Corona und die Justiz. Eine ewige Tragödie. In der neusten Gerichtsentscheidung trifft die Pandemie auf die Tücken eines digitalen Berufsalltags. Das Bundessozialgericht in Kassel musste entscheiden, ob der Sturz zwischen Bett und Homeoffice-Arbeitsplatz einen Arbeitsunfall darstellt.
In diesem Fall aus dem Arbeits- und Versicherungsrecht ging es um einen Mann, der als Gebietsverkaufsleiter im Außendienst tätig ist. Eines morgens geschah dem Arbeitgeber ein unangenehmes Missgeschick: Er rutschte auf der Wendeltreppe zwischen seinem Schlafzimmer und seinem Homeoffice-Arbeitsplatz eine Etage tiefer aus. Dabei brach sich der Mann einen Brustwirbel. Die Berufsgenossenschaft sah sich für den Fall nicht zuständig. Der Unfallversicherungsschutz beginne in einer Privatwohnung erst mit Erreichen des häuslichen Arbeitszimmers. Gegen diese Einschätzung wehrte sich der Arbeitgeber gerichtlich vor dem Sozialgericht Aachen (Urt. v. 14.06.2019, Az. S 6 U 5/19) und dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 09.11.2020, Az. L 17 U 487/19). Dort begehrte er jeweils erfolglos die Feststellung, dass es sich bei dem Sturz um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Zur Begründung führten die Gerichte an: Der erstmalige morgendliche Weg ins Homeoffice sei kein Betriebsweg, sondern eine unversicherte Vorbereitungshandlung, die der eigentlichen versicherten Tätigkeit nur vorausgehe.
Frühstück oder kein Frühstück? Das ist hier die Frage!
Dagegen legte der Mann Revision zum Bundessozialgericht ein und bekam überraschend Recht. Der Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme sei als Betriebsweg versichert. Bei dem Sturz handele es sich um einen Arbeitsunfall.
Ausnahmsweise sei ein Betriebsweg auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn sich Wohnung und Arbeitsstätte wie hier im selben Gebäude befinden. Dafür müsse aber ein sogenannter “Betriebsweg” vorliegen, also ein Weg, der im unmittelbaren Unternehmensinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Dies bestimme sich auch im Homeoffice nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob dieser bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Entscheidend war im vorliegenden Fall, dass der Mann üblicherweise unmittelbar nach dem Aufstehen zu arbeiten beginnt, ohne vorher zu frühstücken.
Doch auch Corona wird als Begründung herangezogen. “Nicht zuletzt in Anbetracht der aktuellen Pandemielage arbeiteten viele Menschen von zu Hause aus. Diese dürften hinsichtlich des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung nicht schlechter stehen als die Arbeitnehmer im Betrieb. Es müsse sich deshalb beim Weg zur erstmaligen Aufnahme der Tätigkeit im Homeoffice in der Privatwohnung um einen versicherten Betriebsweg handeln”, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts. Arbeitnehmer:innen im Homeoffice können also aufatmen. Und im Zweifelsfall auch mal ausrutschen. Aber nur auf dem direkten Weg ins Arbeitszimmer!
Entscheidung: Bundessozialgericht, Urt. v. 08.12.2021, Az. B 2 U 4/21 R