Baumtag beim BGH: Die Schwarzkiefer und das Selbsthilferecht

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Rückschnitt ohne Rücksicht? Ein Berliner Nachbarschaftsstreit hat es bis vor den Bundesgerichshof geschafft. Hauptbeteiligter des Rechtsstreits ist eine Schwarzkiefer, die es gewagt hat, ihre Äste über die Grundstücksgrenze hinweg auf das Grundstück des Nachbarn zu erstrecken.

Der Baum des Anstoßes ist über 40 Jahre alt. Und wie es Bäume üblicherweise tun, wuchs auch die Schwarzkiefer in ihrem langen Leben beträchtlich in die Höhe. Bis heute etwa 15 m. Sehr zum Ärger des Nachbarn aber auch in die Breite. Von den herabfallenden Nadeln fühlte sich der Nachbar bereits seit Jahren belästigt und forderte den Baumeigentümer mehrmals zum Stutzen auf.

Im Jahr 2017 wurde es dem Nachbarn schließlich zu bunt und so schnitt er den Baum ohne vorherige Rücksprache mit dessen Eigentümer eigenhändig zurück. Deswegen verklagte ihn der Baumeigentümer zunächst vor dem Amtsgericht Pankow/Weißensee und später auch vor dem Landgericht Berlin. Und das mit Erfolg. Die Richter:innen urteilten, dass dem Nachbar ein Selbsthilferecht nur zustünde, wenn es “eine direkte und unmittelbare Beeinträchtigung durch überhängende Äste oder Zweige” gibt. Das sei hier nicht der Fall, denn die Kiefer ist im unteren Bereich sehr schlank gewachsen.

Schwarzkiefer untenrum schlank gewachsen

Gleichzeitig hatte allerdings der Bundesgerichtshof entschieden, dass § 910 BGB auch bei abfallenden Nadeln oder Zapfen einschlägig sei. Der Baum des Anstoßes war diesmal eine Krefelder Douglasie. Es sei dem Nachbar erlaubt, herüberragende Zweige “abzuschneiden und zu behalten”, wenn sie die Benutzung seines Grundstücks beeinträchtigen. Was denn jetzt? Das fragen sich auch die Parteien in unserem Berliner Rechtsstreit. Die Beklagten legten Rechtsmittel ein und brachten den Fall damit ebenfalls vor den BGH.

Das Problem ist verzwickter als man auf den ersten Blick meinen sollte. Zu berücksichtigen sind mehrere Dinge. Die Schwarzkiefer ist 40 Jahre alt und ihre breite Krone ragt seit mindestens zwei Jahrzehnten in Nachbars Garten – inzwischen, da gehen die Schätzungen auseinander, immerhin um fünf bis acht Meter. Einen Anspruch auf Beseitigung hätte es laut Berliner Nachbarrechtsgesetz nur in den ersten fünf Jahren gegeben.

Nachbarrechtsgesetz und Baumschutzverordnung

Auch die Berliner Baumschutzverordnung hilft nicht wirklich weiter. Sie schützt alle Waldkiefern, die 1,30 Meter über dem Boden einen Stammumfang von mindestens 80 Zentimetern haben. Schwarzkiefern werden in der Verordnung überhaupt nicht erwähnt.

Die Anwältin der Nachbarn, Barbara Genius, meint gegenüber LTO: “Der Baum wächst ja. Und er wächst immer weiter.” Deswegen müssten die Äste zumindest auf der jetzigen Länge gehalten werden können. Die Baum-Eigentümer sind hauptsächlich besorgt, dass der Baum umkippen könne, wenn er nur auf einer Seite radikal beschnitten werde. Ihr Anwalt, Peter Baukelmann, argumentiert gegenüber LTO: Die Kiefer dürfe nur soweit beschnitten werden, dass gesichert ist, dass sie überlebt. Denn: “Sonst könnte man ihn gleich fällen.”

Am 11. Juni 2021 fällte der BGH schließlich sein Urteil. Er entschied: Das Selbsthilferecht aus § 910 I BGB berechtigt Grundstückseigentümer:innen dazu, auf dem eigenen Grundstück überhängende Äste abschneiden zu dürfen. Und: Dies gelte auch, wenn dadurch die Gefahr drohe, dass der Baum dadurch seine Standfestigkeit verliere oder ganz absterbe.

Denn: “Das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB sollte nach der Vorstellung des Gesetzgebers einfach und allgemein verständlich ausgestaltet sein, es unterliegt daher insbesondere keiner Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung. Zudem liegt die Verantwortung dafür, dass Äste und Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, bei dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht; er ist hierzu im Rahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks gehalten. Kommt er dieser Verpflichtung – wie hier die Kläger – nicht nach und lässt er die Zweige des Baumes über die Grundstücksgrenze wachsen, dann kann er nicht unter Verweis darauf, dass der Baum (nunmehr) droht, durch das Abschneiden der Zweige an der Grundstücksgrenze seine Standfestigkeit zu verlieren oder abzusterben, von seinem Nachbarn verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Beeinträchtigung seines Grundstücks hinzunehmen.”


Entscheidung: BGH, Urt. v. 11.06.2021, Az. V ZR 234/19
Pressemitteilung: http://bundesgerichtshof.de/
Fundstelle: https://www.lto.de/

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