Setzen, 6! Kin­des­wohl­ge­fähr­dung durch Über­for­de­rung in der Schule

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Wer zu viel Leistungsdruck auf seine Kinder ausübt, muss mit einem Teilentzug des Sorgerechts wegen Kindswohlgefährdung rechnen. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der betroffenen Mutter hatte das Bundes­verfassungs­gericht nicht zur Entscheidung angenommen.

Im vorliegenden Fall ging es um eine Mutter, die mit ihrer 2005 geborenen Tochter in Rheinland-Pfalz lebte. Im Jahr 2012 stellte sich heraus, dass bei der inzwischen siebenjährigen Tochter ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich des Lernens vorliege. Bei verschiedenen Testverfahren wurde ein IQ zwischen 65 und 75 festgestellt. Von einer Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie war deswegen eine leichte intellektuelle Behinderung diagnostiziert worden.

Nachdem das Mädchen die Grundschule beendet hatte, bestand die Mutter gegen den Rat der Fachkräfte auf dem Verbleib in der Regelschule und auf einer inklusiven Beschulung. Sie meldete ihre Tochter sogar auf einem Gymnasium an. Auf Grund verschiedener Konflikte wechselte die Tochter schließlich auf ein Realschule Plus, an der sie täglich drei Stunden beschult wurde. Auch hier traten erhebliche Konflikte auf. Das Jugendamt sah in dem Verbleib des Mädchens auf der Schule deswegen eine Kindswohlgefährdung.

Einleitung eines Sorgerechtsverfahrens

Auf Initiative des Jugendamtes wurde deswegen ein Sorgerechtsverfahren eingeleitet, in dem das Familiengericht der Mutter unter anderem das Recht zur Regelung schulischer Belange ihrer Tochter entzog. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Mutter wies das Oberlandesgericht zurück. Denn das Familiengericht habe zu Recht angenommen, dass das körperliche und seelische Wohl der Tochter aufgrund eines Versagens ihrer Mutter nachhaltig gefährdet sei. Weniger eingriffsintensive Maßnahmen als der Teilentzug des Sorgerechts seien nicht geeignet, die Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden.

Die Mutter übe “trotz stetiger gegenteiliger Ratschläge aller Fachkräfte einen derart enormen Leistungsdruck” auf ihre Tochter aus, dass diese “permanent überfordert, traurig, verzweifelt und ohne jegliche Lebenslust” sei. Sie habe auch bereits Suizidgedanken geäußert. Mitunter komme es auch zu körperlichen Übergriffen der Mutter auf ihre Tochter. Zwischen Mutter und Tochter bestünde gar eine “symbiotische Beziehung”.

Ausübung von unangemessenem Leistungsdruck

Doch auch das Urteil des Oberlandesgerichts wollte die Mutter nicht akzeptieren. Sie legte dagegen Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe ein. Und hatte keinen Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde, in den die Mutter die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 II iVm. Art. 3 III GG rügte, wurde überhaupt nicht zur Entscheidung angenommen. Die Würdigung des Oberlandesgerichts, dass aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts die fachrechtlich vorausgesetzte Kindeswohlgefährdung im Sinne von § 1666 I BGB vorliegt, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Es liegt innerhalb der den Fachgerichten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zustehenden Wertung, das festgestellte Verhalten der Mutter als einen “außergewöhnlichen und aus erzieherischen Gesichtspunkten nicht mehr angemessenen Leistungsdruck” einzuordnen. Die Mutter stelle Anforderungen an die Tochter, die diese permanent überforderten. Sie erwarte die Erbringung schulischer Leistungen, zu denen ihre Tochter auch mit Unterstützung nicht in der Lage sei. Trotzdem übe die Mutter abends stundenlang mit ihrer Tochter und reagiere auf schlechte Noten mit verbalen und auch körperlichen Übergriffen.

Eltern können Ihre Kinder also nicht nur unterfordern, indem sie ihnen Bildungschancen verweigern. Sie können auch eine derartige schulische Überforderung erzeugen, dass dies einen Teilentzug des Sorgerechts rechtfertigt.


Entscheidung: BVerfG, Beschl. v. 14.09.2021, Az. 1 BvR 1525/20

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