Gleichberechtigung: Verein darf Frau nicht vom tra­di­tio­nellen Stadt­bach­fi­schen ausschließen

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Aufgrund ihres Geschlechts darf eine Frau nicht vom traditionellen Stadtbachfischen in Memmingen ausgeschlossen werden. Das hat das Landgericht Memmingen (Bayern) entschieden.

Der Fischertag in Memmingen zieht jedes Jahr 30.000-40.000 Besucher in die Stadt im Allgäu. Höhepunkt des Traditionsfests ist das Ausfischen des Stadtbaches. Wer den schwersten Fisch erwischt, darf sich ein Jahr lang ‘Fischerkönig’ nennen. Diese Tradition lässt sich bis auf das Jahr 1572 zurückführen. Veranstalter war bis zum Jahr 1919 die Stadt Memmingen. Seitdem übernimmt der im Jahr 1900 gegründete Fischertagsverein die Organisation des Bachausfischens. 1932 wurden Frauen per Satzungsänderung vom Ausfischen ausgeschlossen. Der Memminger Verein hat heute 4800 Mitglieder in 37 Gruppen.

Die Tradition des Stadtbachfischens wird von den Bürger:innen Memmingens und den Vereinsmitgliedern sehr ernst genommen. Deswegen gelten auch bis heute noch die alten Regeln. In der Satzung – auf die sich auch der Fischertagsverein beruft – heißt es in § 8 III: “Zur Wahrung der jahrhundertealten Tradition haben nur männliche Mitglieder des Vereins, die mindestens seit 5 Jahren ihren 1. Wohnsitz in Memmingen haben unter Beachtung von § 1 Abs. 1 der Ordnung für das Ausfischen des Stadtbaches und die Erlangung der Königswürde das Recht zum Ausfischen des Stadtbaches.”

Aufnahmeanspruch aus Art. 3 GG?

Dagegen wehrte sich Christiane Renz (56 Jahre). Sie ist selbst seit über 30 Jahren Vereinsmitglied, hätte für eine Teilnahme am Stadtbachfischen jedoch in die Vereinsuntergruppe “Stadtbachfischer” aufgenommen werden müssen. Dies verweigerte ihr der Verein, weil sie eine Frau ist. Dagegen klagte die Frau vor dem Amtsgericht Memmingen. Dabei wurde sie von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt. Die Richter:innen am Amtsgericht gaben ihr Recht. Der Fischertagsverein wollte dieses Urteil jedoch nicht akzeptieren und legte Berufung ein. So sahen sich die verstrittenen Parteien 2021 vor dem Landgericht Memmingen wieder. Aber auch das Landgericht stellte sich auf die Seite der Fischerin. Christiane Renz habe einen Aufnahmeanspruch in die Vereinsuntergruppe der “Stadtbachfischer”.

Der Verein sei zwar nach Art. 9 GG grundsätzlich frei in seiner Entscheidung, wer Mitglied werden darf und welche neuen Mitglieder er in der Untergruppe der Stadtbachfischer aufnimmt. Ein Aufnahmeanspruch der Frau ergebe sich hier aber wegen eines Verstoßes des Fischertagsvereins gegen das Recht der Vereinsmitglieder auf Gleichbehandlung aus Art. 3 I GG. Der Verein behandele weibliche Vereinsmitglieder anders als männliche Vereinsmitglieder. Hierfür bedürfe es eines sachlichen Grundes, der im vorliegenden Fall nicht ersichtlich sei. Denn: Ein solches Sonderrecht für Männer sei vereinsrechtlich nur dann zulässig, wenn diese Ungleichbehandlung vom Vereinszweck gedeckt sei.

Nach § 2 der Satzung ist Zweck des Vereins die “Heimatpflege, Heimatkunde, Kultur und der Umweltschutz. Der Zweck wird insbesondere verwirklicht durch die Durchführung und festliche Gestaltung des alljährlich stattfindenden Fischertages und der periodisch stattfindenden Festspiele; die Pflege des Stadtbaches und des heimischen Brauchtums sowie die Pflege von Begegnungen, insbesondere mit historischen Bezügen, auf nationaler und internationaler Ebene.”

Erinnerung an Tradition – nicht an Geschlechterrollen

Im Kern geht es somit laut Gericht insbesondere um das Erinnern an die jahrhundertealte Tradition des Stadtbachausfischens. Nicht aber darum, an eine althergebrachte Rollenverteilung der Geschlechter zu erinnern. Dieser festgeschriebene Vereinszweck erfordert es nicht, Frauen vom eigentlichen Ausfischen auszuschließen und lediglich als „Kübelfrauen“ neben dem Bach zuzulassen. Hierzu führten die Richter:innen weiter aus: “Zudem hat sich die tatsächlich seit langem gelebte Vereinspraxis jedenfalls von einer absolut getreuen Nachbildung historischen Geschehens in den vergangenen Jahren faktisch entfernt. Neben das Erinnern an Traditionen ist gleichermaßen der Spaßfaktor getreten. Das originalgetreue Nachbilden einer vermeintlichen Tradition steht damit jedenfalls auch faktisch nicht mehr im Vordergrund des praktischen Vereinslebens.”

Christiane Renz ist über den Ausgang des Verfahrens hocherfreut. Ihr Vater, der selbst ein Memminger Urgestein ist, kommentiert das Urteil gegenüber den Medien folgendermaßen: „Die Zeit ist vorbei, das müssen die im Verein endlich mal begreifen. Frauen dürfen auch schon lange wählen und müssen nicht mehr den Mann um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollen.“ Der erste Vorsitzende des Vereins, Michel Ruppert, gibt sich wortkarg. Im Internet wird Christiane Renz seit dem Urteil angefeindet – auch von ihren eigenen Vereinskollegen aus Memmingen. Kameradschaft sieht anders aus.

In einem Statement der Gesellschaft für Freiheitsrechte heißt es zum Urteil: “Ein Verein mit erheblicher sozialer Machtstellung darf Frauen nicht willkürlich von bestimmten Vereinsaktivitäten ausschließen. Mit diesem Urteil sind wir unserem Ziel ein gutes Stück näher gekommen: Wir wollen das Diskriminierungsverbot auch im Vereinsrecht etablieren.”


Fundstelle: LG Memmingen Urt. v. 28.07.2021, Az. 13 S 1372/20
Fundstelle: https://www.lto.de/

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