In der Nacht auf den 6. Juni 2016 kam es zu einem der spektakulärsten Millionen-Coups in der Geschichte Berlins. Gegen Mitternacht drangen mehrere Männer in die Rolex-Boutique am Kurfürstendamm ein und entwendeten aus dem Tresor mehr als 400 Luxusuhren im Wert von 8 Millionen Euro. In Teil 1 unserer dreiteiligen Artikelserie haben wir den Tathergang bis zur Verhaftung eines der Täters – Herrn B. – skizziert. In diesem exklusiven Interview mit JURios spricht Herr B. über die Tat, wie die Polizei ihm auf die Schliche kam und über seinen Alltag in der JVA. Hier in diesem 2. Teil der Artikelserie geht es um die Verhaftung von Herrn B. und seinen daran anschließenden Strafprozess.
Am 14. November 2016 begann vor dem Landgericht Berlin der Strafprozess gegen Herrn B. Die Anklage lautete „Diebstahl in einem besonders schweren Fall in Mittäterschaft“ gemäß § 242 I, 243 I Nr. 1, 25 II StGB. Zu diesem Zeitpunkt saß Herr B. bereits seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft.
JURios: Eines Tages stand die Polizei vor deiner Tür und hat dich in Untersuchungshaft genommen. Wie lief die Verhaftung ab?
Herr B.: Es müsste so gegen 7 Uhr gewesen, da habe ich ein richtig lautes Klopfen gehört. Man muss dazu sagen, die Wohnung gegenüber wurde komplett saniert und daher dachte ich erst, dass es von der Baustelle kommt. Als es nicht aufgehört hat, bin ich zur Tür gegangen und hab durch den Spion geguckt. Er wurde zugehalten und da war mir klar, was los ist. Als ich die Tür aufgemacht hab, sind 8 Kripobeamte reingestürmt und haben alles auf den Kopf gestellt. Eine Oberstaatsanwältin, die momentan auch in einem großen bekannten Prozess in Berlin Präsenz zeigt, war auch mit dabei. Das alles hat ca. 3 Stunden gedauert, dann habe ich den Haftbefehl bekommen und wurde abgeführt. Zu dem Zeitpunkt dachte ich immer noch, das wird nicht lange dauern und am Abend oder am nächsten Tag bin ich wieder zu Hause. Ich wusste wirklich nicht, was auf mich zukommen wird bzw. habe ich damit nicht gerechnet.
Der Alltag in Untersuchungshaft
JURios: Es war das erste Mal in deinem Leben, dass du in Untersuchungshaft gesessen bist. Wie hat sich das angefühlt? Hattest du Angst vor den anderen Insassen?
Herr B.: Als es hinter diese riesen Mauern ging, hatte ich ehrlicherweise ziemliche Panik und wusste nicht, was auf mich zukommt. Ich war die ganze Zeit wie gelähmt und stand extrem unter Schock, weil ich auch nicht wusste, was in naher und ferner Zukunft passieren wird.
Auf dem Weg zum Haus, wo alle “Neulinge” über einen Hof gehen müssen, kam Geschrei wie: “Frischfleisch” und sonstige Äußerungen, die einem auf jeden Fall ein etwas mulmiges Gefühl geben. Vor allem, wenn man solche Szenarien nur aus Filmen oder Dokus kennt. Ich hatte Angst vor der ganzen Situation. Die ersten Tage waren extrem schlimm für mich und ich habe mich gefühlt, als wäre ich einfach nur eine Hülle. Ich stand total neben mir. So was darf man sich natürlich nicht anmerken lassen, sonst ist man schnell das “Opfer”. Und das möchte man in Haft natürlich nicht werden.
JURios: Kannst du uns einen typischen Tagesablauf in Untersuchungshaft schildern? Was passiert da so?
Herr B.: Anfangs hatte ich Beschränkungen und durfte nicht telefonieren, Besuch empfangen oder in der JVA arbeiten. Da sah der Alltag relativ langweilig aus. Um 6 Uhr geht die Zelle auf, um zu schauen, ob du noch lebst. Gegen 8 Uhr hat man dann zwei Freistunden auf dem Hof. Um 12 Uhr geht kurz die Zellentür auf und man bekommt Essen, was man in der Zelle zu sich nehmen muss. Dann ist am Mittag so gegen 13 Uhr noch eine Freistunde auf dem Hof und dann war es das auch schon. Duschen darf man als “Nichtarbeiter” nur zweimal die Woche.
Nach zwei Monaten wurden die Beschränkungen durch meinen Anwalt aufgehoben und ich konnte dann endlich arbeiten. Angefangen habe ich in der Hauskammer: Dort werden die “Neulinge” mit Decken, Teller und Co. ausgestattet. Dort ist man dann von 7-14 Uhr und sitzt eigentlich die meiste Zeit auch nur rum, aber das geschieht in Gesellschaft von 3 oder 4 anderen Insassen. So hat man die Möglichkeit, mal Karten zu spielen oder sich einfach zu unterhalten. Ein Privileg dieser Arbeitsstelle ist auf jeden Fall, dass man dort dann von Montag bis Freitag jeden Tag Duschen gehen kann.
Am Wochenende hat man gegen 8 Uhr eine Freistunde auf dem Hof. Außerdem hat man die Möglichkeit, einen “Umschluss” von zwei Stunden mit einem anderen Häftling zu machen. Ein Umschluss bedeutet, dass man sich gegenseitig in der eigenen bzw. der Zelle des anderen Insassen treffen darf. So vergehen die Wochenenden Woche für Woche. Ansonsten habe mir meistens irgendwas im TV angeschaut, um mich abzulenken. Nach drei Monaten war ich dann einigermaßen “geordnet” und konnte auch wieder mit dem Sport anfangen, den ich dann nachmittags in der Zelle gemacht habe.
Der Strafprozess vor dem LG Berlin
Angeklagt war auch seine Kollegin aus der Rolex-Boutique. Auch ihr warf die Staatsanwaltschaft die Beteiligung an dem Einbruchsdiebstahl vor. Insgesamt waren für den Prozess 12 Verhandlungstage angesetzt. Doch dann legte Herr B., der zuvor geschwiegen hatte, überraschend ein Geständnis ab. Er gab die Tat – so wie angeklagt – zu; seine Kollegin entlastete er jedoch vollständig. Außerdem weigerte er sich, die Identität der anderen Täter – soweit ihm bekannt – preiszugeben.
JURios: Irgendwann wurdest du angeklagt und der Gerichtstermin stand fest. Wie ging es dir damit? Hattest du zu dem Zeitpunkt noch Hoffnungen, freigesprochen zu werden? Wie gut standen die Chancen laut deinem Anwalt?
Herr B.: Man sitzt die Monate auf heißen Kohlen und will endlich, dass es weitergeht. Die Zeit zieht sich so extrem und deshalb war ich “froh”, dass es endlich losging. Hoffnungen auf einen seichten Ausgang hatte ich definitiv, da mein Anwalt mir versicherte, dass die Beweislage relativ dünn ist und es für mich eine große Chance gibt, da rauszukommen. Komischerweise kam er mich am letzten Werktag vor der Verhandlung besuchen und legte mir ein Geständnis auf den Tisch. Ich habe die Welt nicht verstanden, da ja vorher alles in Ordnung war. Also warum der Sinneswandel? Ich denke mir meinen Teil dazu, was auch jeder andere machen sollte. So schnell war die Hoffnung dann versiegt.
JURios: Kannst du uns schildern, wie dein Strafprozess abgelaufen ist? Gab es Punkte, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Herr B.: Die Präsenz der Presse war ein extremer Umstand für mich. Es ist, als würden alle auf etwas warten und die Blicke durchbohren einen förmlich. Die Sache mit dem plötzlichen Geständnis, was abzulegen war, ist auf jeden Fall etwas, das im Gedächtnis bleibt. Vor allem, weil die Reaktion der anderen sehr merkwürdig war, weil sie ja vorher noch nichts davon wussten.
JURios: Vor Gericht wolltest du erst kein Geständnis ablegen, hast es dann aber doch getan. Wie kam es dazu?
Herr B.: Ich habe mich hintergangen und nicht richtig aufgeklärt gefühlt. Ich habe am ersten Verhandlungstag gespürt, dass ich, egal ob mit oder ohne Geständnis, verurteilt werde. Alle wirkten schon so, als würden sie “mit im Boot sitzen”. Ab dem Punkt habe ich dann doch keinen anderen Ausweg als das Geständnis gesehen.
Die Verurteilung zu vier Jahren Haft
Für alle anderen Beteiligten ebenfalls überraschend endete der Strafprozess deswegen schon nach sieben Tagen. Die mitangeklagte Verkäuferin wurde freigesprochen. Auch sie hatte mehrere Monate in Untersuchungshaft verbracht und wurde für diese Zeit finanziell entschädigt.
Herr B. wurde wegen „Diebstahl in einem besonders schweren Fall in Mittäterschaft“ gemäß § 242 I, 243 I Nr. 1, 25 II StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zur Begründung der Mittäterschaft führte das Gericht aus, dass der Einbruch ohne das Mitwirken des Angeklagten nicht möglich gewesen wäre. Im Urteil heißt es dazu: „Mit der Kontrolle über den Schranktresor, der für eine erfolgreiche Tatausführung zwingend unverschlossen sein musste, lag es alleine in den Händen des Angeklagten, als ‚Insider‘, ob und wann die Tat begangen wird.“ Bei der Strafzumessung berücksichtigte das LG Berlin, dass Herr B. nicht vorbestraft war und die Tat gestand. Zu seinen Ungunsten berücksichtigte das Gericht den hohen Millionen-Schaden.
JURios: Wie gehst du damit um, dass du zu einer Haftstrafe verurteilt wurdest, während die Mitangeklagte freigesprochen wurde? War das fair? Hast du dich von der Justiz gerecht behandelt gefühlt?
Herr B.: Die Mitangeklagte wurde aufgrund meines Geständnisses freigesprochen. Die Justiz hatte nur Indizien und mein Geständnis. Die Beweislage wurde in der Öffentlichkeit m. E. anders dargestellt, als sie war. Grundlegend müssen Leute, die gegen das Gesetz verstoßen, bestraft werden. Jedoch kann ich nicht von Gerechtigkeit sprechen, wenn materielle Schäden höher geahndet werden als z. B. Übergriffe jeglicher Art auf Menschen.
Bei diesem Artikel handelt es sich zum Teil 2 einer dreiteiligen Serie. Hier geht es zu Teil 1. Teil 3 wird in wenigen Tagen veröffentlicht.