Versammlungsfreiheit: Wieso werden pro-russische Autokorsos und Kundgebungen nicht verboten?

Empört blicken derzeit große Teile der Bevölkerung auf pro-russische Kundgebungen in deutschen Großstädten. Umgeben vom Schutz der Polizei marschieren sie mit stetig wachsender Teilnahme durch Innenstädte oder formen sich zu sog. Autokorsos. Neben der Strafbarkeit des „Z-Symbols“ (JURios berichtet) taucht dabei immer wieder die Frage auf, warum eine solche Versammlung seitens der Behörden nicht unterbunden wird. Doch wie wichtig ist eigentlich die Versammlungsfreiheit für unsere Demokratie? Auf welcher rechtlichen Grundlage könnte sich ein Verbot ergeben und bestehen alternative Möglichkeiten?

Die Versammlungsfreiheit findet ihren Ursprung im 19. Jahrhundert. Eine erste Garantie wurde mit der Paulskirchenverfassung statuiert, die in § 161 das Recht auf eine friedliche und unbewaffnete Versammlung ohne besondere Anmeldung vorsah. Mit dem Wandel der Zeit – der Weimarer Reichsverfassung – und schließlich mit der nationalsozialistischen Herrschaft im Dritten Reich wurde dieses Recht weitestgehend unterbunden, sodass eine öffentliche Demonstration und die Äußerung einer konträren Meinung gegen die Obrigkeit fatale Folgen bürgte. Mit dem Ende des Nazi-Regimes 1945 kehrte die Versammlungsfreiheit zu ihrem eigentlichen Sinn und Zweck zurück: Die Ermöglichung einer freien Meinungsäußerung in Form einer öffentlichen Kundgebung. Bis heute prägt die Versammlungsfreiheit neben der Meinungsäußerungsfreiheit unsere Demokratie. Man spricht deswegen bei Art. 8 GG auch von einem „Demokratie konstituierenden“ Grundrecht.

Waffen sind tabu

Der Schutz der Versammlungsfreiheit in Art. 8 GG umfasst friedliche Versammlungen. Unter dem Versammlungsbegriff versteht sich die körperliche Zusammenkunft mehrerer (Anzahl umstritten) Personen, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen. Die Versammlung der pro-russischen Demonstrant:innen ist ohne Weiteres als eine Versammlung unter Art. 8 I GG zu fassen. Dabei ist es unbeachtlich, ob diese in Form eines Marsches oder Autokorsos stattfindet. Indem die Demonstrant:innen gegen die Diskriminierung von russisch-sprachigen Menschen in Deutschland vorgehen, verfolgen sie auch einen inneren gemeinsamen Zweck.

Als negative Voraussetzung darf die Versammlung kein Gewaltpotenzial aufweisen, aber auch Teilnehmer:innen dürften keine Waffen bei sich führen. Während letzteres bisher noch nicht in Erscheinung getreten ist, stellt sich im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg aber die Frage nach dem Gewaltpotenzial. Um das Merkmal zu verwirklichen, reicht die Erfüllung eines Straftatbestandes nicht aus. Vielmehr muss durch die Verwirklichung des Rechtsverstoßes Gewalt an Personen oder Sachen erfolgen. Wäre ein solch gewaltvolles Verhalten seitens einzelner Teilnehmer:innen gegeben, würde dies aber nicht genügen, um die gesamte Versammlung aufzulösen. Zwar ist derzeit strittig, ob das Verwenden des „Z-Symbols“ eine Straftat darstellt und zur Billigung des Angriffskrieges auf die Ukraine aufruft, jedoch würde das „unfriedliche“ Verhalten lediglich die jeweils direkt Betroffenen vom Schutz ausschließen.

Mit dem Erlass eines Verbotes gegen eine solche Demonstration wäre ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 I GG ohne Schwierigkeiten gegeben. Mit der Rechtfertigung wäre eine letzte Hürde zu überwinden.

Rechtfertigung mit großen Hürden

Bei den Versammlungen handelt es sich um solche unter freiem Himmel gem. Art. 8 II GG, die eine Einschränkung durch oder aufgrund eines Gesetzes zulassen. Gemeint ist damit ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt, der ein formelles Gesetz als Rechtfertigungsnorm erfordert.

In Betracht könnte eine Rechtfertigung nach dem Versammlungsgesetz kommen. Einer näheren Betrachtung bedarf § 15 I VersG. Darin heißt es: “Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.”

Erforderlich wäre nach dem Gesetzeswortlaut eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Ob dies der Fall ist, ist vom Einzelfall abhängig. Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz von staatlichen Einrichtungen, die Unversehrtheit der Rechtsordnung sowie zentrale Rechtsgüter wie Leben, Freiheit und Eigentum. Für diese und weitere Rechtsgüter müsste eine unmittelbare Gefahr bevorstehen. Dabei reicht ein bloßer Verdacht oder lediglich die Vermutung einer Gefahr nicht aus. Es muss eine konkrete Gefahrenprognose bestehen, die unter Berücksichtigung aller Umstände eindeutige Anhaltspunkte liefert. Für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit könnte u. a. die Ankündigung von Gewalttaten sprechen oder die Verwendung des „Z-Symbols“.

Die öffentliche Ordnung bezeichnet alle ungeschriebenen Regeln, deren Einhaltung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für das geordnete Zusammenleben der Menschen innerhalb eines bestimmten Gebietes ist. Jedoch ist die öffentliche Ordnung in ihrer Ausprägung für ein Verbot zu schwach. Ehe es zu einem Verbot kommt, ist stets die Verhältnismäßigkeit, insbesondere die Erforderlichkeit des Verbots zu beachten und zu prüfen, ob nicht ein milderes und gleich effektives Mittel in Betracht kommt.

Auflagen statt Verbote möglich

Um einem Versammlungsverbot auszuweichen, bietet sich nach § 15 I VersG der Erlass einer Auflage an. Behörden wird somit ein „Rettungsanker“ überreicht, der es ihnen ermöglicht, u. a. bestimmte Flaggen, Abzeichen oder russische Propaganda-Symbole wie etwa das „Z-Symbol“, zu verbieten. Bei der Auflage, handelt es sich um eine mildere Maßnahme, die gerade dafür sorgt, dass die Versammlung im Rahmen der Rechtsordnung durchgeführt werden kann.

Auch wenn die aktuellen pro-russischen Demonstrationen nicht den Anschauungen vieler Bürger:innen entsprechen, macht es unsere Demokratie gerade aus, dass konträre Äußerungen getätigt werden dürfen. Doch genießt auch diese Freiheit seine Grenzen, die stetig von den Behörden überwacht wird, um ein wohlvolles Miteinander hierzulande zu ermöglichen.

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