Harry Potter: Erlaubt das Strafgesetzbuch Notwehr gegen Dementoren?

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“Eine Hand lugte unter dem Umhang hervor und es war eine glitzernd graue, schleimige, verschorfte Hand, wie etwas Totes, das im Wasser verwest war […] Und dann holte das Kapuzenwesen, was immer es war, lange und tief rasselnd Atem, als ob es versuchte, mehr als nur Luft aus seiner Umgebung zu saugen. Eine bittere Kälte legte sich über sie. Harry spürte seinen Atem in der Brust stocken. Die Kälte drang ihm unter die Haut. Sie drang in seine Brust, ins Innere seines Herzens …”

So wird im dritten Harry Potter Buch die erste Begegnungs Harrys mit einem Dementor beschrieben. Glücklicherweise vertreibt der neue Professor für Verteidigung gegen die Dunklen Künste – Remus Lupin – den Dementor im Hogwartsexpress jedoch recht schnell und ein neues Schuljahr in Hogwarts kann beginnen.

Doch was hat das mit Jura zu tun? So einiges! Die interdisziplinäre Forschungsdisziplin “Recht und Literatur” befasst sich unter anderem mit der Art und Weise, wie das Recht in der Literatur dargestellt wird. Und was bietet sich als Forschungsgegenstand hier besser an als die sieben Bücher rund um unseren geliebten Zauberlehrling? Denn immerhin wird im fünften Band der Serie ein ganzer Strafprozess geschildert, an dem die Leser:innen aus Harrys Perspektive teilnehmen.

Band fünf: Angriff der Dementoren!

Aber von Vorne: Am Anfang des Buches “Harry Potter und der Orden des Phönix” wird der Hauptcharakter in den Sommerferien gemeinsam mit seinem Cousin Dudley von Dementoren angegriffen. In den Büchern wird die Szene folgendermaßen beschrieben: “Eine mächtige Gestalt, in einen Kapuzenumhang gehüllt, unter dem weder Füße noch Gesicht zu erkennen waren, glitt sanft über den Boden schwebend auf ihn zu und sog die Nacht in sich ein. Harry stolperte zurück und hob den Zauberstab. “Expecto patronum!” Ein silbriger Dunstfaden schoss aus der Spitze des Zauberstabs und der Dementor wurde langsamer, doch der Zauber hatte nicht richtig gewirkt. Der Dementor neigte sich zu Harry hinunter, und Harry wich, über seine eigenen Füße strauchelnd, weiter zurück, während Panik ihm das Gehirn vernebelte – konzentrier dich. Ein graues, schleimiges, schorfiges Paar Hände glitt aus dem Umhang des Dementors hervor und langte nach ihm. Ein Rauschen erfüllte Harrys Ohren.”Expecto patronum!””

Harry wehrt sich hier also in einem Muggelwohngebiet vor den Augen seines Muggel-Cousins mit dem Zauberspruch “Expecto Patronum” vor dem Angriff durch mehrere Dementoren, die ihm und Dudley die Seele aus dem Leib saugen wollen. Denn das ist es, was Dementoren tun. Übrig bleibt nur die leere, seelenlose Hülle eines Menschen. In den Harry Potter Büchern wird der sogenannte “Kuss des Dementors” deswegen “schlimmer als der Tod” genannt. So weit so gut. Was ist jetzt aber das rechtliche Problem?

Ganz einfach: Harry verstößt in dieser Szene gleich gegen zwei magische Strafgesetze. Einerseits gegen das “Abkommen zur Geheimhaltung der Magie” und andererseits gegen das “Verbot der Zauberei Minderjähriger”. Aus diesem Grund muss er sich vor dem höchsten Gericht der Zaubererwelt – dem Zaubergamot – verantworten. Doch die Richter:innen sprechen Harry frei! Zur Begründung wird angeführt, dass Harry zur Selbstverteidigung gehandelt habe. Und genau das sollte einem auch aus dem deutschen Recht bekannt sein. Wäre Harry hier ebenfalls freigesprochen worden? Aber natürlich!

Voraussetzungen der Notwehr

Auch nach deutschem Recht könnte Harrys gerechtfertigt gehandelt haben. Das wäre dann der Fall, wenn die Voraussetzungen der Notwehr gem. § 32 StGB gegeben wären. Dafür müsste eine Notwehrlage, also ein gegenwärtiger, rechtswidriger, Angriff vorgelegen haben. Unter einem Angriff wird “jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen des Einzelnen” verstanden. Grundsätzlich muss man also von einem Mensch angegriffen werden. Und hier stellt sich bereits die erste Frage: Sind Dementoren Menschen? Die kurze Antwort lautet: Nein! Dementoren haben zwar eine menschliche Statur, sind aber “magische Wesen”. Und nein: Von Dementoren geküsste Menschen werden nicht selbst zu Dementoren! Bei Dementoren handelt es sich vielmehr um eine eigene “Rasse”. § 32 StGB könnte hier also bereits am Fehlen eines menschlichen Angriffs scheitern.

Aber ist das wirklich so? Eine menschliche Handlung wird von der Rechtsprechung unter anderem auch dann angenommen, wenn ein Tier gezielt auf einen Menschen gehetzt wird. Also beispielsweise, wenn man einem Hund befiehlt, jemanden zu beißen. Wieso das hier relevant ist? Weil die Dementoren (zumindest teilweise) unter den Befehlen des Zaubereiministeriums stehen. Zu einem der Plottwists in Band fünf gehört, dass die Dementoren nicht zufällig an Harrys Wohnort auftauchten. Sie wurden vielmehr von der Zaubereiministeriumsangestellten und späteren Professorin Dolores Umbridge dorthin bestellt, um eine Notwehrsituation zu provozieren. Ausnahmsweise kann in Band fünf deswegen vom vorliegen eines menschlichen Angriffs auf Harry ausgegangen werden. Dieser Angriff ist zum Zeitpunkt der Notwehrhandlung auch gegenwärtig und außerdem rechtswidrig.

“Dementors” by DraakeT (DeviantArt)

Fraglich ist deswegen nur noch, ob Harrys Notwehrhandlung auch “erforderlich” und “geboten” i.S.d § 32 StGB ist. Die Notwehrhandlung in Form des Patronus-Zauberspruchs ist grundsätzlich dazu geeignet, den Dementorenangriff abzuwehren. Bei dem Zauberspruch handelt es sich außerdem um das mildeste, zur Verfügung stehende Mittel, das den Angriff beendet. Denn: Andere Zaubersprüche haben gegen Dementoren keine Wirkung. Eine sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts ist nicht ersichtlich. Damit liegen die Voraussetzungen der Notwehr gem. § 32 StGB vor. Harry handelt gerechtfertigt und wäre auch in einem deutschen Strafprozess freigesprochen worden.

Hilfsgutachten: Nostand gem. § 228 BGB

Aber selbst wenn man im vorliegenden Fall einen menschlichen Angriff ablehnen würde, wäre Harry jedenfalls nach § 228 BGB, also dem zivilrechtlichen Notstand, gerechtfertigt. Denn: “Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht.”

Bei dem Dementor handelt es sich zwar um ein magisches Wesen. Tiere werden gem. § 90a BGB aber wie Sachen behandelt. Vorliegend hat Harry damit eine fremde Sache – den Dementor – beschädigt, um damit eine drohende Gefahr von sich und seinem Cousin abzuwenden. Die Beeinflussung des Dementors durch den Patronus-Zauber war dabei auch erforderlich, um die Gefahr abzuwenden und der entstandene Schaden steht nicht außer Verhältnis zur Gefahr. Denn hier drohte mit dem Kuss des Dementors akute Lebensgefahr.

Wir sehen also: Harry hätte auch nach dem deutschen Strafrecht gerechtfertigt gehandelt und wäre somit in einem Strafprozess freigesprochen worden.


Artikelbild: https://www.deviantart.com/


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Jannina Schäffer begibt sich in ihrer Dissertation “Harry Potter und die Gesetze der Macht” (2024, summa cum laude) auf eine fantastische Spurensuche und stellt erstmals das Rechtssystem der Harry-Potter-Welt umfassend dar. Im Rahmen einer rechtsvergleichenden Analyse stellt sie das deutsche Recht dem Recht der Zauberer gegenüber. Dabei bezieht sie auch das historische NS-(Un-)Recht von 1933 bis 1945 in ihre Betrachtung mit ein, denn Parallelen zwischen der Machtergreifung Adolf Hitlers und dem Aufstieg Lord Voldemorts sind in der Literaturwissenschaft allgemein anerkannt. Ein Schwerpunkt des Werks, das der Schnittmengendisziplin „Law and Literature“ zuzurechnen ist, liegt auf dem materiellen und prozessualen Strafrecht sowie der Untersuchung, inwiefern das historische und fiktive (Un-)Recht beiden Diktatoren zur Macht verhalf.

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