Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache erlebt einen immer stärker wachsenden Einfluss im täglichen Sprachgebrauch. Ob Sternchen, Bindestriche oder Doppelpunkte: Das Gendern ist aus vielen Texten allmählich nicht mehr wegzudenken. Ein widerstreitendes Thema ist die Berücksichtigung der geschlechtergerechten Sprache in universitären Prüfungsarbeiten. Das musste auch kürzlich ein Lehramtsstudent der Uni Kassel erfahren.
In Studienarbeit nicht gegendert
Der Fall um den Lehramtsstudent Lukas Honemann, Geschäftsführer der örtlichen CDU-Kreistagsfraktion, hat für öffentliches Aufsehen gesorgt. In einer Teilaufgabe verwendete der 21-Jährige das generische Maskulinum. Daraufhin wurde seine Studienarbeit schlechter bewertet. Als er davon Kenntnis erhielt, beklagte er öffentlich, dass seine Studienarbeit wegen Missachtung der gendergerechten Sprache schlechter bewertet worden sei.
Die Uni Kassel blieb nicht untätig und gab ein Rechtsgutachten in Auftrag. In diesem setzte sich der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Michael Sachs kritisch mit der Frage auseinander, ob „gendergerechte Sprache“ als Kriterium bei der Bewertung von Prüfungsarbeiten herangezogen werden darf. Sachs ist Staats- und Verwaltungsrechtler und vielen Studierenden als Herausgeber des gleichnamigen Grundrechtskommentars bekannt. In der Gender-Forschung war Sachs allerdings noch nicht tätig.
Grundsätzlich unzulässiges Kriterium
Das Gutachten kam zu dem Schluss, dass eine geschlechtergerechte Sprache in Prüfungsarbeiten nicht berücksichtigt werden darf. Es sei kein weiteres allgemeines formales Kriterium. Dies liege laut Sachs an der fehlenden Anerkennung bzw. Regelung, wie sie für Grammatik oder Rechtschreibung besteht. In einigen Fällen könnten jedoch Ausnahmen gemacht werden, um es den Dozent:innen zu ermöglichen, das Gendern bei der Bewertung zu berücksichtigen. Dies gelte jedoch nur dann, wenn für eine bestimmte Prüfung ausreichend fachliche oder berufsqualifizierende Referenzen vorliegen. “Auch sei generell der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren“, schreibt Sachs in seiner Begründung.
Fehlende Rechtsgrundlage bedeutendes Problem
Bereits 2015 sorgte ein ähnlicher Vorfall an der Technischen Universität Berlin für öffentliche Aufregung. Dort wurde einem Studenten aufgegeben, seine Hausarbeit unter Berücksichtigung der „gendersensiblen Sprache“ anzufertigen. Allenfalls drohten ihm Punktabzüge. Daraufhin wandte sich der irritierte Student an die Rechtsabteilung der Universität. Diese teilte ihm mit, dass eine solche Vorgabe nicht existiere.
In beiden Fällen wird deutlich, was das eigentliche Problem in der Debatte ist: Es fehlt an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Weder auf Bundes-, Landes- oder Hochschulebene findet sich eine entsprechende bzw. vergleichbare Regelung. Auch die Rechtsprechung konnte bisher keine weiteren Anhaltspunkte geben.
Mit dem verfassten Gutachten sieht sich die Uni Kassel in ihrer vorherigen Auffassung bestätigt: Im Einzelfall darf „gendergerechte Sprache“ als Kriterium berücksichtigt werden. Zurückhaltung sei jedoch weiterhin geboten. Eine Aussage zu diesem Thema sei schwer zu treffen.
Gendern im Jurastudium?
Und wie sieht es mit der gendergerechten Sprache im Jurastudium aus? Grundsätzlich handhaben das die Juraprofessor:innen bundesweit eher konservativ. An einigen Universitäten gibt es jedoch Bestrebungen, das Gendern in den Studienalltag einzubeziehen. So haben einige juristische Fakultäten beispielsweise Leitfäden für die Verwendung gendergerechter Sprache im Unialltag (außerhalb von wissenschaftlichen Arbeiten) herausgegeben. Unter ihnen ist die Universität Tübingen.
Die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Hamburg hat in Kooperation mit der Bucerius Law School sogar eine Studie mit dem Titel “(Geschlechter)Rollenstereotype in juristischen Ausbildungsfällen“ in Auftrag gegeben. Und auch an der Universität Frankfurt a.M. gibt es eine Handreichung des Gleichstellungsrates zur Formulierung „Geschlechtsneutraler Fallgestaltungen“ im Jurastudium. Über einen entsprechenden Offenen Brief des Fachschaftsrates der Europa-Universität Viadrina zu genderneutralen Fallgestaltungen im Jurastudium berichtete JURios bereits 2021.
An der Universität Leipzig tobt hingegen weiterhin der Streit über eine mögliche Umbenennung der „Juristenfakultät“. Denn im Gegensatz zu den „juristischen Fakultäten“ der anderen Universitäten findet sich an der Uni Leipzig explizit das generische Maskulinum im Namen der Fakultät (JURios berichtet).
Über einen besonders kuriosen Fall des juristischen Genderns haben wir hier auf unserem Blog bereits 2020 geschrieben. Die Juristin Corinna Ujkasevic hat ihre Promotion mit dem Titel: „Die Kompensation von Verfahrensrechtsverstößen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte“ komplett im generischen Femininum geschrieben und stieß damit auf erheblichen Widerstand.
Pressemitteilung: https://www.uni-kassel.de/