Interview: Die Initiative „iur.reform“ setzt sich für eine Reform des Jurastudiums ein

Fragt man Jurastudierende, Rechtsreferendar:innen und junge Jurist:innen so wird schnell eines klar: Eine Reform des deutschen Jurastudiums ist lange überfällig! Wieso tut sich in dieser Sache also seit Jahrzehnten kaum etwas? Das fragen sich auch die Macher:innen hinter „iur.reform“. Die Initiative setzt sich für die lang überfällige Reform des Jurastudiums ein. Denn die Frage ist nicht mehr: Wird es eine Reform geben, sondern wie wird sie aussehen?

Eine lange Regelstudienzeit, ein mit theoretischem Wissen vollgestopftes Examen, Methoden aus den 50ern, eine exorbitante Abbrecherquote und viele Jurastudierende mit psychischen Problemen. Um schlagwortartig nur einige der Probleme zu nennen, die das deutsche Jurastudium im Jahr 1990 genauso aufgewiesen hat, wie heute. Gleichzeitig werden junge Jurist:innen auf die Praxis, also beispielsweise die Rhetorik vor Gericht und die Organisation einer eigenen Kanzlei überhaupt nicht vorbereitet.

Und hier liegt der Hund begraben: Die Initiative iur.reform hat festgestellt, dass sich die juristische Ausbildung in den letzten 152 Jahren kaum geändert hat. Die klassische zweistufige juristische Ausbildung (Universität, Referendariat) besteht noch heute in der schon 1896 in Preußen eingeführten Form. Obwohl es zwischenzeitlich zahlreiche Reformvorschläge gab. Diskutiert wurde eine Reform des Jurastudiums in den letzten 20 Jahren in rund 250 Zeitschriftenbeiträgen, Interviews und Debatten. Getan hat sich gefühlt überhaupt nichts. Oder wenn, dann lediglich kosmetische Änderungen innerhalb der einzelnen Bundesländer. Oft auch noch gegen den Widerstand der Fachschaften und Studierenden selbst. Daran will die Initiative jetzt endlich etwas ändern.

Liebes Team von iur.reform, möchtet Ihr Euer Anliegen kurz vorstellen?

“Unser Verein Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Diskurs um die Ausbildungsreform zu bündeln. Das heißt, wir wollen erreichen, dass die verschiedenen Akteur:innen im Reformdiskurs (Praktizierende, Lehrende, Studierende etc.) miteinander und nicht nur untereinander Reformoptionen diskutieren. Das ist nämlich bei der Analyse des Diskurses der letzten 20 Jahre besonders aufgefallen: Viele Vorschläge, ganz unabhängig von der Bewertung, werden oftmals in den luftleeren Raum geschrieben, ohne irgendeine nennenswerte generelle Debatte oder Konsequenz auszulösen. Um das zu bündeln, haben wir aus diesen Beiträgen der letzten 20 Jahre insgesamt 44 Thesen entwickelt, die wir nunmehr zur Abstimmung stellen. Am Ende stehen dann auf Evidenz fußende Reformwünsche.”

https://iurreform.de/

Was sind in Euren Augen die größten Mängel der derzeitigen juristischen Ausbildung?

Tobias Pollmann: Für mich persönlich besteht der wohl größte Mangel im Staatsexamen selbst: Mind. 6 Klausuren á 5 Stunden in einem zweiwöchigen Zeitraum nicht nur kursorisch, sondern auch in Tiefe zu lösen, könnte kaum praxisferner sein. Natürlich ist es für die Einzelperson auch in der Praxis nötig, einen Sachverhalt schnell zu erfassen und zu bewerten, allerdings kann man dies m.E. auch anders trainieren als mit einer körperlichen und insb. psychischen Tortur. Denn die Klausuren entscheiden ja im schlimmsten Fall über mehr als 4 Jahre Studiumszeit. Wer da ein paar schlechte Tage hat, kann sich viele Jobs, für die er oder sie im Grunde gut geeignet wäre, quasi schon abschminken. Damit verlieren wir m.E. viele Talente.

Um sich vorzubereiten hat die Initiative zunächst unter anderem 250 Zeitschriftenbeiträge, Interviews und Debatten zur Frage der Reform des Jurastudiums ausgewertet. Darin stießen sie auf rund 60 Vorschläge von Professor:innen, Praktiker:innen, studentischen Initiativen und Verbänden. Auch BRF, DAV und ELSA haben in der Vergangenheit kleinere Umfragen zu Reformüberlegungen durchgeführt. Passiert ist aber nicht viel: Die nach langen Diskussionen verabschiedete getrennte Ausweisung der Schwerpunktnote auf dem Zeugnis steht exemplarisch für die nur kosmetischen Reformen, auf die man sich einigen konnte. Immerhin hat der Bundesgesetzgeber inzwischen eine Rechtsgrundlage für das elektronische Examen und das Referendariat in Teilzeit geschaffen.

Aus den 60 Reformvorschlägen hat das Team von iur.reform insgesamt 44 Ideen herausgegriffen, die auf der Website der Initiative jeweils mit Pro- und Contra-Argumenten vorgestellt werden. Unter ihnen beispielsweise der „integrierte Bachelor“, das „bundesweite Abschichten“, das „Abschaffen des Schwerpunktes“, eine „Änderung des Notenstufen-Systems“ und vieles mehr.

Welche Reformvorschläge haben euch exemplarisch am meisten überzeugt?

“Wir halten uns mit persönlichen Bewertungen der einzelnen Thesen zurück, um dem wissenschaftlichen Anspruch gerecht zu werden. Schaut man sich die Abstimmung an, wird man allerdings bereits im ersten Thesenblock mit den „16 meistdiskutierten Thesen“ konfrontiert. Diese 16 Thesen  halten wir als Verein für besonders wichtig, denn sie wurden besonders intensiv diskutiert – daraus haben wir also vorab eine Wichtigkeit gezogen, die natürlich das Abstimmungsergebnis beeinflusst. Da es nach jedem Thesenblock möglich ist, die Abstimmung zu beenden, wird es Teilnehmende geben, die nur diese 16 Thesen sehen.

Die hier erwähnten 16 Thesen lauten:

  • Integrierter BachelorEinstufige
  • Juristenausbildung (Loccum)
  • Reduzierung des Prüfungsstoffes
  • Legal Tech als Bestandteil des Studiums
  • Methoden der Sozialwissenschaften als Teil des Studiums
  • Mediation und sonstige außergerichtliche Streitbeilegung als Teil des Studiums
  • Abschaffung des Schwerpunktstudiums
  • Bundesweites Abschichten
  • E-Examen in allen Bundesländern
  • Zugriff auf Online-Datenbanken während des Examens
  • Handkommentare auch im Ersten Staatsexamen
  • Unabhängige Bewertung der Examensklausuren
  • Argumentation abseits der Lösungsskizze stärken
  • Emotionale Entlastung des Studiums

Auf Eurer Website bemängelt ihr, dass ein „gemeinsamer Diskurs“ fehlt. Wie sieht Eure Lösung aus?

“Wie bereits vorher angerissen, ist die Lösung unseres Erachtens, durch die Abstimmung den Diskurs zu bündeln. Wir hoffen damit, den Diskurs wieder anzukurbeln und idealerweise eine auf der Abstimmung fußende Reform zu erreichen. Dadurch, dass sich nach der Abstimmung und ihrer Auswertung alle über eine Datenbasis unterhalten können, ist ein gemeinsamer Diskurs viel machbarer – es braucht nicht mehr gemutmaßt werden, was z.B. Studierende oder Professor:innen wollen, sondern man kann dies nachschauen. Das erfordert natürlich eine möglichst breite Teilnahme an der Abstimmung.”

Seit dem 17. Januar 2022 kann man sich auf www.iurreform.de an der Abstimmung über die 44 vorgestellten Thesen beteiligen. Diese läuft noch bis zum 17. Juli 2022. Aus den Ergebnissen der Abstimmung möchte die Initiative eine Studie erstellen, die aufzeigen soll, wie die verschiedenen Gruppen zu den Reformvorschlägen stehen. Das Ergebnis der Abstimmung soll dann als Grundlage des grundsätzlich ergebnisoffenen Diskurses über eine Reform des Jurastudiums dienen.

Wie geht es nach der Umfrage weiter? Habt ihr konkrete Pläne für die Zukunft?

“Sobald die Abstimmung endet, machen wir uns an die Auswertung. Wie es danach weitergeht, ist derzeit offen – idealerweise erreichen wir eine große Diskussion über die möglichen Reformoptionen, an der alle relevanten Akteur:innen beteiligt sind.”

Ihr könnt iur.reform auch auf Instagram und Twitter folgen. Helft dabei, eine Datenbasis für die Reform des Jurastudiums zu schaffen und nehmt an der Umfrage teil!


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Redaktion
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JURios. Kuriose Rechtsnachrichten. Kontakt: redaktion@jurios.de

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