ARD-Rechtspodcast: Im Gespräch mit einer transsexuellen BGH-Richterin

Prof.’in Dr. Johanna Schmidt-Räntsch ist Deutschlands erste Richterin, die sich als transsexuell geoutet hat. Im Podcast der ARD-Rechtsredaktion „Die Justizreporte*innen“ spricht sie mit Fabian Töpel und Pia Brandsch-Böhm über ihre Erfahrungen.

Johanna Schmidt-Räntsch wurde 1957 geboren. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und promovierte 1983. Im August 1987 wurde sie zum Richter am Landgericht Bonn ernannt. Später wechselte sie in das Bundesministerium der Justiz. Bekannt wurde sie unter anderem 2001 für ihren Entwurf zum Antidiskriminierungsgesetz. Am 29. Juli 2002 wurde Schmidt-Räntsch (damals noch) Richter am V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs. Sie ist außerdem Honorarprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin.

2014 unterzog sich Schmidt-Räntsch im Alter von 56 Jahren einer Geschlechtsanpassung. Aus Jürgen wurde Johanna. Aus dem BGH-Richter eine BGH-Richterin. Der Bundesgerichtshof erklärte damals, dies sei eine Privatangelegenheit, die wie eine Namensänderung bei der Eheschließung behandelt werde. Damit ist Schmidt-Räntsch die erste Richterin in Deutschland, die sich öffentlich als transsexuell geoutet hat.

Zeitreise durch das historische Recht

Im ARD-Rechtspodcast spricht Schmidt-Räntsch über ihre Geschlechtsanpassung und begibt sich gemeinsam mit den Moderator:innen auf eine historische sowie juristische Zeitreise. Diese beginnt 1957, im Geburtsjahr der späteren BGH-Richterin. In diesem Jahr entschieden die Richter:innen in Karlsruhe, dass die damals geltenden Strafvorschriften gegen die männliche Homosexualität (§§ 175, 175a StGB) verfassungsgemäß seien (BVerfGE 6, 132). Denn: Von der männlichen Homosexualität gingen – im Gegensatz zur weiblichen Homosexualität – Gefahren für die Gesellschaft aus, die eine Strafbarkeit rechtfertigten. So sei die männliche Sexualität stärker auf einen bloßen Lustgewinn gerichtet. Daher neige der homosexuelle Mann – im Gegensatz zu lesbischen Frauen – dazu, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen. Zudem bestünde für männliche Jugendliche eine höhere Anfälligkeit gegen Verführungen zum gleichgeschlechtlichen Sex. Eine Entscheidung, die heute zu Recht große Empörung hervorruft! Aber erst nach der Wiedervereinigung wurde 1994 der sogenannte „Schwulenparagraph“ § 175 StGB auch für das Gebiet der alten Bundesrepublik ersatzlos aufgehoben.

Auch Geschlechtsanpassungen wurden damals von deutschen Ärzten nicht durchgeführt. Betroffene mussten hierfür ins Ausland und standen dann laut Schmidt-Räntsch in Deutschland in einer „juristischen Wüste“. Die BGH-Richterin erzählt anschaulich, dass erstmals in den 60er Jahren ein Standesbeamter auf die Idee kam, einfach den Geschlechtseintrag nach einer Operation anzupassen. Dafür bekam er von der deutschen Justiz jedoch einen Klapps auf die Finger. Dies sei nicht möglich. Hier müsse der Gesetzgeber tätig werden. Erst seit dem sogenannten „Transsexuellen-Urteil“ aus dem Jahr 1978 erkennt das BVerfG einen Schutz der Geschlechtsidentität an und verortet dieses Recht im allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I iVm Art. 1 I GG (BVerfGE 49, 286).

Homosexualität und Trans-Rechte

1980 wurde das erste „Transsexuellengesetz“ in Deutschland erlassen. Dieses sah entweder die Anpassung des Vornamens an die empfundene Geschlechtszugehörigkeit vor („kleine Lösung“, §§ 1 ff. TSG) oder die Änderung des Geschlechtseintrages im Geburtsregister („große Lösung“, §§ 8 ff. TSG). Das Gesetz war und ist stark umstritten und wurde zwischenzeitlich auch als teilweise verfassungswidrig eingestuft.

2017 fällte das Bundesverfassungsgericht schließlich sein Wegweisendes Urteil zum „Dritten Geschlecht“. Im Leitsatz der Entscheidung heißt es: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) schützt die geschlechtliche Identität. Es schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“ (BVerfGE 147, 1).

Im gleichen Jahr trat in Deutschland außerdem ein Gesetz in Kraft, das homosexuellen Menschen die Eheschließung ermöglicht. Gleichgeschlechtliche Paare konnten davor nur eine sog. „eingetragene Lebenspartnerschaft“ eingehen. Bereits 2002 hatte das BVerfG geurteilt, dass der Schutz der Ehe nicht in Gefahr sei, wenn gleichgeschlechtliche Lebenspartner gleiche Rechte erhielten. Trotzdem wurde die sog. Homo-Ehe von CDU, CSU und teils der FDP bis zuletzt blockiert.

Der lange Weg der Frau Schmidt-Räntsch

Ende gut, alles gut? Mitnichten! Auch heute gibt es rechtlich noch viele offene Fragen, die LGBT+-Menschen betreffen. Denn diese werden teils immer noch diskriminiert – sowohl rechtlich als auch gesellschaftlich. Auch der Weg von Prof.’in Dr. Johanna Schmidt-Räntsch war ein steiniger. Im ARD-Rechtspodcast berichtet sie, wie sie ihre eigene Transsexualität zunächst nicht einordnen konnte. Denn es gab niemanden, den sie hätte fragen können. „Man läuft wie im Theater rum und spielt eine Rolle und trägt das alles alleine aus und weiß nicht wohin damit“, sagt sie im Interview. Bereits 1994 – im Jahr der Abschaffung des § 175 StGB – habe sie einen Frauenarzt aufgesucht, um mit irgendjemandem über ihre Sexualität zu sprechen. Dieser habe gefragt, ob sie schwul sei und sie nach Verneinung der Frage “einfach rausgeworfen”.

Es dauerte bis ins Jahr 2011 bevor Schmidt-Räntsch endlich einen richtigen Zugang zu ihrer eigenen Identität fand. Noch im gleichen Jahr habe sie angefangen, ihr „Outing“ und die Geschlechtsanpassung „vorzubereiten“. Denn das alles sei ein langwieriger Prozess. „Man kann nicht einfach zu einer Behörde oder einem Arzt gehen und sagen ‚mach mal‘”, erzählt die BGH-Richterin im Podcast. Ein Psychologe müsse entscheiden, ob das, was man fühlt, überhaupt Transsexualität ist. Und danach gäbe es ein langwieriges Gerichtsverfahren.

Auch am Bundesgerichtshof habe zunächst niemand von ihrer Transsexualität gewusst, berichtet Schmidt-Räntsch. Eine Kollegin habe sie zufällig im Rock in der U-Bahn getroffen und ihr später eine E-Mail geschrieben, dass sie das „sehr mutig“ fände. Schmidt-Räntsch sei dann persönlich an ihre Kolleg:innen im Senat herangetreten und habe diese über ihre Identität aufgeklärt. Allen anderen Richter:innen sowie Anwält:innen am BGH habe sie außerdem einen Brief geschrieben. Schmidt-Räntsch schätzt sich glücklich, dass ihr Umfeld keinerlei Probleme mit ihrem Outing gehabt habe.

Als einer der Gründe, wieso die Gleichstellung von LGBT+ Menschen in Deutschland so lange gedauert habe, nennt Schmidt-Räntsch die Angst der Politiker:innen vor der Gesellschaft. Diese hätten vermutlich befürchtet, dass ihnen das dann bei der nächsten Wahl heimgezahlt werden könnte. „Man dachte, dass ein Großteil der Menschen das nicht akzeptieren würde.“ Schmidt-Räntsch glaubt aber, dass wir als Gesellschaft hier schon viel weiter sind.


Die gesamte Folge des Podcast der ARD-Rechtsredaktion „Die Justizreporte*innen“ mit Prof.’in Dr. Johanna Schmidt-Räntsch kann hier angehört werden.

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Redaktion
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