Rechtfertigt die “Hals­ab­schneider-Geste” bei Twitter juristisch eine Accountsperre?

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In der Corona-Pandemie haben sich viele Menschen radikalisiert. Das zeigt unter anderem die Statistik zu politisch motivierten Straftaten. Diese stiegen 2021 gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent auf 47.303 Delikte. Der Cybercrime-Report verzeichnet für das Jahr 2020 sogar einen Anstieg von insgesamt rund 26 Prozent. Nicht verwundernswert ist deswegen, dass auch die Nutzer:innen in den Sozialen Netzwerken aufeinander losgehen. Die häufigsten Dellikte: Beleidigungen und Bedrohungen. Das Landgericht Lübeck musste jetzt in einem Fall entscheiden, in dem ein Nutzer auf Twitter ein Bild aus dem Film “The Addams Family” mit einer “Halsabschneider-Geste” gepostet hatte. Ist darin ein Aufruf zur Tötung zu sehen?

Aber worum ging es genau? Auf Twitter wurde im November 2021 ein Tweet mit dem Inhalt “Freiheit ist wichtiger als Gesundheit” und dem Titel “Shall we play a game?” gepostet. Ein Twitternutzer kommentierte diesen Tweet wiederum mit einer Szene aus dem Film “The Addams Family”. Das Mädchen Wednesday Adams hält darin eine kopflose Puppe in der Hand und fährt sich mit der Hand über den Hals.

Wednesday Adams aus “The Addams Family” – Veröffentlicht von ABC-Television 1964, produziert von MGM.

Tweet gelöscht und Account suspendiert

Daraufhin suspendierte Twitter den Account des Nutzers. Dieser konnte dann nur noch Inhalte lesen, aber keine eigenen Inhalte mehr erstellen. Twitter begründete diesen Schritt mit einem Verstoß gegen die Twitterregeln über “abuse und harassment”. Das wollte sich der betroffene Nutzer jedoch nicht gefallen lassen. Er beantragte vor dem Landgericht Lübeck, Twitter dazu zu verurteilen, den gelöschten Tweet wiederherzustellen und die Sperre seines Accounts aufzuheben. Twitter sah in dem Bild jedoch einen Aufruf zu körperlicher Gewalt iSd. § 111 StGB sowie eine Bedrohung iSd. § 241 StGB. Straftaten seien nicht mehr von der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I GG gedeckt.

Dieser Beurteilung schloss sich das LG Lübeck jedoch nicht an. Es verurteilte Twitter, den Tweet wiederherzustellen und den Account freizugeben. Der Anspruch des Nutzers ergebe sich aus §§ 280 I, 249 I BGB. Denn: Twitter habe gegen seine vertragliche Verpflichtung aus dem Nutzungsvertrag verstoßen. Das Bild der “Halsabschneider-Geste” sei strafrechtlich nicht relevant und habe auch nicht gegen die Richtlinien von Twitter verstoßen. Denn: Der Kommentar sei von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Halsabschneider-Geste als Metapher

Und wieso? Das gepostete Foto von Wednesday Adams sei nicht eindeutig zu beurteilen. Die Geste des Mädchens könne als “Metapher” für den Wunsch gesehen werden, dass “ein Zustand oder eine Betätigung enden” möge. Bei der “Halsabschneider-Geste” handele es sich um eine “allgegenwärtige Geste”, der “nahezu jeder Bedeutungsgehalt” zukommen könne. Man könne sie auch als “Schach matt” deuten. Durchschnittliche Beobachter:innen würden darin jedenfalls keine Ankündigung einer Tötung des Gegners oder einen Aufruf zu dessen Tötung erkennen können.

Für diese Argumentation stützten sich die Richter:innen auch auf den Inhalt der “Addams Family”. Denn in dem Film liebe man das Makabre. So schmiede das Mädchen Wednesday zwar Mordpläne gegen ihren Bruder, dies sei jedoch Teil der absurden Charakterisierung der Personen im Film. Hätte der Twitternutzer zur Tötung aufrufen wollen, hätte er dazu “einen kämpferisch auftretenden Agenten anstelle der Figur der Wednesday Addams auswählen müssen”. Auch die Verbindung mit dem Tweet “Shall we play?” ändere daran nichts. Denn diese Frage stamme aus der Filmreihe “Saw” und sei als rhetorische Frage (eines Serienmörders an seine hilflosen Opfer) aufzufassen.

Gesellschaftlicher Kontext erlaubt Polarisierung

Außerdem sei der Tweet im Kontext der Corona-Pandemie zu sehen. Die Corona-Maßnahmen seien gerade als “Einschränkung der Freiheit zur Bekämpfung der Pandemie gedacht”. Somit bestünde ein gesellschaftlicher Zusammenhang, in dem der Twitternutzer auch polarisierend auftreten dürfe. Polarisierungen zeichneten sich gerade daurch aus, dass sie oft überspitzt und provozierend sind, um zur leichteren Verständlichkeit beizutragen.

Zudem läge kein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen von Twitter vor, weil das Unternehmen das streitgegenständliche Bild selbst zu Kommentarzwecken zur Verwendung bereithalte. Twitter verhalte sich deswegen widersprüchlich.


Entscheidung: LG Lübeck, Urt. v. 17.1.2022, Az. 10 O 387/21

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