Warum das Fach „Rechtsgeschichte“ im Jurastudium unterschätzt wird…

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Die juristische Ausbildung ist ein langer und steiniger Weg. Wenn man seine Kräfte bündelt und es nach acht oder neun Semestern schafft, den Freischuss zu schreiben und zu bestehen, sind trotz alledem vier bis viereinhalb Jahre vergangen und der Weg ist noch nicht gänzlich abgeschlossen. Der Stoff ist dabei teilweise erdrückend. Alleine im zivilrechtlichen Bereich kommen wir auf über 1.500 Probleme (JURios berichtet), die Jurastudierende kennen sollten. Doch in diesem Beitrag soll es nicht um die intensive Zeit oder um den modernen, juristischen Stoff gehen, der an deutschen Universitäten vermittelt wird. Es geht um den Stoff, der nur teilweise oder gar nicht vermittelt wird. Vorne dran die Historie des Rechts und die Idee, warum es überhaupt so etwas wie “das Recht” gibt. Dadurch kann nicht nur das Allgemeinwissen der Studierenden massiv gefördert werden, es kann auch für das Verständnis des modernen Rechts unheimlich hilfreich sein.

„To understand a science, it is necessary to know its history”

Auguste Comte
Tipps fürs Jurastudium

Das Allgemeinwissen wird gefördert!

Wenn man sich vor Augen hält, was die Geschichte der Menschheit an rechtlichen Inhalten bietet, wird man nicht nur erschlagen, sondern fragt sich, warum man das eigentlich als Jurastudierende alles wissen sollte. Das moderne Recht ist ja letztlich das, was im Staatsexamen abgefragt und auch später im Beruf wichtig sein wird. Der letzte Ansatz ist nicht falsch, aber der Blick über den Tellerrand – sprich der Mehrwert, der sich im Allgemeinwissen manifestiert – ist für eine universitäre Ausbildung einfach nicht wegzudenken. Die Liebe zum Detail ist es, die im universitären Sektor den Unterschied machen sollte. Doch dies beantwortet noch nicht die Frage, wo man eigentlich anfangen sollte…

Ein kleiner Exkurs an der Stelle: Die älteste Rechtssammlung der Welt (Stand jetzt), der sogenannte Codex Ur-Nammu aus Mesopotamien, ist über 4000 Jahre alt. Neben für die heutige Zeit eher merkwürdig klingenden Delikten, wie bspw. Hexerei, gibt es dort bereits Bereiche, die auch im heutigen Recht anzutreffen sind. Straftaten wie Mord, Raub oder zivilrechtliche Themen wie Mietzahlungen sowie Erbangelegenheiten waren dort schon über 1.600 Jahre vor dem Zwölftafelgesetz der Römer enthalten. Doch nicht nur solche Aspekte sind interessant. Bereits im alten Ägypten gab es die Unterscheidung zwischen einem Hochgericht (kenbet) und kleinerer Dorfgerichte. Im alten Griechenland wiederum hatte die Bevölkerung Angst, dass Richter sich bestechen lassen, darum gab es keine Berufsrichter, sondern nur Laienrichter, die u.a. durch Los bestimmt wurden. Dies zeigt, dass bereits in einer vormodernen Zeit, die rechtliche Ordnung bzw. die Schaffung von Ausgleich ein unumgänglicher Entwicklungsprozess in der Geschichte der Menschheit war. Das „Recht als modernes Phänomen“ kann daher getrost zur Seite gelegt werden.

„Das Jurastudium ist kein Geschichtsstudium!“, werden nun manche sagen. Ja, das stimmt, nur kann der Blick in die Geschichte das Studium unheimlich spannend machen. Der obere Exkurs zeigt nämlich, wie sich die Menschheit hinsichtlich ihres Rechtsverständnisses in ähnlicher Weise entwickelt hat, wie wir es aus der heutigen Zeit kennen. Umso mehr Menschen auf engem Raum zusammengearbeitet und -gelebt haben, umso relevanter wurden niedergeschriebene Verhaltensregeln und Gesetze. Wer weiß, vielleicht sitzt man bald mal bei Günther Jauch und wird gefragt, wie das Hochgericht der Ägypter bezeichnet wurde, warum die Griechen partout keine Berufsrichter wollten oder wie das älteste Gesetz der Welt heißt. Diese Fragen wären definitiv einer Millionenfrage würdig!

Es hilft außerdem beim modernen Recht!

Dieser Gesichtspunkt wird vor allem deutlich, wenn man einen Blick ins römische Privatrecht wirft. Auch wenn es viele nicht wissen, Ansätze des antiken, römischen Rechts sind heute noch im modernen BGB zu finden. Eine oft genannte Faustregel, die wir aus rechtsgeschichtlichen Vorlesungen mitgenommen haben, lautet: „Wer sich mit dem römischen Recht auseinandersetzt, wird das moderne Zivilrecht besser verstehen.“ Zwar wirkt dieser Ausspruch etwas romantisierend und übertrieben, ein wahrer Kern ist aber ohne Weiteres zu erkennen, wie im Folgenden gleich deutlich wird.

Um in medias res zu gehen (sorry, das musste sein und bedeutet „mitten in die Dinge“), ist zunächst auf das von vielen nicht so geliebte Sachenrecht zu verweisen. Ein umfassender Schutz des Eigentums war nämlich auch im alten Rom an der Tagesordnung. Die Herausgabeklage rei vindicatio beispielsweise war darauf gerichtet, Eigentum (entweder in natura oder in Form eines Geldersatzes) von einem nicht zum Besitz berechtigten Besitzer zurückzuerlangen. „Hä, Klage?“, fragen nun manche zurecht. Die Römer waren noch nicht so keck und unterschieden nicht zwischen materiellem und formellem Recht.

Aber nun weiter im Text: Eine im heutigen Recht, schon vom Namen her augenscheinliche, moderne Adaption dieser antiken Klage findet sich in § 985 BGB wieder. Selbst die allseits verwendete Vindikationslage, welche die obere Sachlage definiert, beziehen wir aus dieser römischen Klage. Hier kann man mit Stumpf und Stiel behaupten, dass der § 985 BGB ein richtiges Urgestein des Zivilrechts ist! Auch die Betrachtung der drei römischen Eigentumsübertragungen, sprich traditio, mancipatio und usucapio offenbaren viele Parallelen. Die beiden letztgenannten Formen sind heute noch in symbolischen Käufen/Veräußerungen (mancipatio) zu erkennen und in der Ersitzung gemäß § 937 BGB (usucapio).

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Mit der traditio wiederum kam etwas auf, was vielen Studierenden immer wieder Probleme bereitet. Friedrich Carl von Savigny stellte nämlich im 19 Jahrhundert, auf der Grundlage der römischen traditio, das Trennungs- und Abstraktionsprinzip auf. Er sah in der traditio demnach einen dinglichen Vertrag, der unabhängig vom schuldrechtlichen Vertrag zu bewerten war. Tja, nun wissen einige Studierende, wer daran Schuld ist, wenn eine Sachenrechtsklausur aufgrund eines Verstoßes gegen das Trennungs- und Abstraktionsprinzips mit drei Punkten bewertet wurde. Der spitzfindige Savigny! Man könnte die Liste hier noch weiterführen, aber der Grundgedanke ist wohl angekommen. Das römische Recht lebt im BGB weiter, ein Blick in die Geschichte kann also ungemein helfen, um einige, moderne Rechtselemente besser zu verinnerlichen.

Rechtsgeschichte macht den Unterschied!

Doch nicht nur die Wurzeln des Rechts können für ein umfassendes Verständnis interessant sein, auch die ethisch-sittliche Komponente im Hinblick auf Rechtsentwicklung sollte den Studierenden wenigstens annähernd geläufig sein. Hierbei hilft ein Blick in die neueste Rechtsgeschichte, die sich je nach Betrachtungshorizont von der Zeit der Aufklärung, über die NS-Zeit bis hin zur Periode des sowjetischen Vasallenstaates, der DDR, zieht. Dies wird aber Stoff für einen anderen Artikel sein!

Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Beschäftigung mit der Geschichte des Rechts gerade an deutschen Rechtsfakultäten einen unheimlichen Mehrwert bringen kann. Anders als in anderen Ländern wird sich hier nämlich weniger auf die Historie des Rechts, sondern mehr auf das moderne, geltende Recht konzentriert. Dies ist im Hinblick auf die Stoffmenge, die bis zum ersten Staatsexamen absolviert werden muss, auch nicht verwunderlich. Gleichwohl würden dem Jus-Studium mehr angebotene Rechtsgeschichtsklausuren, die anstatt anderer Klausuren geschrieben werden können, guttun. Die eigentliche Kür folgt sowieso erst am Ende des Studiums, im Rahmen eines kommerziellen oder universitären Repetitoriums. In den Anfangssemestern kann daher der oben genannte Blick über den Tellerrand getrost intensiver geschärft werden.

Und auch hier bei JURios berichten wir deswegen sehr gerne über Kurioses aus der juristischen Vergangenheit. So beispielsweise über historische Juristinnen, die man unbedingt kennen sollte. Oder darüber, wieso es aus historischer Sicht absolut richtig ist, dass der C.H. Beck Verlag einige seiner Kommentare, die nach Juristen aus dem Dritten Reich benannt waren, umbenannt hat.


Ein gemeinsamer Beitrag von Kevin Frank und Alexander Vogel.

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