Drei historische Juristinnen, die in Deutschland Rechtsgeschichte schrieben (Teil 1)

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Es gibt leider nicht viele berühmte historische Juristinnen. Das liegt auch daran, dass Frauen in Deutschland erst seit 1900 überhaupt offiziell studieren und erst seit 1922 die juristischen Staatsexamina ablegen durften. Darum ist es umso wichtiger, Juristinnen, die trotz allem in Deutschland Rechtsgeschichte schrieben, bekannter zu machen.

Der Weg von der Frau zur Juristin war steinig. Erst nach dem ersten Weltkrieg gab die Weimarer Reichsverfassung Frauen grundsätzlich die Möglichkeit, die gleichen Berufe zu ergreifen wie Männer – also auch den Beruf der Anwältin und der Richterin. 1930 betrug der Frauenanteil im Jurastudium 2-3%. Von insgesamt 10.000 Richter:innen waren 74 weiblich. Gleichzeitig gab es 18.514 Anwälte, aber nur 252 Anwältinnen. Unter den Nationalsozialisten wurden seit 1935 keine Frauen mehr zur Anwaltschaft zugelassen. Adolf Hitler bestimmte 1936, dass Frauen nicht mehr als Richterinnen und Staatsanwältinnen arbeiten durften.

Auch in der Nachkriegszeit kam Juristinnen eine Platzhalter- und Lückenbüßerfunktion zu. Frauen wurde gesellschaftlich weiterhin die Rolle als Mutter und Hausfrau zuteil. Erst in den frühen sechziger Jahren nahm die Zahl der Jurastudentinnen und wenig später auch die Zahl an Juristinnen zu. Die erste Juraprofessorin – Anne-Eva Brauneck – lehrte ab 1965 in Gießen Kriminologie. Im Jahr 1970 überschritt der Frauenanteil unter den Jurastudierenden erstmals 25%. Es dauerte weitere Jahrzehnte bis sich dieser Fortschritt auch bei den juristischen Berufen zeigte. Noch 1990 waren nur rund 15% der Anwält:innen, Richter:innen und Staatsanwält:innen weiblich.

Anita Augspurg – Deutschlands erste promovierte Juristin

Anita Augspurg wurde am 22. September 1857 in Verden (Niedersachsen) als Tochter eines Anwalts geboren. Nach dem Besuch der Höheren Töchterschule wurde ihr ein Studium verweigert, weswegen sie als Aushilfe in der väterlichen Anwaltskanzlei arbeitete. In den folgenden Jahren arbeitete Anita Augspurg in verschiedenen Berufen und entdeckt 1890 die bürgerliche Frauenbewegung für sich, in der sie sich unter anderem für das Recht auf Bildung engagierte. Um sich besser für die ehe- und familienrechtlichen Belange der Frauen einsetzen zu können, begann sie 1893 ihr Jurastudium in Zürich, da dies Frauen in Deutschland noch immer nicht erlaubt war. 1897 kehrte sie als Deutschlands erste promovierte Juristin nach Berlin zurück.

Gemeinsam mit ihrer zehn Jahre jüngeren Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann gehörte sie ab Ende des 19. Jahrhunderts dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung an. Sie war der Meinung: “Was versteht man unter dem Rechte der Frau? Nichts anderes als das Recht des Menschen überhaupt!”. Die Bewegung kämpfte deswegen unter anderem für die Einführung des Frauenwahlrechts. Im ersten Weltkrieg gehörten beide Frauen der Friedensbewegung an. Ab 1923 standen sie auf der Liquidationsliste der Nationalsozialisten. 1933 reisten sie in die Schweiz und entschieden, nicht ins faschistische Deutschland zurückzukehren. Am 20. Dezember 1943 starb Anita Augspurg 86-jährig in Zürich.

Zur Gleichberechtigung von Mann und Frau vor dem Gesetz ist von ihr folgendes kluges Zitat aus dem jahr 1895 in Erinnerung geblieben: “Die Frauenfrage ist zwar zum großen Teile Nahrungsfrage, aber vielleicht in noch höherem Maße Kulturfrage, ihre Auffassung als solche errringt sich von Tag zu Tage mehr Boden, in allererster Linie aber ist sie Rechtsfrage, weil nur von der Grundlage verbürgter Rechte, nicht idealer (welche beiden Eigenschaften des Rechtes sich leider nicht immer decken), an ihre sichere Lösung überhaupt gedacht werden kann. Jede andere Bestätigung in der Frauenfrage ist vorschnell und verfrüht, als diejenige, welche die Vollanerkennung der Frau als gleichwertiges und gleichberechtigtes Rechtssubjekt neben dem Manne bezweckt und die Beseitigung aller für sie bestehenden Ausnahmegesetze und Paragraphen ins Auge faßt. Denn der Beginn mit Einzelheiten, bevor das Ganze gesichert ist, bedeutet nichts anderes als die Anbringung von Thürstöcken und Fensterrahmen bei einem Hausbau, bevor die Grundmauern ausgeführt sind.”

Erna Scheffler – Erste Juristin am Bundesverfassungsgericht!

Erna Scheffler wurde am 21. September 1893 in Breslau (Polen) unter dem Namen Friedenthal geboren. Sie war die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Ölmühleneigentümers, der allerdings bereits 1904 verstarb. Erna und ihre Mutter waren daraufhin von einem missgünstigen Vormund abhängig. Diese Hilflosigkeit motivierte Erna Friedenthal dazu, sich 1911 an der juristischen Fakultät der Universität München einzuschreiben. 1914 promovierte sie zum Thema „Straftilgende Maßnahmen“ in Breslau. Trotzdem durfte sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen nicht zum Referendariat antreten. 1916 heiratete Erna Friedenthal den Juristen Dr. Fritz Haslacher.

Als durch Gesetz am 11. Juli 1922 endlich auch Frauen für beide Staatsexamina zugelassen werden, legte Erna Haslacher 1922 und 1925 umgehend beide Examina ab und arbeitete von 1925 bis 1928 als Rechtsanwältin in Berlin. Aus dieser Zeit stammt auch das Zitat: „Der Anwaltsberuf entspricht […] dem Bedürfnis der Frau, zu raten und zu helfen.“

Trotzdem trat Erna Haslacher 1928 dem öffentlichen Dienst bei und wurde 1932 schließlich Amtsgerichtsrätin am Amtsgericht Berlin-Mitte. Doch bereits 1933 belegten sie die Nationalsozialisten mit einem Berufsverbot. Als Halbjüdin musste sie sich gegen Kriegsende in einem Gartenhaus vor den Nationalsozialisten versteckt halten. Nach dem zweiten Weltkrieg heiratete sie den Kammergerichtsrat Georg Scheffler. Schon 1945 wurde sie Landgerichtsrätin und bald darauf Vorsitzende Richterin am Landgericht in Berlin. Später zog sie mit ihrem Mann nach Düsseldorf und wurde dort Verwaltungsgerichtsrätin und 1951 Verwaltungsgerichtsdirektorin.

In den folgenden Jahren stritt sie für eine umfassende Gleichstellung von Frauen auch im Ehe-, Familien- und Arbeitsrecht. Erna Scheffler wurde am 7. September 1951 vom Bundesrat zur ersten Richterin im 12-köpfigen Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts ernannt. Am 29. Juli 1959 tritt die nur 1,58 m große Juristin im Karlsruher Prinz-Max-Palais vor die Presse und verkündet: „Die Bestimmungen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch zum sogenannten ,Väterlichen Stichentscheid‘ sind verfassungswidrig“. Ein Urteil des BverfG, das bis heute in Erinnerung bleibt. Erna Scheffler blieb bis zum Ende ihrer Amtszeit 1963 die einzige Frau am Bundesverfassungsgericht. Sie starb am 22. Mai 1983 bei ihrer Tochter Lore in London.

Elisabeth Selbert – Die Mutter des Grundgesetzes

Am 22. September 1896 wurde Elisabeth Selbert unter dem Namen Martha Elisabeth Rohde in Kassel geboren. Ihr Vater arbeitete als Aufseher in einer Jugendstrafanstalt. Wie alle Mädchen musste Selbert die Realschule 1913 ohne Zeugnis und Mittlere Reife verlassen. In den kommenden Jahren arbeitete Elisabeth Rohde unter anderem in einer Import- und Exportfirma und später als Postgehilfin. Während der Novemberrevolution lernte sie den sozialdemokratischen Kommunalpolitiker Adam Selbert kennen, den sie 1920 heiratet. Bereits 1918 war sie selbst der SPD beigetreten. In den kommenden Jahren hatte Elisabeth Selbert verschiedene politische Positionen inne – unter anderem war die Mitglied im Gemeindeparlament Niederzwehren und Delegierte der SPD-Frauenkonferenz.

1925/1926 holte Elisabeth Selbert ihr Abitur nach und begann ihr Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Marburg und Göttingen, da sie hoffte, dass eine „juristische Ausbildung helfen würde, politisch effizienter wirken zu können.“ 1930 promovierte sie zum Thema „Ehezerrüttung als Scheidungsgrund”. 1934 schloss sie ihr zweites Staatsexamen ab und wurde – kurz bevor das nationalsozialistische Regime Frauen den Zugang zum Anwaltsberuf verwehrte – zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. In Kassel übernahm sie die Kanzlei zweier jüdischer Rechtsanwälte.

Nach dem zweiten Weltkrieg nahm Elisabeth Selbert ihr politisches Engagement für die SPD wieder auf. Von 1946-1968 war sie Mitglied im Hessischen Landtag. Von 1948-1949 war sie Vertreterin Niedersachsens im Parlamentarischen Rat. Ihr Antrag, die Formulierung “Frauen und Männer sind gleichberechtigt” ins Grundgesetz aufzunehmen, wurde vom Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates abgelehnt. Elisabeth Selbert wendete sich deswegen an die Öffentlichkeit und löste einen Proteststurm aus. Der Parlamentarische Rat gab daraufhin dem öffentlichen Druck nach und nahm am 18. Januar 1949 den Gleichheitsgrundsatz als unveräußerliches Grundrecht in die deutsche Verfassung auf. 1956 erhielt sie das Große Bundesverdienstkreuzes. Am 9. Juli 1986 verstarb Elisabeth Selbert in Kassel.

Sie schrieb schon 1981: “Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist doch schlicht Verfassungsbruch in Permanenz” – wenn Elisabeth Selbert wüsste, dass Frauen auch heute – im 21. Jahrhundert – noch immmer in Wirtschaft und Politik deutlich unterrepräsentiert sind, würde sie sich vermutlich im Grabe herumdrehen.

Das Leben von Elisabeth Selbert wurde unter dem Titel “Sternstunde ihres Lebens” 2014 als historisches Drama mit Iris Berben in der Hauptrolle verfilmt.


In Teil 2 unserer Serie geht es um vier weitere historische Juristinnen, die man für ihr Lebenswerk und für ihre Judiz unbedingt kennen muss!

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