OLG Stuttgart: Heilung von Augenentzündung und Impotenz durch “sexuelle Impulse”

Aus dem Jahr 1961 stammt ein höchst kurioses Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart, das wir Euch auf keinen Fall vorenthalten möchten.

Und worum ging es? Ein Mann hatte etwa sieben Monate lang eine Affäre mit einer Frau unterhalten. Dieser hatte er bewusst wahrheitswidrig vorgespiegelt, “sein Augenleiden (Aderhautentzündung) sei ebenso wie die bei ihm bestehende erhebliche Beeinträchtigung seiner sexuellen Potenz auf eine Herdinfektion zurückzuführen, die durch eine Verwundung seines Geschlechtsteils im Kriege verursacht sei und nach Meinung seines Arztes nur dadurch abgebaut werden könne, daß er erotische ‘Impulse’ von einer Frau auf sich wirken lasse; wenn er keinen entsprechenden Umgang mit einer Frau unterhalte, laufe er Gefahr zu erblinden und möglicherweise sogar zu verblöden.”

Unzüchtige Handlungen als Beleidigung

Das Amtsgericht und das Landgericht sahen in den unzüchtigen Handlungen des Angeklagten eine fortgesetzte Beleidigung (§ 185 StGB) der Frau und verurteilten ihn deshalb zu einer Gefängnisstrafe. Die Einwilligung der Frau in den Geschlechtsverkehr hielten die Gerichte für unbeachtlich, weil diese an die Vorspiegelungen des Mannes geglaubt und durch die grobe Täuschung über den Zweck seiner Handlungen geirrt habe. Gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart legte der Mann Revision zum OLG Stuttgart ein und hatte damit Erfolg.

Damals war absolut unbestritten, dass derartige “unsittliche Handlungen” den Tatbestand der Beleidigung iSd. § 185 StGB erfüllen können. Allerdings war die Beleidigung dann nicht rechtswidrig, wenn der oder die Betroffene mit ihr einverstanden ist. So die ständige Rechtsprechung. Das OLG Stuttgart musste sich in seinem Urteil hier also mit dem Einverständnis der Frau in die sexuellen Handlungen auseinandersetzen.

Dazu führten die Richter:innen aus: “Nach den bisherigen Feststellungen kann zwar davon ausgegangen werden, daß die Zeugin H. bei dem ersten Geschlechtsverkehr und auch bei dem ersten Mundverkehr, zu dem es bei dem nächsten Zusammensein mit dem Angekl. kam, von ihm durch die Art seines Vorgehens gewissermaßen überrumpelt worden war. Wenn sie sich dann im Laufe eines reichlichen halben Jahres trotzdem noch insgesamt elf mal mit ihm traf, so hätte das LG aber näher prüfen müssen, ob sie wirklich bis zuletzt nur ein Opfer seiner Täuschungen geblieben war, oder ob sie etwa nachträglich doch auch ein eigenes Interesse an den Zusammenkünften gewonnen hatte.”

Mehrere Frauen nahmen am Geschlechtsverkehr teil

Und weiter: “Einer besonderen Würdigung hätte ferner der Umstand bedurft, daß es der Zeugin H., wie das LG festgestellt hat, gar nicht unangenehm war, daß sich später gleichzeitig mit ihr noch andere Frauen an den ‘Behandlungen’ beteiligten, weil sie danach nicht mehr alles allein zu dulden ‘und die Verantwortung nicht mehr allein zu tragen brauchte’. Das LG hätte näher darlegen müssen, welche Verantwortung hierbei gemeint war. Falls der Zeugin H. etwa, als sie sich mit der Zuziehung weiterer ‘Helferinnen’ einverstanden erklärte, bereits innere Zweifel gekommen sein sollten, ob das, worauf sie sich mit dem Angekl. einließ, sittlich zu rechtfertigen sei, und falls sie die Mitwirkung weiterer Frauen an seinem Treiben daher als eine Beruhigung ihrer Zweifel empfunden haben sollte, so wäre zu erwägen gewesen, ob die Zeugin danach nicht mindestens das Risiko, ihre Einwilligung zu einer unsittlichen Sache zu geben, bewußt einging, und ob nicht dieser Gesichtspunkt der Annahme einer Beleidigung entgegensteht.”

Auf Grund dieser Zweifel könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Frau mit den unsittlichen Handlungen einverstanden gewesen sei.


Fundstelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 07.07.1961, Az. 2 Ss 213/61

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