Empörung und Strafrecht – ein Kommentar

Wie schön könnte alles sein, wenn da nicht ständig Dinge wären, über die man sich aufregen muss. Anlass zur Aufregung bieten aktuell vor allem die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine, insbesondere die von Russland ausgehenden Aggressionen. Man ist schockiert, empört, hilflos und betroffen. Aber auch wenn man nicht über die Landesgrenzen hinausblickt, bleibt genug Empörendes übrig. Um bei alldem einen klaren Blick zu behalten, ist es wichtig, zu unterscheiden: Nicht alles, was täglich passiert, ist es wert, dass man sich darüber echauffiert. Und kritisch betrachtet ist nicht alles, was uns als empörendes Faktum präsentiert wird, auch so zu verstehen.

Juristinnen und Juristen streiten gern

Wer dafür Beispiele sucht, braucht sich nur den Juristinnen und Juristen zuwenden. Denn Juristen streiten gern. Empörung, auf wissenschaftlicher Ebene als Meinungsstreit ausgetragen, gehört quasi seit den Studientagen zum Kerngeschäft. Fortwährend und besonders erbittert und empört streiten Juristen sich im sensiblen, weil sanktionsbewährten Bereich des Strafrechts, weil dort das Strafverfolgungsverlangen des Staates und die Freiheitsrechte des Einzelnen in einem Spannungsverhältnis stehen. In diesem Bewusstsein formulierte Max Alsberg, der berühmteste Strafverteidiger der Weimarer Republik, einst seine bis heute vielzitierten Worte:

„Den hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit hemmen will der Kritizismus des Verteidigers“.

Gegen Empörung in Form von sachlicher Kritik, etwa über unhaltbare Zustände in deutschen Gefängnissen, lässt sich nichts einwenden. Vor allem wenn man Strafrechtskritik zugleich als Herrschaftskritik versteht, sollte auf Denkverbote so weit wie möglich verzichtet werden. Dabei ist es ein besonderes Phänomen unserer Zeit, dass strafrechtliche Themen – nicht zuletzt befördert durch poppige Rechtskolumnen oder das Überangebot an sogenannten TrueCrime-Formaten – zunehmend auf ein gesamtgesellschaftliches Interesse stoßen. Strafrecht ist hip geworden. Jede beziehungsweise jeder hat inzwischen eine Meinung dazu, wie mit strafrechtlichen Problemen umzugehen ist, und tut diese Meinung ungebremst kund.

Das Spiel mit der Angst

Einerseits ist ein solcher Aufmerksamkeitszuwachs ein Gewinn, denn Strafrecht geht alle an. Umso wichtiger ist es daher, dass Entwicklungen in diesem Bereich auch über Fachkreise hinaus beobachtet und von der Gesellschaft insgesamt kritisch begleitet werden. Andererseits besteht die Gefahr, dass gerade in strafrechtspolitischen Debatten – gewollt oder ungewollt – die Wahrheit durch Postfaktisches auf der Strecke bleibt, und darunter leidet der rationale Diskurs. Ein weiteres Problem stellt das sogenannte Spiel mit der Angst dar. Mit Angst lässt sich Empörung innerhalb der Bevölkerung nämlich nicht nur erzeugen, sondern auch steuern. Verängstigten und empörten Menschen können die eigenen Narrative leicht eingeredet werden, wobei das Ganze in der Regel einem einfachen Muster folgt: Alles wird, so muss man nur behaupten, seit Jahren immer schlimmer und schlimmer: Die Menschen werden krimineller und der Rechtsstaat wird schwächer. Eine Abwärtsspirale. Empörenswerte Vorgänge. Staatlichen Institutionen wird Versagen vorgeworfen.

Und auf dem Höhepunkt dieses populistischen Feuerwerks folgt dann – garniert mit ein paar ausgewählten Sensationsberichten über „Skandalurteile“ – meist der vermeintlich erkenntnisreiche Abspann: Für jede und jeden besteht die Gefahr, Opfer eines Verbrechens zu werden, das, so die Conclusio, vermeidbar gewesen wäre, wenn man nur rechtzeitig gehandelt hätte.

Empörung als Gefahr und Chance

Übrigens: Auf dieser Folie lässt sich nicht nur leicht für Nachschärfungen im Strafgesetzbuch plädieren, etwa für die Einführung eines „Happy Slapping-Paragraphen“ mit einem Mindestmaß von zwei Jahren Freiheitsstrafe[1]; auch für sogenannte Enthüllungsbücher[2] ist diese Atmosphäre ein idealer Nährboden.

Um den Bogen zurück zum Anfang zu schlagen: Auch und gerade im Bereich des Strafrechts darf man zu Recht immer wieder empört sein. Diese Empörung darf jedoch nicht dazu führen, dass sich der Blick verstellt. Empörung in Form von sachlicher Kritik ist ebenso wichtig wie der kritische Blick auf die Kritik selbst. Und letztlich ist auch die Tatsache, dass strafrechtliche Themen nunmehr einer breiteren Öffentlichkeit am Herzen liegen, trotz der aufgezeigten Gefahren als Chance zu begreifen. Denn ein lebendiges Strafrecht ist zugleich Ausdruck eines lebendigen Rechtsstaates.


[1] Dazu: „Staranwalt fordert Knast für Ohrfeigen-Schläger von Oliver Pocher“, https://www.tz.de/ (zuletzt abgerufen am 9.5.2022).

[2] Vgl. nur Thorsten Schleif, Wo unsere Justiz versagt – Von Messerstechern, Kinderschändern und Polizistenmördern. Ein Richter deckt auf, 2022.

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Dr. Lorenz Bode
Dr. Lorenz Bode
Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder.

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