Der Hitler-Prozess 1924: Ein schicksalsschweres Urteil

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Vor etwas weniger als 100 Jahren wurde vom Volksgericht in München eines der wohl skurrilsten und geschichtsträchtigsten Urteile der deutschen Rechtsdogmatik gefällt. Der Strafprozess gegen Adolf Hitler von 1924. Wie eine von Nationalsozialisten untermauerte Justiz ein vergleichbar mildes Urteil fällte und den Weg für einen Schreckensherrschaft eröffnete – ein Rückblick.

Schon wenige Jahre nach ihrer Gründung 1918 wankte die Weimarer Republik. Im November 1923 wollte Hitler, in seiner Rolle als Parteiführer der 1921 gegründeten NSDAP, durch einen schwerbewaffneten Putsch die Regierung rund um die Große Koalition von Gustav Stresemann (DVP) sowie die Reichsregierung absetzen und selbst an die Macht gelangen. Zu diesem Zweck verbündete er sich mit rechtsradikalen Kräften in Bayern. Anlässlich des 5. Jahrestages der Novemberrevolution sollte am 8. November 1923 der Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr im Münchner Bürgerbräukeller reden. Dort stürmte Hitler mit seinen Männern die Bühne und verkündete die „Nationale Revolution“, welche die Absetzung der Regierung zur Folge hatte. Wenig später traf der ehemalige General Erich Ludendorff am Ort des Geschehens ein und erklärte, sich der neuen Nationalregierung zur Verfügung zu stellen.

Gescheiteter Putschversuch

Allerdings scheiterte der Putsch, weil die Reichswehr nicht mitspielte. Bereits in der Nacht vom 8. auf den 9. November zeichnete sich ab, dass die Revolution misslingen würde. Ein Marsch durch München sollte die Bevölkerung am nächsten Tag für den Staatsstreich
mobilisieren. Die Bayerische Polizei beendete den Aufzug der Putschisten gewaltvoll am 9. November 1923. Dabei kamen insgesamt 20 Personen zu Tode. Im Nachgang des Putschversuches wurde die NSDAP zeitweise verboten und Hitler flüchtete an den Staffelsee, wo er am 11. November festgenommen und am nächsten Tag in das Festungsgefängnis Landsberg eingeliefert wurde. Bei einer ersten Vernehmung vor dem Hilfsstaatsanwalt Hans Ehard leugnete Hitler, Hochverrat begangen zu haben. Trotzdem wurde Anklage vor dem bayerischen Volksgericht beim Landgericht München I erhoben. Und das, obwohl für den Hochverratsprozess eigentlich das Reichsgericht in Leipzig zuständig gewesen wäre. Zahlreiche Bemühungen seitens der Reichsregierung um eine Verlegung vor das Staatsgericht blieben erfolglos. Denn damals befürchtete man bei einem Prozess außerhalb Bayerns die Anhörung von v. Kahr, der sich ursprünglich Hitlers Machtbestrebungen im Bürgerbräukeller unterworfen hatte.

Der Strafprozess gegen Hitler begann am 26. Februar 1924. Neben Hitler selbst waren noch neun weitere Putschisten des Hochverrats (gem. § 81 RStGB) angeklagt. Insgesamt waren 368 Zeug:innen geladen. Als Erster Staatsanwalt fungierte Ludwig Stenglein. Den Gerichtsvorsitz übernahm der rechtsnational voreingenommene Georg Neithardt mit dem Richter August Leyendecker sowie drei Schöffen. Hitler war Neithardt aus einem früheren Prozess aus dem Jahre 1922 bekannt, bei dem ihm Neithardt eine glimpfliche Bewährungsstrafe für die gewaltvolle Sprengung einer Versammlung des Bayernbundgründers Otto Ballerstedt auferlegt hatte. Diese Begünstigung sollte, wie sich zeigte, nicht die letzte bleiben. Zu Hitlers Verteidigung gehörte der Rechtsanwalt Lorenz Roder.

Ein Prozess voller Theater und Propaganda

Der Hitler-Prozess war seit dem ersten Tage ein politisches Theater. Die drei Schöffenrichter erklärten bereits zu Prozessbeginn, nicht kompromissbereit zu sein und lediglich einer Verurteilung Hitlers zuzustimmen, wenn ihm eine Bewährungsstrafe erlassen werde. Der Höhepunkt fand sich jedoch in der vierstündigen Verteidigungsrede Hitlers wieder, die dieser gekonnt für seine Propaganda missbrauchte. Den Versuch eines gewalttätigen, hochverräterischen Staatsumsturzes, bestritt er nicht. Er rechtfertigte sein Verhalten aber als notwendige Gegenwehr gegen die angeblichen Landesverräter von 1918:

„Ich trage die Verantwortung ganz allein, erkläre aber eines: Verbrecher bin ich deshalb nicht, und als Verbrecher fühle ich mich nicht. Ich kann mich nicht schuldig bekennen, aber ich bekenne mich zur Tat. Es gibt keinen Hochverrat gegen die Landesverräter von 1918. […]”

Im Laufe des Strafprozesses verdrehten sich die Rollen immer weiter. Der Staatsanwalt schwang sich zum Verteidiger der Angeklagten auf. Zwar konnte Stenglein nicht bestreiten, dass die Angeklagten Hochverrat begangen hatten. Er argumentierte jedoch, dass ein minderschwerer Fall vorläge. Die Angeklagten hätten sich enttäuscht gefühlt und aus zwiespältiger Motivation zu den Waffen gegriffen. Hitler bezeichnete er als hochbegabten Mann aus einfachen Verhältnissen. Er habe sich durch harte Arbeit eine angesehene Stellung im öffentlichen Leben errungen und sei ein Mann, der sich einer fixen Idee bis zur Selbstaufgabe hinzugeben vermöge. Gleichzeitig lobte er Hitlers Einsatz als Soldat im Ersten Weltkrieg und dessen charismatisches Potential. Wie Recht er mit dieser Einschätzung behalten würde, war dem Staatsanwalt damals sicherlich nicht bewusst.

Hitler spielte sich zum Richter auf

Hitler selbst übernahm unter Applaus die Verantwortung für den Putschversuch und schwang sich in seiner Erklärung zum Richter auf:

„Mögen Sie uns tausendmal schuldig sprechen, die Göttin des ewigen Gerichtes der Geschichte wird lächelnd den Antrag des Staatsanwaltes und das Urteil des Gerichtes zerreißen; denn sie spricht uns frei.”

Am 1. April 1924 fällte das Gericht schließlich sein Urteil. Mit Ausnahme von Erich Ludendorff wurden alle Angeklagten für schuldig befunden. Vier der Angeklagten kamen auf Bewährung frei. Hitler wurde zu fünf Jahren Festungshaft (Mindeststrafe) nebst einer Geldbuße von 200 Goldmark verurteilt. Zusätzlich wurde ihm der Erlass einer Bewährungsstrafe nach Ablauf von sechs Monaten in Aussicht ausgestellt. Unberücksichtigt blieb dabei, dass Hitler durch Neithardt im Jahre 1922 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, die zur Zeit des Prozesses noch andauerte und somit eigentlich einer weiteren Bewährungsstrafe entgegengestanden hätte.

Ausdrücklich bestätigte die Urteilsbegründung, dass Hitler eine „gewaltsame Verfassungsänderung“ beabsichtigt hatte. Gleichwohl schloss der Vorsitzende Richter Neithardt an das an, was die „Staatsanwaltschaft zu Gunsten der Angeklagten hervorgehoben hatte. Alle Angeklagten seien bei ihrem Tun von “rein vaterländischem Geiste” und dem “edelsten selbstlosen Willen” geleitet worden.

Die obligatorische Ausweisung Hitlers nach § 9 des Republikschutzgesetzes wurde unter Verweis darauf, dass Hitler sich als Deutscher betrachtete, viereinhalb Jahre im deutschen Heer Kriegsdienst geleistet und sich durch Tapferkeit ausgezeichnet hatte, nicht angewandt. Für die ohnehin rechtsextremistisch befangene Zuhörerschaft ein Erfolg.

Ein Urteil mit berechtigter Kritik

Schon am 20. Dezember 1924 wurde Hitler aus der Festungshaft entlassen. Die Haftzeit in Landsberg hatte sich für Hitler außerdem recht angenehm gestaltet. Er durfte unzensiert Post verschicken und ungehindert zahlreiche Besucher empfangen. Die Zeit nutzte er um eine erste Version seines Buches “Mein Kampf” zu verfassen.

Erwartungsgemäß erlangte Neithardt mit seinem Urteil im Hitler-Ludendorff Prozess historische sowie rechtsdogmatische Berühmtheit. Von den Rechtsradikalen als Held verehrt, wurde er zu seiner Zeit mit mutigen Stimmen sowie heute aufs schärfste für seine unsorgfältige Arbeit verachtet. Warum wurde die Bewährungsstrafe Hitlers nicht berücksichtigt? Wie wäre ein Prozess vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig ausgegangen? Und inwieweit hätte ein fehlerfreies Urteil die künftigen Machtbestrebungen Hitlers aufgehalten? All das sind Fragen, für die keine genauen Antworten vorliegen. Klar ist aber: Mit kraftlosen Argumenten ermöglichte man Hitler durch die milde Strafe, seine Schreckensherrschaft voranzutreiben und eröffnete den Weg für eine Diktatur, in der es zur millionenfachen Ermordung unschuldiger Menschen kam und die in den Zweiten Weltkrieg mündete.

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Mehr zum Thema findet Ihr im Buch “Der Hitler-Prozeß und sein Richter Georg Neithardt”. Skandalurteil von 1924 ebnet Hitler den Weg” von Otto Gritschneder, das 2001 beim Verlag C.H. Beck erschien.

Der Hitler-Prozess wurde außerdem verfilmt. Unter dem Titel “Hitler vor Gericht” erschien 2009 ein Dokumentar-Spielfilm mit Johannes Zirner in der Hauptrolle. Der Film kann kostenlos über die Mediathek angesehen werden.


Hitler-Urteil: https://www.dhm.de/

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