Der Klopapier-Fall: 3.600 Rollen Toilettenpapier sind 3.575 Rollen zu viel!

Ein Urteil des Landgerichts Hanau aus dem Jahr 1978 ist nicht nur wegen seiner Examensrelevanz, sondern auch wegen seines kuriosen Sachverhalts ein Dauer-Renner in jeder Zivilrechtsvorlesung. Es geht dabei um 3.600 Rollen Toilettenpapier (LG Hanau, Urt. v. 30.6.1978, Az. 1 O 175/78).

Aber von Anfang an: Die Konrektorin einer Mädchenrealschule bestellte vor über 40 Jahren “25 Gros Rollen” Toilettenpapier bei einem Händler. Dazu unterzeichnete sie als Vertreterin der Schule einen Bestellschein, auf dem die Ware mit “Gros = 12 x 12” beschrieben wurde. Als wenig später 3.600 Rollen Toilettenpapier angeliefert wurden, war die Konrektorin schockiert und verweigerte die Abnahme der Ware. Sie meinte, sie habe nur 25 große Rollen Toilettenpapier bestellt. Der Verkäufer wies die ahnungslose Lehrerin darauf hin, dass die Bezeichnung „Gros“ für 12 Dutzend Stück (also 144 Stück) steht. Sie habe also 25*144 Stück, also 3600 Rollen Toilettenpapier bei ihm bestellt.

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Eine Lehrerein, die irrt? Unmöglich!

Der Verkäufer forderte die Mädchenschule also zur Zahlung des vollen Kaufpreises auf. Dem Zahlungsbefehl widersprach die Konrektorin und focht das Rechtsgeschäft außerdem an. Sie bestritt, Kenntnis über die Bedeutung der Mengenbezeichnung “Gros” gehabt zu haben. Böse Zungen würden an dieser Stelle behaupten, dass dies bei einer Lehrerin auch nicht verwundernswert sei. Doch der Fall wäre nicht in die Rechtsgeschichte eingegangen, wenn er so ein einfaches Ende gefunden hätte. Und so sahen sich die Parteien im Jahr 1978 vor dem Landgericht Hanau wieder. Und was sagten die Richter:innen dazu?

Das LG Hanau entschied zu Gunsten der Mädchenschule. Die Konrektorin könne die Willenserklärung wirksam gem. § 119 I BGB wegen Irrtums anfechten. Es läge ein sogenannter Inhaltsirrtum vor, weil sich die Käuferin über die Bedeutung ihrer Erklärung geirrt habe.

“Gros” ist laut Gericht eine veraltete Mengenbezeichnung

Und so hört sich das in den Worten des Gerichts an.“Es widerspricht völlig der Lebenserfahrung, daß jemand als Vertreterin einer Schule, die nur als kleines Institut zu bezeichnen ist, auf einen Schlag 3600 Rollen Toilettenpapier à 1000 Blatt bestellt. Eine Menge, die den Bedarf des Hauses auf mehrere Jahre gedeckt hätte. Abgesehen davon, daß dies aus Gründen der Haushaltsabrechnung, die normalerweise jährlich erfolgt, kaum denkbar erscheint, führen allein die Schwierigkeiten der Lagerung einer solchen Warenmenge zu der Annahme, daß ein bewußtes Vorgehen dieser Art ausgeschlossen sein dürfte.”

Die Richter:innen führten außerdem aus, dass die Pädagogin nicht zwingend mit der Maßeinheit hätte vertraut sein müssen. Und weiter: “Abgesehen davon, daß nicht feststeht, welche Fächer von ihr gegeben werden, ist die Mengenbezeichnung “Gros” heute völlig unüblich und veraltet, so daß sie nicht mehr unbedingt als dem Lehrstoff zugehörig angesehen werden kann. Auch der Hinweis “Gros = 12 x 12” bringt insoweit keine Klarheit, da hieraus nicht zwingend auf die Anzahl der Rollen geschlossen werden kann, sondern durchaus auch andere Maßeinheiten gemeint sein konnten, insbesondere auch im Hinblick auf die von den Vertretern der Kl. gefertigten Rechtschreibungsfehler auf dem Bestellschein.“

Dazu fällt uns nur eines ein: Glück gehabt, Frau Pädagogin! Andererseits kann man den Beteiligten nur danken. Denn so wurde einer der absoluten Klassiker des Zivilrechts geboren, den man auf Grund seiner Kuriosität so schnell nicht mehr vergisst!

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