In Baden-Württemberg müssen Jurastudierende eine Strafrechtsklausur des ersten Staatsexamen erneut schreiben. Der Sachverhalt der Klausur war möglicherweise vor dem Prüfungstermin bekannt geworden.
Eine Panne bei der Organisation der ersten juristischen Staatsprüfung in Baden-Württemberg sorgt dafür, dass die betroffenen Studierenden die am 04. März 2021 geschriebene Strafrechtsklausur landesweit erneut ablegen müssen. Das Landesjustizprüfungsamt gesteht, dass es zu “Unregelmäßigkeiten” in einem Prüfungsraum gekommen sei. Am 1. März 2021 wurde in einem Prüfungsraum in Konstanz wegen einer Datumsverwechslung nicht der Sachverhalt der vierten Prüfung (Öffentliches Recht) ausgeteilt, sondern der Sachverhalt der sechsten und letzten Prüfung (Strafrecht), die am 4. März 2021 geschrieben werden sollte. In dem Prüfungsraum waren 50 Prüflinge und drei Prüfungsaufsichten. Zwar sei die Verteilung verdeckt erfolgt und die Aufgabenzettel seien noch nicht aufgedeckt gewesen, allerdings habe beim Einsammeln der Zettel zunächst ein Exemplar gefehlt.
Chancengleichheit zwingt zur Wiederholung?
Auf Grund dieser Unregelmäßigkeit hält das Landesjustizprüfungsamt es zur Wahrung der Chancengleichheit für erforderlich, für alle 871 Prüflinge eine Nachklausur anzuorden. Es sei nicht auszuschließen, dass eine Person vom Sachverhalt Kenntnis erlangt und diesen verbreitet habe. Das Justizprüfungsamt Baden-Württemberg geht davon aus, dass “einem nicht mehr eingrenzbaren Kreis von Prüflingen zumindest Teile der Aufsichtsarbeit Nr. 6 bereits drei Tage vor dem Prüfungstag bekannt wurden”. In dem Schreiben wurde außerdem mitgeteilt, dass man sich “leider gezwungen sehe, landesweit eine Nachklausur im Strafrecht für alle Prüflinge anzuordnen, die zwingend von allen Prüflingen zu absolvieren ist.” Ein genauer Termin für die Nachklausur stehe noch nicht fest. Er werde aber vermutlich Mitte April liegen.
Die betroffenen Studierenden finden das verständlicherweise überhaupt nicht lustig. Sie haben viel Zeit und Arbeit in die bereits geschriebene Klausur gesteckt und fürchten zu Recht, sich in der nachgeholten Klausur zu verschlechtern. Außerdem würde die Prüfungskampagne durch den weiteren Prüfungstermin verlängert werden. Die Ablegung des Staatsexamens ist auch ohne derartige Pannen bereits eine extrem hohe psychische Hürde.
Studierende klagen über hohen psychischen Stress!
Eine Examenskandidatin aus Freiburg meint gegenüber JURios: “Ich halte die
Entscheidung des LJPA für vermeidbar, ungerecht und im Lichte des Infektionsgeschehens für untragbar. Ganz persönlich bedeutet die Entscheidung für mich zudem eine große psychische Belastung. Das Jurastudium ist darauf ausgelegt, dass die gesamte Energie der Studierenden auf die Bewältigung dieser sechs entscheidenden Klausuren aufgewendet wird. Das bedeutet, gerade kurz vor dem Examen befindet man sich in einer psychischen Ausnahmesituation. Indem jetzt ohne Not eine weitere Klausur terminiert wird, wird dieser Belastungszustand noch weiter ausgedehnt – und das in einer Zeit, die durch die Pandemie ohnehin von psychischem Druck geprägt ist.”
Einige Betroffene starteten deswegen eine Petition. Sie sind der Ansicht, dass ihnen eine Wahlmöglichkeit eingeräumt werden muss. Jeder solle frei entscheiden dürfen, ob er die Klausur nachschreiben möchte oder nicht. Den Studierenden soll die Möglichkeit eingeräumt werden “eine Versicherung an Eides statt abzugeben, nach der bekundet wird, dass zum Zeitpunkt der Lösungsanfertigung der Prüfling keinerlei Kenntnis vom Sachverhalt hatte.”
Konkret führt die Petition folgende Punkte an:
- Zeitliche Streckung der Prüfung um einen weiteren Monat und dadurch Kollision mit bspw. Beginn der Referendariatszeit oder Promotion was zu Leistungsverzerrungen wegen unterschiedlicher Vorbereitungszeit führt und insoweit Chancenungleichheit
- Vertrauen in die ordnunggemäße Durchführung der Aufsichtsarbeiten (so hätte darauf vertraut werden dürfen, dass der Vorfall von Konstanz unverzüglich gemeldet wird und entsprechend eine Ersatzklausur zum ursprünglich vorgesehenen Termin vom 04.03. 2021 gestellt wird)
- Erhöhtes Infektionsrisiko im Rahmen der “Dritten Welle”, wobei davon auszugehen ist, dass die Prüflingen typischerweise noch nicht geimpft sind
- Verursachung weiterer Kosten durch erneute Anreise und Übernachtung (wobei Beherbungsbetrieb derzeit eingestellt ist) und entgangener Gewinn wegen zusätzlicher Vorbereitungszeit und insoweit entgangener Arbeitsmöglichkeit
- Kumulation psychischen Stresses und insoweit ebenso Leistungsverzerrungen
Betroffene kritisieren “ungeheuerlichen Vorgang”
Die Studierenden bemängeln unter anderem, wieso dem Prüfungsamt der Fehler nicht früher aufgefallen sei. Zwischen dem versehentlichen Austeilen und dem Schreiben der Klausur seien drei Tage vergangen. In diesen hätte man den betroffenen Klausursachverhalt austauschen können. Zudem seien die verdeckt ausgeteilten Sachverhalte sofort wieder eingesammelt worden. Entgegen erster Behauptungen habe dabei auch kein Sachverhalt gefehlt. Eine Studentin, die den Vorfall im Prüfungsraum in Konstanz mitbekommen hat, bestätigte gegenüber JURios: “Nachdem bemerkt worden ist, dass versehentlich der falsche Sachverhalt ausgeteilt worden war, wurden die Sachverhalte sofort wieder eingesammelt. Das geschah noch vor Beginn der Bearbeitungszeit, also als die Sachverhalte noch verdeckt auf den Tischen lagen.”
In der Petition heißt es: “Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang und durch nichts zu entschuldigen. Nach dem Vorfall am Montag blieben drei Tage Zeit, um die Ersatzklausur aus dem Schrank zu holen, wenn Bedenken bestanden. Stattdessen geht der Prüfungsdruck für die Examenskandidat*innen sinnlos in die Verlängerung. Mit Kanzleitrost allein ist es an dieser Stelle für die jetzt einigermaßen verzweifelten Studierenden im Land nicht getan. Gerade in dieser Zeit stellt die Wiederholung einer Examensklausur eine immense psychische Belastung dar, sodass wir umgehend genauere Überprüfung sowie eingehende Erklärung fordern.”
Die Petition haben inzwischen über 3.500 Personen unterschrieben. Wer sich der Petition anschließen möchte, kann dies hier tun: https://www.change.org