Mord beim Abschiedssex? Alexa als Beweismittel

Niemand Geringeres als die Sprachassistentin aus dem Hause Amazon – Alexa – wurde als Zeugin in einem Strafverfahren zugelassen. Zeugin? Kann das denn sein?

Nein, bislang sind unter Zeug:innen nur natürliche Personen zu verstehen. Dahingehend sind einige Medien mit ihren Formulierungen über den hiesigen Fall dogmatisch nicht ganz korrekt. Wir sind uns aber einig: Es hört sich auf alle Fälle besser an! Alexa – die Zeugin, die einen Mord aufklärt. Immerhin ist Alexa in vielen Haushalten festes Familienmitglied und kümmert sich vorbildlich um ihre Bediener:innen. Ob es um die tägliche Wettervorhersage geht oder um das Vorlesen von Gute-Nacht-Geschichten.

Am 4. Dezember 2019 wurde das Opfer tot in ihrem Bett aufgefunden. Kurz vorher hatte sie sich von dem Angeklagten, einem 54- jährigen Heizungsbauer, getrennt. Nachdem dieser in der Tatnacht stundenlang an ihre Tür geklopft haben soll, ließ sie ihn in die Wohnung. Zusammen soll reichlich Alkohol konsumiert worden sein, bevor es zum „Abschiedssex“ kam. Das Opfer wurde vermutlich von hinten mit einem Unterarmgriff erwürgt, während sie auf dem Bauch lag.

Oh Wunder: Datenschutzmängel!

Den entscheidenden Beweis in dem sich daran anschließenden Strafverfahren vor dem Landgericht Regensburg erbrachte Alexa. Diese stand in der Wohnung des Opfers in unmittelbarer Tatortnähe. Datenschutzrechtler:innen kritisieren elektronische Sprachassistent:innen immer wieder für Mängel im Datenschutz. Insbesondere das Mithören und Aufnehmen von Gesprächen bereitet ihnen Sorge. Aber genau das wurde nun zum Vorteil für die Ermittler:innen. Alexa‘s Mitschnitte in der Tatnacht konnten als Beweismittel vor Gericht zugelassen werden. Als Mitschnitt fällt das Beweismittel unter den Strengbeweis des Augenscheins gem. § 86 StPO. Augenschein ist die Wahrnehmung des Gerichts durch sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen. Auf den Aufnahmen ist die Stimme des Angeklagten eindeutig zum Tatzeitpunkt und auch noch danach zu hören. „Um 23.55 Uhr haben wir die Aufzeichnung der Alexa mit der Stimme des Angeklagten“, erklärte Oberstaatsanwalt Thomas Rauscher vor Gericht.

Rechtlich kein Großer Lauschangriff

Grundsätzlich ist § 100c StPO (sog. “Großer Lauschangriff”) als Rechtsgrundlage für die Verwendung aufgezeichneter Gespräche heranzuziehen. Im vorliegenden Fall gab es die Sprachaufnahmen bereits vor den eigentlichen Ermittlungen. Es handelt sich also gerade nicht um eine staatlich angeordnete Aufnahme. Dennoch greifen die Aufnahmen in die Privatsphäre des Angeklagten ein. Ein selbstständiges Verwertungsverbot besteht dennoch nicht. Die Schwere der Rechtsgutverletzung überwiege den Schutz der Privatsphäre des Täters, weshalb die Verwendung der Daten gerechtfertigt sei, so die Richter:innen.

Die Sprachaufnahmen selbst gab Amazon nach einer offiziellen Anfrage durch die Ermittlungsbehörde an die “Clearingstelle” in Belgien freiwillig heraus. Da sich die Server nicht in Deutschland befinden, hätte sonst ein umfangreiches Rechtshilfeersuchen an die US-Justizbehörden erfolgen müssen.

Vom Traummann zum Kontrollfreak

Es sagten auch „echte“ Zeuginnen vor Gericht aus: Die ehemaligen Lebenspartnerinnen des Angeklagten. In früheren Beziehungen soll er zunächst der “Traummann” gewesen sein, bevor sein Verhalten sich um 180 Grad drehte. Der zunächst höfliche, zuvorkommende und überaus spendable 54-Jährige mutierte nach übereinstimmenden Aussagen der Zeuginnen nach geraumer Zeit zum “Kontrollfreak”. Er kontrollierte die Handys seiner Lebenspartnerinnen und stellte ihnen insbesondere in privaten und beruflichen Situationen nach. Es hagelte Gewaltschutzanträge und gerichtliche Kontaktverbote. Wegen diese Verstöße wurde er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Diese hatte er zum Zeitpunkt des hiesigen Prozesses noch nicht angetreten.

Sein Verteidiger nahm genau diese Aussagen zum Anlass, seinen Mandanten zu verteidigen. Trotz seiner strafauffälligen Vergangenheit sei er nie gewalttätig geworden. Bis auf eine verurteilte Körperverletzung 1994 sei es zu keinem fremdaggressiven Verhalten gekommen. Deshalb plädierte er auf Körperverletzung mit Todesfolge. Dass das Opfer beim Geschlechtsverkehr zu Würgespielen neigte, konnte keiner der Zeug:innen, insbesondere nicht die vorherigen Partnerinnen, bestätigen.

Haftstrafe wegen Totschlags

Das Gericht folgte dagegen der Einschätzung der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte habe das Opfer vorsätzlich getötet. Ein Unfall beim Geschlechtsverkehr kann ausgeschlossen werden. Mordmerkmale konnten ihm trotz „Anhaltspunkten“ für Heimtücke sowie niederer Beweggründe nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Erst im Mai 2019 erklärte der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs zu dieser Konstellation, dass „gerade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, […] als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden“ dürfe. Insofern hat Alexa als Beweismittel auch keinen Mord aufgeklärt, sondern „nur“ einen Totschlag.

Der elffach wegen Nachstellung verurteilte Angeklagte, wurde am 16.12.2020 vom Landgericht Regensburg zu einer zehnjährigen Haftstrafe wegen Totschlags und Nötigung verurteilt. Zudem wurde der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine Hinterbliebenenzahlung (§§ 844 III, 253 II BGB) in Höhe von 15.000€ festgesetzt. Das Opfer hatte eine 27-Jährige Tochter. Es ist der erste Fall in Deutschland, bei dem eine Sprachassistentin als Beweismittel zugelassen wurde.

Um 3.16 Uhr, nachdem das Opfer laut Obduktion bereits tot im Bett lag, hört man eine Männerstimmte, die Alexa befiehlt: „Geh schlafen.“


Fundstelle: https://www.regensburg-digital.de/

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