DER Anwalt und DIE Zahnarztgattin – Offener Brief des Fachschaftsrats der Europa-Universität Viadrina

Im Rahmen des Studiums der Rechtswissenschaften setzen sich die Studierenden nahezu täglich mit juristischen Sachverhalten auseinander. Oftmals sind die Sachverhalte jedoch nicht genderneutral formuliert, was zur Ausgrenzung und Diskriminierung von Geschlechtern führt. Außerdem bedienen sich die Aufgabenstellenden beim Formulieren der Sachverhalte an stereotypischen Rollenbildern bzw. geschlechtergebundenen Klischees.

Frauen sind deutlich unterrepräsentiert und tauchen überwiegend in tradierten Geschlechterrollen auf. Leider spielt dieses Thema bislang in der aktuellen Reform der juristischen Ausbildung keine Rolle. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, hat sich der Fachschaftsrat der Europa-Universität Viadrina in Form eines offenen Briefes an das Dekanat gewandt. JURios unterstützt das Vorhaben und veröffentlicht im folgenden den Brief des Fachschaftsrates:

Offener Brief des Fachschaftsrates der Europa-Universität Viadrina

Sehr geehrter Professor Häde, sehr geehrtes Dekanat, sehr geehrte Dozierende,

wir möchten die aktuelle Themenwoche gegen Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit vom AStA zum Anlass nehmen, ein allgegenwärtiges Thema aufzugreifen und anzusprechen. In Rücksprache mit vielen Studierenden ist das Problem der “Genderdiskriminierenden Sachverhalte im Jurastudium” aufgekommen und vermehrt als wichtiges Anliegen geäußert worden. So möchten wir als Fachschaftsrat der Rechtswissenschaften das Interesse an Genderneutralität im Jurastudium vermitteln und wenden uns hiermit an Sie, als Dekan der Juristischen Fakultät.

Doch was genau meinen wir, wenn wir von Genderneutralität bzw. Genderneutraler Sprache sprechen?

Das “Gendern” ist eine geschlechtergerechte bzw. geschlechterneutrale Art und Weise, alle Geschlechter sprachlich mit einzubeziehen. Sprache hat einen großen Einfluss auf unsere Wahrnehmung, unser Denken und die Einordnung aufgenommener Aspekte in bestimmte Sachverhalte. Sprache ist ein sehr mächtiges Werkzeug, welches zum einen dazu dienen kann, Dinge gezielt hervorzuheben, zum anderem aber auch Gegenteiliges bewirken kann.

Wir als Europa-Universität verstehen uns als eine weltoffene, tolerante Universität.
Warum nicht also von Grund auf bei der Sprache anfangen, um jegliche Ausgrenzung zu vermeiden?

Ein Beispiel: Was stellen Sie sich vor, wenn Sie „Die Professoren betreten den Raum“ lesen?

Wir zumindest, stellen uns intuitiv männlich gelesene Professoren vor. Nun ist uns allen natürlich bewusst, dass es auch weibliche “Professoren”, also Professorinnen gibt, diese jedoch sprachlich in unserem Beispiel durch den Gebrauch einer genderspezifischen Formulierung ausgegrenzt wären.

Im Durchschnitt beschäftigen sich Jurastudierende etwa fünf Jahre mit hochgerechnet ca. 600 Sachverhalten, die als Lehrmaterial und Grundlage zur Wissensabfrage dienen, uns demzufolge täglich im Laufe unserer Weiterbildung begegnen. Viele Sachverhalt beinhalten nach wie vor keine genderneutrale Sprache. Wir wären sehr erfreut, zukünftig nicht nur “die Teilnehmer” sondern “die Teilnehmenden” oder “die Teilnehmer*innen” zu lesen, um einerseits die Sichtbarmachung und andererseits die Inklusion aller Geschlechter anzustreben.
 
Des Weiteren reproduzieren einige Sachverhalte nach wie vor die stereotypischen Rollenbilder. So kommt es vor, dass das männliche Geschlecht mit einer Berufsbezeichnung wie z.B. “der reiche Anwalt, der hinterlistige Arzt” betitelt wird, während das weibliche Geschlecht bewusst in Verbindung mit dem Beziehungsattribut gebracht wird, wie z.B.: “die Zahnarztgattin, die schöne Ehefrau”.

So zeigt eine Studie von der Doktorandin der Universität Hamburg Dana-Sophia Valentiner, dass rund 80 Prozent der untersuchten Examens-Übungsfälle einen männlichen Anteil aufweisen, dahingegen nur 18 Prozent einen weiblichen. Als Grund dafür wird genannt, dass sich die Studierenden die Probleme besser merken könnten, da die Sachverhalte “unterhaltsamer” gestaltet seien. Zudem basieren viele von den Juristischen Fällen auf Gerichtsurteilen, die einzig und allein die Realität darstellen sollen. Gleichzeitig fühlen sich hierdurch Studierende in ihrer Ethnie, ihrer Religion oder ihrem Geschlecht diskriminiert.

Als mögliche Verbesserungsvorschläge könnte man eine Neutralisierung der Geschlechter anstreben, indem statt “Frau X” und “Mann Y” die Personen als “X” und “Y” bezeichnet werden. Eine weitere Möglichkeit wäre das “Gender Trouble”, bei dem eine bewusste Umkehrung bei der Darstellung der Klischees angestrebt wird. Weiterhin könnten Religionsbezüge, welche häufig mit Straftaten in Verbindung aufgezeigt werden, anonymisiert werden.

Alle diese Ideen sind Ansätze dafür, genderneutrale Sachverhalte zu entwickeln und sollen dazu beitragen, sich nicht nur im Jurastudium weiterzuentwickeln, sondern auch im persönlichen Leben den Blick für das “große Ganze” ohne Diskriminierung in jeglicher Form anzueignen.

So würden wir Sie bitten, in Zukunft mehr Acht auf die Genderneutralität in Sachverhalten zu geben und diese beispielsweise mit den oben genannten Formulierungen zu erzielen.

Mit freundlichen Grüßen,
Die Mitglieder des Fachschaftsrates Jura


Weitere Infrormationen zum Fachschaftsrat der Europa-Universität Viadrina https://www.rewi.europa-uni.de/
Zum Instagram-Kanal der Fachschaft: https://www.instagram.com/fsrjura/

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Redaktion
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JURios. Kuriose Rechtsnachrichten. Kontakt: redaktion@jurios.de

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