Tatort: Mond – Lebenslang für kanadischen Mondmörder?

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Man stelle sich vor, auf dem Mond würde es zu einem Vorfall zwischen zwei Astonauten kommen. Ein Kanadier lässt einen US-Amerikaner erfrieren. Wäre dieses Verhalten strafrechtlich relevant? Und vor welchem Gericht würde Anklage erhoben? Mit dieser Frage beschäftigt sich momentan Kanada und will die Strafgerichtsbarkeit auf den Monad ausdehnen. Ja, richtig gelesen!

Gehen wir von folgendem fiktiven Fall aus: Auf der NASA Expedition „ARTEMIS VI“, die nach Helium 3 Vorkommen auf dem Mond sucht, hat sich im Jahr 2029 ein schwerer Vorfall ereignet. Laut Medienberichten soll ein Astronaut amerikanischer Abstammung in einer Mondtiefebene einen Erfrierungstod erlitten haben. Ein kanadische Crewkollege soll den US-Amerikaner bei einem Außeneinsatz aufgrund eines Streits in einen Höhleneingang geschubst und ihn dort zurückgelassen haben, obwohl er ihn hätte retten können. Der Verdächtigte hatte zudem versucht, die interne Audio-Aufzeichnung der Expedition abzustellen. Die kanadische Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eröffnet.

Was der Kanadier nicht wusste, ist, dass der Raumanzughersteller in die Raumanzüge eine zweite Speicherung der Audiodateien eingebaut hatte, die extern kontrolliert wird und autonom funktioniert. Die kanadische Staatsanwaltschaft hält die Audioaufnahmen für verwertbare Beweise, die Verteidigung sieht das anders. Die USA verlangen nach der Landung mit der Space-X Kapsel in internationalen Gewässern die Auslieferung des Kanadiers.

Wait? What? Zugegeben der fiktive Fall klingt stark nach Frank Schätzings SciFy Werk “Limit” aus dem Jahre 2009 und erscheint arg konstruiert. Doch auch, wenn der Vorfall noch nicht sehr wahrscheinlich scheint,  so führt er uns zu einem wirklich kuriosen kanadischen Gesetzgebungsentwurf.

Nirgends bist du sicher vor dem Strafrecht

Schon Jurastudierende lernen vom Territorialitäts-, Personalitätsprinzip, Flaggen- und Schutzprinzip des Strafgesetzbuchs (vgl. §§ 3 ff. StGB). Der Staat schützt seine Bürger:innen vor Angriffen Dritter und er verfolgt Bürger:innen aufgrund von gesetzlich bestimmten, strafbewehrten Verstößen (§ 1 StGB, Art. 103 II GG, § 152 II StPO ff.). Bekannt ist also, dass bisher jedenfalls das Strafrecht vieler Staaten auf Orte der Erdoberfläche, Schiffe und den Luftraum (Luftfahrzeuge) über dem Staatsgebiet oder Taten eigener Staatsbürger im Ausland beschränkt ist, wobei “Ausland” aber ebenfalls ein Staatsgebiet auf der Erde meint.

Kanada weitet seine Strafgerichtsbarkeit jetzt höchstwahrscheinlich auf den Mond aus. Ja, richtig gehört. Das House Of Commons of Canada präsentierte im April 2022 einen Änderungsentwurf im landeseigenen Strafgesetzbuch. Abschnitt 7 des Gesetzes wird geändert, indem nach Unterabschnitt (2.34) Folgendes hinzugefügt wird:

Lunar Gateway – Kanadische Besatzungsmitglieder

(2.35) Ungeachtet der Bestimmungen dieses Gesetzes oder eines anderen Gesetzes wird ein kanadisches Besatzungsmitglied, das während eines Raumfluges außerhalb Kanadas eine Handlung oder Unterlassung begeht, die, wenn sie in Kanada begangen würde, eine strafbare Handlung darstellen würde, so behandelt, als habe es diese Handlung oder Unterlassung in Kanada begangen, wenn diese Handlung oder Unterlassung begangen wird

(a) auf oder im Zusammenhang mit einem Flugelement des Lunar Gateway;

(b) in einem Transportmittel zum oder vom Lunar Gateway; oder

(c) auf der Oberfläche des Mondes.

Lunar Gateway – Besatzungsmitglieder von Partnerstaaten

(2.36) Ungeachtet der Bestimmungen dieses Gesetzes oder eines anderen Gesetzes gilt ein Besatzungsmitglied eines Partnerstaates, das während eines Raumfluges auf oder in Verbindung mit einem Flugteil des Lunar Gateway, auf einem Transportmittel zum und vom Lunar Gateway oder auf der Mondoberfläche außerhalb Kanadas eine Handlung oder Unterlassung begeht, die, wenn sie in Kanada begangen würde, eine strafbare Handlung darstellen würde, als in Kanada begangen, wenn diese Handlung oder Unterlassung

(a) das Leben oder die Sicherheit eines kanadischen Besatzungsmitglieds bedroht; oder

(b) auf oder im Zusammenhang mit einem von Kanada bereitgestellten Fluggerät begangen wird oder dieses beschädigt.

Zustimmung des Generalstaatsanwalts von Kanada

 (2.37) Ein Verfahren in Bezug auf eine in Unterabschnitt (2.35) oder (2.36) genannte Straftat darf nicht ohne die Zustimmung des Attorney General of Canada eingeleitet werden.“

Systematik und Bestimmtheitsgrundsatz

Wie definiert man Mond? Meint Mond nur die Oberfläche inklusive der geringen Schwerkraftsenke, also den Raum zwischen Mondboden und der Grenze, an der die Schwerkraft des Erdtrabanten die Objekte nicht mehr an sich zuziehen vermag? Die Frage ist klärungsbedürftig und wird vielleicht in Zukunft von einem Erdengericht entschieden werden. Die Rechtsfrage könnte dann lauten: Meint Mond auch den „Mondhimmel“, ist also eine Handlung „während eines Raumfluges außerhalb Kanadas“ auch eine im Mondhimmel? Was absurd klingt, verdeutlicht: Die Ausweitung des Strafanwendungsrechts bedeutet kein Ende der juristischen Probleme. Zur Auslegung können der bereits existierende Mondvertrag und der ebenfalls bereits umgesetzte Weltallvertrag herangezogen werden.

Unter den Augen der Weltöffentlichkeit könnte zukünftig eine nicht auf der Erde verwirklichte oder versuchte Straftat, sowohl als Begehungs- (commission) als auch als Unterlassungsdelikte (omission) verfolgt werden. Allerdings könnten so für Taten jenseits der Grenzen der Erde nicht alle Individuen zur Verantwortung gezogen werden (es heißt nicht „Wer…“, sondern “Besatzungsmitglied”), sondern nur kanadische Besatzungsmitglieder oder solche von Partnerstaaten (USA, EU etc.). Es handelt sich also um ein Sonder-, bzw. gar ein berufsbezogenes Strafanwendungsrecht. Ein Mondtourismusstrafrecht liegt hiermit noch nicht vor. Zudem arbeitet Kanada in § 2.35 mit einer Fiktion: „is deemed to have committed that act or omission in Canada,…“. Es wird so getan als sei die Tat auf kanadischem Boden verwirklicht worden.

Paralelle Überlegungen für das deutsche StGB?

In Deutschland wären solche Änderungen vermutlich in § 4 (allerdings gibt es keine deutschen MoonLander), § 5 (wobei nach Ausland „Mondoberfläche“ ergänzt werden müsste) oder § 7 I StGB (wobei hier Straftaten auf dem Mond „Ausland“ sein müssten und dort ein vorhandenes Strafrecht gegeben sein müsste) zu verankern. Für deutsche Astronaut:innen wäre eine Ausweitung denkbar, wird aber nicht diskutiert. Dokumente des Wissenschaftlichen Dienstes beim Bundestag gibt es noch nicht dazu. Schließlich hat man derzeit ganz andere Sorgen. Zu bedenken ist aber auch, dass neben dem nationalstaatlichen Strafrecht auch vorrangig internationale Verträge sowie berufsrechtliche Konsequenzen auf Fehlverhalten im Weltraum Anwendung finden sollten (ultima ratio).

Handelt es sich bei der kanadischen Regelung also ebenfalls um reine Symbolpolitik? Telos der Regelung aus Kanada ist augenscheinlich die Schließung einer Jurisdiktionslücke für den Fall, dass ein:e kanadischer Staatsangehörige:r im Dienst während des ARTEMIS Mondprogramms auf einem Raumschiff zum Mond oder auf dem Mond eine Straftat des kanadischen Strafgesetzbuchs verwirklicht. Im Eingangsbeispiel käme eine Unterlassungsstraftat, ggf. wie in ss. 222 Abs. 1, 2 Var.1, 4 Var. 1, 229, 231 Abs. 2 et seq. Canadian Criminal Code geregelt, infrage. 

Einige hatten argumentiert, dass die Expansion nicht nötig sei, da bereits der Mondvertrag von 1979 Geltung entfalte, der vom U.N. Büro für Weltall Angelegenheiten kontrolliert wird. Allerdings sieht die kanadische Regierung dies anders. Sie hielt eine Klarstellung aufgrund von Art. 10 I und 12 I des Mondvertrages für wichtig, da der Vertrag Kanada verpflichtet, Schutz von Leib und Leben zu gewährleisten und seiner Gerichtsbarkeit („shall retain jursidiction“) einzusetzen. Dass Übereinkommen von 1979 enthalte keine Regelungen zum Strafrecht – auch der Weltraumvertrag finde keine Anwendung. § 2.37 zeigt, dass es zumindest ein Zustimmungserfordernis der kanadischen Generalstaatsanwaltschaft gibt und somit teilweise ein politisches Strafrecht vorliegt, was aber nicht per se Symbolik bedeuten muss.

Praktische Relevanz: Interplanetarer Rechtsgüterschutz?

Der NASA Lunar Gateway ist eine geplante geostationäre Mondorbitstation, die Entwürfen zufolge einmal als Basis für Raketenstarts zum Mars genutzt werden könnte.

Die das Projekt finanziell führenden Länder – allen voran die USA – verlangen einen bestmöglichen Rechtsgüterschutz. Nach herkömmlicher deutscher Sicht schützt das Strafrecht Rechtsgüter. Im Verständnis diese Theorien sind es bisher vor allem individuelle oder gesellschaftliche Rechtsgüter gewesen, die eine Rückbindung an den Planeten hatten. Je mehr Forscher:innen zu wissenschaftlichen Expeditionen in das Weltall oder unsere Heimatgalaxis aufbrechen und je stärker die Menschheit als Ganzes in den kommenden fünfzig Jahren nach den Sterne strebt, muss sich auch das Strafrecht ggf. ausweiten [lassen]. Denn es lässt sich schwerlich begründen, warum das Weltall von Erdgesetzen freizuhalten sei. Probleme verursachen könnte aber, dass das Strafrecht zumeist stark an die Nationalstaaten gebunden ist. Ein Strafgesetzbuch für alle Erdenbürger:innen oder nur alle Astronaut:innen ist zwar schon deshalb nicht erfolgversprechend, da jeder Staat andere Auffassungen von Verhaltensnormen hat. Doch die Vermeidung eines Flickenteppichs und die Expansion von zu viel Staatlichkeit in den Raum zwischen den Sternen wäre wünschenswert. Gerade, wenn man auf das Kernstrafrecht blickt, können sich vlt. eines Tages alle Staaten darauf einigen, da sie Straftaten gegen die Person als gemeinsamen Nenner anerkennen, diese einheitlich zu verfolgen.

Rückblick auf die Expansion des Strafrechts

Ordnet man den kanadischen Entwurf in die Geschichte ein, zeigt diese den Erdenbürger:innen, dass demokratische Nationalstaaten seit Anfang-Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrt vereinheitlichte, nicht immer vergleichbare Strafgesetzbücher verkündeten. Im 20. Jahrhundert erfuhren viele Strafgesetzbücher aufgrund von sich wandelnden gesellschaftlichen Strukturen, Problemen der Zeitgeschichte und politischen Strömungen materiell-rechtliche Änderungen. Vor allem eine bessere Erfassung von scheinbar unbeherrschbaren Gefahren mittels des sog. Präventionsstrafrechts. Das hoheitliche Strafrecht der Nationalstaaten ist aber weltweit weiterhin eine zersplittere Materie, hängt von kulturellen, religiösen oder weltanschauungsbezogenen Kriminalisierungstendenzen ab.

Weniger bekannt ist, dass zeitgleich eine Ausweitung des Strafanwendungsrechts stattfand. Für Straftaten, die “nicht an der Grenze des eigenen Staaten enden”, z. B. Korruption sehen viele Staaten inzwischen eine Ausweitung ihrer Jurisdiktion auf Straftaten ihrer Staatsangehörigen im Ausland, also fern ihres Hoheitsgebiets vor (Straftaten zu Lasten der Europäischen Union vgl. § 5 Nr. 15 a) StGB). Auch vom Weltrechtsprinzip wird in den Syrien-Prozessen in Deutschland Gebrauch gemacht. Im 20. Jahrhundert wurden für Straftaten jenseits des nationalen Hoheitsgebiets spezielle Regeln in inernationalen Abkommen niedergeschrieben. Beispielsweise für Straftaten, die an abgelegenen Orten in internationalen Gewässern, wie der Antarktis oder der Arktis begangen werden (§ 6 Nr. 9 i.V.m. Vertrag StGB). Erst 2019 wurde dann aufgrund eines Vorfalls auf der ISS über eine Expansion des Strafanwendungsrechts nachgedacht (AnneMcClain –Fall).

Ausblick: Ermittlungen auf dem Mond?

Die praktische Relevanz der kandischen Regelung bleibt hoffentlich gering und doch zeigt sie, dass das Strafrecht als Sozialkontrollmittel auch im 21. Jahrhundert nicht ausgedient zu haben scheint. Es erfährt sogar eine Expansion in vorher unbekannte Sphären. Wie im Falle einer Tat auf dem Mond ermittelt werden könnte, steht allerdings in den Sternen. Es gibt hierfür aber zahlreiche literarische Vorlagen:

Einen Science Fiktion Präzedenzfall stellt die Romanreihe von James Corey dar, die eine Welt von Gürtlern, Menschen und Marsianer:innen skizziert, in der nicht nur der Mond wirtschaftlich ausgebeutet wird. Braucht es eine Mondpolizei? Oder reicht die UN? In der Romanvorlage und Amazon Prime Serie ist die UN, die in vielen Science Fiction Werken für die Rechtsdurchsetzung zuständig ist, maßgeblich aktiv. Allerdings ist ihre Stellung im Bereich der Rechtsdurchsetzung noch schwach. Schon heute ist der Raum, den wir als Weltall beschreiben, kein rechtsfreier Raum. Zukünftig ist er vermutlich auch kein strafrechtsfreier Raum. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass andere Staaten nachziehen, bzw. mit Kanada gleichziehen werden.


Fundstelle: https://www.inverse.com/science/canada-moon-law.

Kai Ambos, in: Kai Ambos, Antony Duff, Julian Roberts, Thomas Weigend, Alexander Heinze Core (Hrsg.), Concepts in Criminal Law and Criminal Justice: Anglo-German Dialogues, CUP, Cambridge, 2020, S. 17–47.

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