) und Waghalsigkeit wettzumachen versuchen, indem sie z. B. bei Rot über die Ampel Kamikaze fahren, in Einbahnstraßen wie auf Radwegen den Geisterfahrer spielen und in rasanter Fahrt Bürgersteige unsicher machen, um Omas mit Oberschenkelhalsbrüchen zu versorgen oder ansonsten plattzufahren (insofern hat zwar seinerzeit Menken in seiner Schrift ‚Die Linkslage der Radfahrer‘, Zeitschrift für Verkehrssicherheit, 1985, 28 eine andere Meinung vertreten. Er hat jedoch inzwischen auf Anfrage dem Gericht mitgeteilt, der Artikel sei ein unreifes und unausgegorenes Frühwerk).“

Es hätte schlimmer kommen können

Man mag dem zustimmen oder sich einfach nur verwundert die Augen reiben. Jedenfalls ist dem Gericht zuzugestehen, dass bereits der Sachverhalt, über den es zu entscheiden hatte, durchaus kurios war:

„Sowohl die Ausfahrtstraße aus dem Werksgelände, die der Kläger mit seinem Auto befuhr, wie auch der sie kreuzende Radweg, den der Beklagte mit seinem Fahrrad in der richtigen Richtung befuhr, sind mit dem Zeichen 205 StVO (Vorfahrt gewähren!) versehen. Ob das ein Versehen oder Absicht ist, vermochte das Gericht nicht herauszufinden.“

Durchaus erstaunlich. Es hätte aber auch schlimmer kommen können, wie das Amtsgericht Köln abschließend feststellte:

„Deshalb mögen die Parteien froh sein, dass der Unfall relativ glimpflich abgelaufen ist und dass an der Kreuzung nicht für beide Fahrtrichtungen Stop Zeichen (206 StVO) aufgestellt waren. Dann müssten sie nämlich beide bei der gebotenen strengen Beobachtung der Rechtslage und des unbedingten Haltgebotes heute nach über einem Jahr immer noch dort stehen und kämen nie mehr nach Hause.“

Und dann hätte es auch niemals dieses kuriose Urteil gegeben.


Hinweis: Der Beitrag stammt aus dem Buch #AllesRechtKurios erschienen bei Huss Medien und wurde mit deren freundlicher Erlaubnis veröffentlicht.

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Prof. Dr. Arnd Diringer
Prof. Dr. Arnd Diringerhttps://diringer-online.de/
Jurist und Publizist. Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg.

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