Bekanntermaßen ist die Kommunalpolitik die Keimzelle der Demokratie. Hier vor Ort – in den Städten und Dörfern – wird Politik direkt vor der eigenen Haustüre gemacht. Dementsprechend geht es allerdings in vielen Stadt- und Gemeinderatssitzungen auch hoch her! So auch in Freiburg. Der Oberbürgermeister unterstellte einem seiner Ratsmitglieder öffentlich ein “eingeschränktes Demokratieverständnis”. Durfte er das?
Bereits am 26. Mai 2019 fanden in ganz Baden-Württemberg die Kommunalwahlen statt. Auch in Freiburg wurde ein neues Gremium unter dem parteilosen Oberbürgermeister Martin Horn gewählt. Stärkste Kraft wurden die Grünen mit 13 Ratsmitgliedern. Doch schon im Januar 2020 kam es zu einem Eklat. Gleich zwei Stadträtinnen wechselten ihre Fraktion, wodurch sich die Kräfteverhältnisse im Gemeinderat veränderten. Deswegen wurde beantragt, auch die Ausschüsse entsprechend der neuen Mehrheitsverhältnisse neu zu besetzen. In zwei Sitzungen des Ältestenrates wurde daraufhin heiß diskutiert, ob eine derartige Neubesetzung nach der Wahl den Wählerwillen überhaupt noch abbilde. Über die Neubesetzung sollte sodann in einer Gemeinderatsitzung abgestimmt werden.
Diskussion über Neubesetzung der Gremien
Der spätere Kläger war hiermit nicht einverstanden und sagte dazu öffentlich: “[…] geschätzte Kollegen, wir beantragen die Absetzung dieses Tagesordnungspunktes. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, die gemeinderätlichen Ausschüsse neu zu besetzen. In der Tat bin ich erstaunt, dass dieser Punkt überhaupt auf die Tagesordnung kommt. Hieß es doch in den virtuellen Sitzungen während der Corona-Krise, dass die allerwichtigsten Vorhaben in den nächsten Sitzungen behandelt werden sollen, also die wichtigsten. Darunter verstehe ich z.B. dringende Bauvorhaben oder Finanzplanungen in der Krise. Stattdessen beschäftigen wir uns wieder mit uns selbst und hauen später noch Millionen raus, als ob es kein Morgen gäbe. Erst wird einer Oppositionsgruppierung die Redezeit in unverschämter Art und Weise gekappt und jetzt sollen wegen eines Stühlchen-Wechsel-Spiels ausgerechnet X einen unangemessenen Zugewinn an Ausschussposten bekommen.”
Daraufhine erwiderte der Oberbürgermeister der Stadt Freiburg: “Vielen Dank, Herr X, […] Das ist schade, dass Sie das nicht verstehen, aber vielleicht hängt das auch am eingeschränkten Demokratieverständnis. Wir stimmen über ihren Absetzungsantrag ab.” Der Stadtrat forderte den Oberbürgermeister noch in der Sitzung auf, seine Aussage zurückzunehmen, was dieser nicht tat. Im Gremium wurde sodann beschlossen, dass die Ausschüsse neu besetzt werden würden. Daraufhin erhob der Stadtrat Klage vor dem Verwaltungsgericht Freiburg und beantragte die Feststellung, dass die Äußerung des Oberbürgermeisters rechtswidrig gewesen sei. Denn die Äußerung stelle einen groben Verstoß gegen die Verpflichtung zur Sachlichkeit und Neutralität dar.
Kommunalverfassungsrechtlicher Organstreit
Das Gericht urteilte, dass die Feststellungsklage nach § 43 I VwGO in Form eines kommunalverfassungsrechtlichen Organstreits zwar zulässig aber unbegründet sei. Denn: Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Neutralitätspflicht kommunaler Amtsträger:innen und zum Sachlichkeitsgebot bei amtlichen Äußerungen sei auf Redebeiträge von Oberbürgermeister:innen nicht übertragbar. Dieser habe sich hier nicht in Ausübung seiner (hoheitlichen) Leitungsfunktion geäußert, sondern unter Wahrnehmung seines Rederechts als ordentliches Mitglied des Gremiums. Dabei unterliege er denselben rechtlichen Grenzen wie alle anderen Gemeinderät:innen und diese seinen vorliegend nicht überschritten. Die Äußerung des Oberbürgermeisters sei nicht “grob ungebührlich” gewesen.
Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Widerstreit der unterschiedlichen politischen Positionen im Gemeinderat dabei nicht zuletzt von “Debatten, die mit Stilmitteln wie Überspitzung, Polarisierung, Vereinfachung oder Polemik geführt werden”, lebt. Selbst eine ausfällige Kritik an anderen Sitzungsteilnehmer:innen mache eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dies sei erst dann gegeben, “wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund” stehe. Im vorliegenden Fall sei von Bedeutung, dass sich die beanstandete Äußerung des Oberbürgermeisters als Reaktion auf den Redebeitrag des Stadtrates darstellt, in dem dieser die geplante Neubesetzung von Ausschüssen und Gremien ebenfalls mit scharfen Worten kritisiert hat.
Dazu führt das Verwaltungsgericht aus: “Mit der Formulierung “eingeschränktes Demokratieverständnis”, die bei verständiger Würdigung als persönlicher Generalvorwurf gegenüber dem Kläger zu verstehen sein dürfte, hat der Beklagte zwar zweifellos den Rahmen der strikten Sachlichkeit (vgl. § 11 Abs. 4 Satz 2 GO) verlassen. Dies fällt angesichts dessen, dass bereits der vorangegangene Redebeitrag des Klägers in Teilen unsachlich und insgesamt provokant war, aber weniger ins Gewicht.” Der Oberbürgermeister durfte den Wortbeitrag des Stadtrats als Anlass für einen “Gegenschlag” nehmen. Denn er habe hier ersichtlich einen Streit um die Anwendung “demokratischer Spielregeln” zum Anlass genommen, um dem Kläger ein “eingeschränktes Demokratieverständnis” vorzuwerfen. Damit bestehe ein enger sachlicher Bezug zwischen den Äußerungen. Von einer gezielten Diskreditierung ohne Auseinandersetzung in der Sache könne daher nicht die Rede sein.
Fundstelle: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2021, Az. 4 K 3145/20