AfD-Professor verklagt Studentin auf 25.000 Euro Schmerzensgeld

Die aus Syrien stammende Studentin und Integrationspreisträgerin Bjeen Alhassan wird von ihrem ehemaligen Professor, dem AfD-Politiker Reiner Osbild, auf Schmerzensgeld in Höhe von 25.000€ verklagt.

Bjeen Alhassan flüchtete 2014 von Syrien nach Deutschland. Als Kurdin hatte sie in ihrem Heimatland der Minderheit angehört. Die junge Frau lernte unsere Sprache in Rekordzeit und begann 2016 an der Hochschule Leer/Emden ein Studium, das sie 2019 mit einem Master in Business Administration abschloss. Inzwischen spricht Bjeen Alhassan neben Kurdisch und Arabisch auch fließend Englisch und Deutsch. Gleichzeitig engagiert sie sich in der Flüchtlingshilfe und unterstützt junge Frauen aus Syrien dabei, in Deutschland Fuß zu fassen. Dazu gründete Bjeen Alhassan den Verein “Transfer of Knowledge”. In der Facebook-Gruppe “Lernen mit Bijin”, die knapp 500 Mitglieder hat, gibt sie anderen syrischen Frauen Tipps für den Alltag in Deutschland. Auf Grund ihres herausragenden ehrenamtlichen Engagements wurde Bjeen Alhassan 2020 von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Nationalen Integrationspreis der Bundesregierung ausgezeichnet. Eine große Ehre!

AfD-Professor bewertet Masterarbeit mit 4.0

Doch Bjeen Alhassan erlebt noch immer frustrierende Momente, in denen sie glaubt, in Deutschland niemals wirklich akzeptiert zu werden. Die junge Frau sprach im Oktober 2020 in einem taz-Interview über die Verleihung des Integrationspreises und ihren Alltag als Syrerin in Deutschland.

Zur Sprache kam dabei auch die Masterarbeit der jungen Frau. Für diese erstellte sie ein Online-Training für Menschen in Syrien, bei dem hochqualifizierte Menschen aus Deutschland ihr Know-how digital weitergeben können. Das Problem: Ihr Professor war der Vorsitzende der AfD in Emden, Reiner Osbild. Dieser versicherte der Studentin zwar vorab, dass er nicht ausländerfeindlich sei und dass es bei der Masterarbeit um wissenschaftliches Arbeiten ginge und politische Meinungen da nicht relevant seien. Doch laut Angaben von Bjeen Alhassan im taz-Interview kam dann doch alles ganz anders. Reiner Osbild ließ die junge Frau auflaufen. Erst wenige Tage vor dem Kolloquium teilte er seiner Studentin mit, welche wichtige Thematik nicht eingebracht worden sei. Im Kolloquium erhielt sie dann die Note 4,0. Reiner Osbild setzte der Studentin ein Ultimatum. Entweder sollte sie die 4.0 akzeptieren oder er würde sie durch die Prüfung rasseln lassen. So erzählt es zumindest Bjeen Alhassan.

Im Rahmen der NDR-Talkshow „deep und deutlich“ wiederholte Bjeen Alhassan ihre Anschuldigungen und berichtete erneut öffentlich davon, dass sie sich von Reiner Osbild bei der Verteidigung ihrer Masterarbeit ungerecht behandelt und diskriminiert gefühlt habe.

Das wollte sich Reiner Osbild nicht gefallen lassen. Er beantragte beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen Bjeen Alhassan. Nach einem Hinweis des Gerichts nahm der Professor seinen Antrag teilweise selbst wieder zurück. Bezüglich des restlichen Antrags erließ das Gericht eine einstweilige Verfügung gegen die Studentin. Die Begründung: Die Integrationspreisträgerin könne die Äußerungen des Professors mangels Zeug:innen nicht beweisen.

Der umstrittene AfD-Professor

Doch wer ist der AfD-Mann überhaupt? Reiner Osbild studierte Volkswirtschaftslehre und wurde 1993 mit einer Arbeit zum Thema „Staatliche Eingriffe in den Arbeitsmarkt“ promoviert. Nachdem er für verschiedene Banken gearbeitet hatte war er von 2012 bis 2015 Professor für Volkswirtschaftslehre an der SRH Hochschule Heidelberg. Seit 2015 ist Osbild Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Emden/Leer. Bereits seit September 2013 ist Osbild außerdem Mitglied der AfD und seit April 2017 Mitglied des Vorstands des Kreisverbands Ostfriesland. Er sitzt außerdem im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Nachdem Osbild auf dem Server der Hochschule ein Skript mit dem Titel “Wissenschaftstheorie” bereitgestellt hatte, sah sich die Hochschule zu folgender Stellungnahme gezwungen: “Prof. Osbild arbeitet mit einseitigen, überwiegend polemischen Quellen. Er vermeidet fast durchweg Diskurse zugunsten von Suggestionen und er nutzt polemische Zuspitzungen, die im Diskussionsmilieu des organisierten Rechtsextremismus Parallelen finden.”

Reiner Osbild fiel in der Vergangenheit wiederholt durch rassistische und flüchtlingsfeindliche Äußerungen auf. In einem Vortrag von 2017 stellte er die Aufnahme von Flüchtlingen beispielsweise als Teil eines „satanischen Generalangriffs“ auf das Christentum dar. Auch seine Äußerungen im Internet stammen fast alle aus der rechten Ecke. Sein letzter Facebookeintrag lautet: “Alles sehr einseitig. Es gibt namhafte Wissenschaftler, die einfach totgeschwiegen werden – Propaganda statt Debatte: shame over you!” Eine mutmaßlich islamistische Tat kommentierte er mit: “Psychisch gestört… ist das das neue Aufnahmekriterium?” Zum Pride-Month schrieb er: “#Pride ich finde hier weder etwas Bewundernswertes, noch etwas Nachahmenswertes.”

25.000 Euro Schmerzensgeld

Und jetzt nutzt der Professor seine Macht, um erneut gegen seine ehemalige Studentin vorzugehen. Er reichte Klage gegen Bjeen Alhassan ein und fordert von ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro zuzüglich Anwaltskosten in Höhe von 2.162 Euro. Eine immense Summe. Der Anwalt von Bjeen Alhassan, David Werdermann, geht davon aus, dass die Klage gegen seine Mandantin unbegründet sei. Vielmehr sieht Rechtsanwalt Werdermann darin einen weiteren Einschüchterungsversuch gegen Bjeen Alhassan. Auf Rückfrage von JURios kommentiert er: “Rechtlich ist die Schmerzensgeldforderung unter keinem Gesichtspunkt haltbar. Es geht Herrn Osbild offenbar einzig darum, Frau Alhassan einzuschüchtern. Solche Einschüchterungsversuche sind eine beliebte Strategie von AfD-Politikern.“

Auf der Webpräsenz der Kanzlei heißt es außerdem: „Bereits mit seinem ersten Gerichtsverfahren ist Herr Osbild grandios gescheitert und hat das Gegenteil, von seinem bezweckten Erfolg erreicht: Das rechtliche Vorgehen gegen Frau Alhassan löste eine Welle der Solidarität aus und führte dazu, dass eine öffentliche Diskussion über Rassismus an Hochschulen und über den Umgang mit AfD-Funktionären in Machtpositionen begonnen hat. Diese Diskussion ist dringend erforderlich und benötigt insbesondere die Stimmen derjenigen, die unmittelbar betroffen sind.“

Update: Klage abgewiesen

Das Landgericht Hamburg hat die Klage des AfD-Professors gegen Bjeen Alhassan abgewiesen! Sein Unterlassungsanspruch und die Forderung von Schmerzensgeld sei unbegründet. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass es dem Kläger nicht lediglich um die Untersagung bestimmter Äußerungen in einem bestimmten Kontext ging. Der Professor verlangte vielmehr, seiner ehemaligen Studentin zu untersagen, mit entsprechenden Äußerungen einen bestimmten Eindruck zu erwecken, ohne auf den jeweiligen Kontext der Äußerungen abzustellen. Ein so weit gehender Unterlassungsanspruch wäre nach Auffassung der Kammer nur denkbar bei Äußerungen, die schlechthin und in jedem denkbaren Zusammenhang unzulässig sind. Das ist hier aber gerade nicht der Fall.

Bjeen Alhassan selbst äußert sich über eine Pressemitteilung ihres Anwalts David Werdermann zum Ausgang des Rechtsstreits: „Nach einem nervenaufreibenden Rechtsstreit kann ich endlich aufatmen. Das Landgericht hat bestätigt, dass ich über meine Diskriminierungserfahrungen sprechen darf. Ich hoffe, dass ich andere Betroffene von Diskriminierung ermutigen kann, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Rassismus darf keinen Platz an Hochschulen haben.”


Entscheidung: LG Hamburg, Urt. v. 29.04.2022, Az. 324 O 261/21

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