Interview: Im Gefängnis ein Kind bekommen – Anna erzählt uns ihre Geschichte

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Anna wurde 2020 wegen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe von 26 Monaten verurteilt. Etwas über ein Jahr saß sie in der JVA Gelsenkirchen ein. In dieser Zeit gebar die dreifache Mutter mit Ende 20 ihr viertes Kind, eine Tochter. Im Interview mit JURios erzählt sie von ihrer Zeit im Gefängnis und wie es ihr heute in Freiheit geht.

Anna lernte den späteren Vater ihrer ersten drei Kinder in einem Club kennen. Er war Zeitsoldat und sehr aufmerksam und liebevoll. Am Anfang der Beziehung war alles ganz toll. Doch mit ihrer ersten Schwangerschaft begann das Martyrium. Ihr Lebensgefährte entpuppte sich als Narzisst. Er wollte Annas Leben kontrollieren und wurde übergriffig, wenn sie nicht alle seine Regeln genauestens befolgte. Damals war Anna gerade im siebten Monat schwanger. Trotzdem blieb sie bei ihm. Es folgten zwei weitere Kinder. Zwar war ihr Lebenspartner gegenüber den Kindern nicht übergriffig, sie litten aber unter seinem Verhalten und bekamen viel mit. Auch, weil sie niemanden hatte, an den sie sich hilfesuchend wenden konnte, blieb Anna in der gemeinsamen Wohnung. Sie lebte zu diesem Zeitpunkt etwa 350 km von ihrer Heimat entfernt. Familie und Freund:innen bekamen kaum mit, wie es ihr ging. Sie schämte sich, mit anderen über ihre Situation zu reden.

Betrügerin geworden, um dem Ex zu entfliehen

Irgendwann beschloss Anna, sich und ihre Kinder aus der Situation zu befreien. Doch ihr Lebensgefährte kontrollierte auch die Finanzen. Anna hatte eine Ausbildung zur Zahnmedizinischen Fachangestellten gemacht. Ihre Rücklagen reichten aber nicht, um einfach auszuziehen. In dieser verzwickten Situation wurde Anna schließlich zur Betrügerin. Sie erschwindelte sich Geld von mehreren Opfern. Details möchte sie nicht verraten. Auch, um nicht andere auf ähnliche Gedanken zu bringen.

Du wurdest zur Betrügerin, um dich und deine Kinder zu retten. Wie ging es dir in dieser Zeit?

Anna: „Mir ging es sehr schlecht. Psychisch und physisch. Es war jeden Tag ein Kampf, ein Kampf ums Überleben. Aber ich wusste, ich muss durchhalten. Für mich und für meine Kinder. Aufgeben war keine Option. Es gab Phasen, wo es erträglich war, aber es gab auch Tage, an denen ich mir gewünscht habe, dass ich es einfach nicht überlebe. Einfach, damit es aufhört. Mir hat es sehr an Mut gefehlt, um einfach zu gehen. Teilweise hatte ich keine Chance zu gehen, weil ich eingesperrt wurde. Ich war in einem Teufelskreis gefangen. Vor allem, weil ich ihm ja wirklich geglaubt habe, dass ich nichts wert bin, dass ich alleine nichts kann.“

Doch bald kam ihr die Polizei auf die Schliche. Anna wurde am 11.12.2019 verhaftet und der Richter erließ einen Untersuchungshaftbefehl. Von einen Tag auf den anderen kam Anna in ein Frauengefängnis. Am gleichen Tag wurden ihre Kinder in zwei verschiedenen Pflegefamilien untergebracht. Angeblich, weil keine Pflegefamilie gefunden werden konnte, die alle drei Kinder auf einmal aufnehmen konnte. Die Pflegemutter der beiden älteren Jungen erzählte ihnen die Wahrheit. Dass ihre Mutter im Gefängnis saß. Die Pflegemutter der jüngeren Tochter erzählte dem Kind, die Mutter sei im Krankenhaus.

Verurteilung zu Haftstrafe trotz Schwangerschaft

Später wurde Anna vom Amtsgericht Essen zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 26 Monaten verurteilt. Eine Aussetzung zur Bewährung war damit nicht mehr möglich. 13 Monate der Haftstrafe musste Anna auch tatsächlich absitzen. Eine zusätzliche Belastung: Zum Zeitpunkt des Urteils war Anna bereits erneut schwanger. Nicht von ihrem Ex, sondern von ihrem neuen Freund.

Wie reagierte dein neuer Freund auf deine Verurteilung und deine Schwangerschaft in Haft? Wusste er von deinen Betrügereien? Hielt er zu dir?

Anna: „Er wusste davon nichts. Es gab einen langen Streit und einen kurzzeitigen Kontaktabbruch. Ich habe nicht aufgegeben, bin hartnäckig geblieben und irgendwann konnten wir wieder miteinander sprechen. Und unserer Liebe noch eine Chance geben. Aber die Beziehung hat die Haft trotzdem nicht überlebt.“

Die Zeit in Haft gestaltete sich für Anna schwierig. Doch sie hatte Glück im Unglück. Ihre erste Zellennachbarin nahm sich der jungen Mutter an und unterstützte sie. Erst nach einigen Wochen erfuhr Anna, dass sie sich die Zelle mit einer versuchten Mörderin teilte. Doch im Gefängnis gelten andere Regeln als in der Freiheit. Hier zählt, wie dich die Person in Haft behandelt. Nicht, was sie davor getan hat.

Geburt und Kindererziehung im Gefängnis

Nach fünf Monaten in Haft bekam Anna ihr viertes Kind. Doch bereits drei Tage nach der Geburt zog das Baby offiziell zu seinem Vater. Anna war zu diesem Zeitpunkt bereits im offenen Vollzug. Hier gibt es für die Inhaftierten einige Lockerungen. So dürfen sie beispielsweise tagsüber das Gefängnis verlassen. Anna konnte ihre Tochter tagsüber sehen und stillen. Für die Nächte musste sie Muttermilch abpumpen.

Wie war die Geburt im Gefängnis? Hast du dich ärztlich gut versorgt gefühlt? Durfte der Kindsvater bei der Entbindung dabei sein?

Anna: „Ich war zur Zeit der Geburt bereits im offenen Vollzug und ich bin für diese Chance sehr dankbar gewesen. Ich habe nach der Verlegung Termine in einer gynäkologischen Praxis wahrnehmen können. Die Untersuchungen haben sich aber schon unterschieden. Es hätte bei der Geburt eigentlich eine Begleitperson dabei sein dürfen, allerdings hat es niemand mehr rechtzeitig geschafft, weil die Prinzessin es eilig hatte. Aber ich durfte unter Einhaltung der Coronaregeln dann Besuch im Krankenhaus haben.“

Doch auch der Kontaktverlust zu ihren anderen Kindern schmerzte Anna sehr. Trotzdem versuchte sie für ihre Kinder da zu sein. Im geschlossenen Vollzug schrieb sie ihnen jeden Tag einen Brief mit ein paar persönlichen Worten und einer Gute-Nacht-Geschichte. Im offenen Vollzug konnte sie dann auch alleine und ohne Begleitung Zeit mit ihren älteren Kindern verbringen. Zum Beispiel gemeinsam für mehrere Stunden auf den Spielplatz gehen. Ihre drei ältesten Kinder waren zu diesem Zeitpunkt sechs, fünf und drei Jahre alt.

Magst du uns einen klassischen Tag im offenen Vollzug schildern? Wie läuft das ab?

Anna: „Du machst dich morgens fertig, gehst dann entweder arbeiten in der JVA oder draußen. Für diese Zeit bist du freigestellt und hast Ausgang. Bist du in der JVA beschäftigt, gibt es gegen 12.30 Uhr Mittag essen. Danach geht es weiter und gegen 3 Uhr endet der Dienst. Der Ausgang unter der Woche war ab 16 Uhr möglich. Es sei denn, du hast draußen gearbeitet, dann konntest du direkt bis 21 Uhr die JVA verlassen. Bei uns war es so, dass wir 100 Stunden im Monat Freigang hatten. Dazu gab es noch Sonderausgang für Termine, z.B. mit dem Jugendamt, vor Gericht oder Ähnliches. Durch die Arbeit hatte ich genug freie Tage, sodass ich am Wochenende zu Hausen schlafen konnte. Meist alle zwei Wochen von Freitag bis Sonntag. Oder über Weihnachten ganze vier Tage. Ich bin sehr dankbar für die Chance, die ich dort hatte. Ich habe sie aber auch genutzt. Durch diese Chance gab es keinen kompletten Kontaktabbruch für die Kinder. Ich war somit immer ein Teil ihres Lebens.“

Wie geht es jetzt in Freiheit weiter?

Inzwischen ist Anna wieder in Freiheit. Sie hat ihre Strafe abgesessen und ihre Lektion fürs Leben gelernt. Jetzt versucht die inzwischen 29-Jährige wieder im Leben Halt zu finden. Doch es war nicht einfach. Denn nach der Haft musste sich Anna ihr Leben von Grund auf neu aufbauen. Den Kontakt zu ihrem gewalttätigen Ex hat sie inzwischen komplett unterbunden. Es gibt zwar immer mal wieder Phasen, in denen er meint, dass Anna ihm immer noch gehöre. Aber heute kann sie damit umgehen und das abwehren. Anna hat ihren Ex auch angezeigt und er wurde für seine Übergriffe strafrechtlich verurteilt. An seinen Kindern zeigt ihr Ex-Freund keinerlei Interesse. Darüber ist Anna aber froh. Ihre Kinder sind inzwischen sieben, sechs, vier und ein Jahr alt. Doch der Kampf ist noch lange nicht zu Ende. Denn von ihren vier Kindern lebt nur das zweitjüngste bei Anna, ihre Tochter. Die beiden Jungen verblieben in den Pflegefamilien. Ihre jüngste Tochter lebt bei ihrem Vater, mit dem Anna aber nicht mehr zusammen ist. Warum ihre beiden Jungs weiterhin in der Pflegefamilie bleiben müssen, versteht Anna nicht. Denn mit ihrer Tochter darf sie alleine zusammenleben. Es gibt keinerlei Auflagen vom Jugendamt.

Wie lautet die offizielle Erklärung der Behörden? Hast du Hoffnungen, dass bald alle deine Kinder wieder bei dir wohnen dürfen?

Anna: „Die Behörden sagen, ich muss mich mit meiner Tochter erst beweisen. Aber mit ihr klappt alles gut. Ich bin glücklich, dass sie bereits zu Hause ist, denn es war ein langer Weg. Wie lange ich mich beweisen soll, darauf mag mir keiner eine Antwort geben. Vielleicht noch dieses Jahr? Vielleicht nur noch dieses Jahr, vielleicht noch drei Jahre. Das ist der Grund, der es mir so schwer macht. Eine dauerhafte Unterbringung ist nicht angedacht. Ich möchte wissen, wann ich wieder leben kann. Richtig leben, ohne ein schlechtes Gewissen, ohne Trauer, ohne Ausreden. Ich möchte einfach nur Licht am Ende des Tunnels sehen. Für mich, aber vor allem für meine Kinder. Denn sie können schwer damit leben, dass nur ihre Schwester zu Hause ist. Und ich genauso. Wir sind eine Familie, wir gehören zusammen.“ 

Anna leidet bis heute unter ihrem gewalttätige Ex. Sie ist ungern in engen Räumen und erschrickt, wenn Glas zerbricht. Trotzdem weiß sie, dass es falsch war, sich das Geld für ihre Flucht illegal zu besorgen. Inzwischen arbeitet Anna als Zahnmedizinische Fachangestellte, also in dem Beruf, den sie auch gelernt hat. Und verdient ihr eigenes Geld. Sie ist froh, dass es ihr und ihren Kindern heute grundsätzlich gut geht. Anna will aber weiter dafür kämpfen, dass bald alle Kinder zu ihr nach Hause zurückkehren dürfen. Sie liebt ihre Kinder und würde alles für sie tun.


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