Rechtsreferendariat: Kein Anspruch auf marktübliche Vergütung beim Sitzungsdienst

Rechtsreferendar:innen dürfen in der Strafstation und darüber hinaus als Sitzungsvertreter:innen für die Staatsanwaltschaft tätig werden. Dafür steht ihnen kein Anspruch auf eine marktübliche Vergütung zu, entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.

Wer in Deutschland als Volljurist:in arbeiten will, muss nach dem Bestehen des Ersten Staatsexamens eine zweijährige Ausbildung in der Praxis absolvieren, die mit dem Zweiten Staatsexamen endet. Das Rechtsreferendariat bietet den angehenden Jurist:innen die Möglichkeit, ihre praktischen Fähigkeiten in verschiedenen Stationen vor Gericht, in der Verwaltung, in einer Kanzlei und auch bei der Staatsanwaltschaft zu erproben. Zur Strafstation gehört auch, dass der:die Referendar:in die Sitzungsvertretung bei der Staatsanwaltschaft übernimmt. Dabei dürfen Referendar:innen vor Gericht in einem Strafprozess als Ankläger:innen auftreten. Auch nach der Strafstation haben die Referendar:innen die Möglichkeit, Sitzungsvertretungen zu übernehmen und damit etwas zu ihrer Unterhaltsbeihilfe dazuzuverdienen. Allerdings werden sie dabei deutlich schlechter bezahlt als “fertige” Jurist:innen. Diese Vergütungspraxis bestätigte jetzt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.

15 Euro Stundenlohn für Referendar:innen

Geklagt hatte ein Rechtsreferendar, der im Rahmen des nebenamtlichen Sitzungsdienstes im Jahr 2019 wiederholt die Staatsanwaltschaft bei verschiedenen Strafprozessen vertreten hatte. Hierfür wurde dem jungen Mann ein Betrag von 225 Euro für die Wahrnehmung von 12 Stunden ausgezahlt. Der Rechtsreferendar hatte gegenüber der Staatsanwaltschaft eine Entlohnung von 262,50 Euro für 14 Stunden Sitzungsdienst beantragt. Wegen der überschüssigen zwei Stunden leitete die Staatsanwaltschaft Freiburg ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Betrugs ein. Der Einspruch des Rechtsreferendars gegen den daraufhin ergangenen Strafbefehl ist noch vor dem Amtsgericht Lörrach anhängig. Gleichzeitig reichte der Rechtsreferendar aber auch Klage vor dem Verwaltungsgericht Freiburg ein. In dieser machte er geltend, dass ihm ein Anspruch auf Auszahlung der vollen 262,50 Euro zustünde. Er habe außerdem einen Anspruch auf eine “marktübliche Vergütung” von mindestens 37,50 Euro/Stunde.

Diese Klage wies zunächst das Verwaltungsgericht Freiburg als unbegründet zurück. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg lehnte sodann den Antrag des Referendars auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des VG ab. An der Rechtmäßigkeit der Vergütung bestünden keine Zweifel.

Die Vergütung für Sitzungsvertreter:innen ergibt sich in Baden-Württemberg aus Ziff. 2.1 a) der Verwaltungsvorschrift “nebenamtlicher Sitzungsdienst”. Diese sieht einen Stundenverdienst von 15 Euro für Rechtsreferendar:innen vor. Als Sitzungszeit gilt die Zeit zwischen dem vom Gericht festgelegten Beginn der ersten Verhandlung und dem tatsächlichen Ende der letzten Verhandlung am Sitzungstag. Um die Vorbereitung auf die Verhandlung mit abzugelten, wird die Sitzungszeit pauschal um ein Viertel erhöht. Das errechnete Ergebnis ist auf volle Stunden aufzurunden. Die Anreise wird nicht vergütet.

Verwaltungsvorschrift rechtmäßig

An der Rechtmäßigkeit dieser Verwaltungsvorschrift und ihrer Anwendung auf Rechtsreferendar:innen bestünden laut Gericht keine durchgreifenden Zweifel. Insbesondere seien keine Verstöße gegen höherrangiges Recht erkennbar. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit sei nicht erkennbar. Beim Rechtsreferendariat handele es sich um ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis (§ 5 I 1 JAG), das grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 12 GG falle. Jedoch stelle die Entschädigungsregelung bereits keinen Eingriff dar. Der Kläger habe sich freiwillig für die Wahrnehmung des Sitzungsdienstes bereit erklärt. Und das im Bewusstsein, welche Vergütung er hierfür erhalten wird. Soweit der Kläger geltend macht, er sei durch das “ausbeuterische System des Referendariats” hierzu gezwungen worden, sei dies nicht nachvollziehbar. Denn unabhängig vom Sitzungsdienst erhalte der Referendar außerdem eine Unterhaltsbeihilfe (die in Baden-Württemberg momentan 1.252,51 Euro brutto beträgt).

Zwar tragen die Sitzungsvertreter:innen das finanzielle Risiko eines Ausfalls der Verhandlung am Beginn oder Ende eines Sitzungstages. Bei Ausfällen während des laufenden Sitzungstages trage aber grundsätzlich der Beklagte das Risiko, die Referendar.innen vergüten zu müssen, obwohl tatsächlich keine Verhandlung stattfand. Die Vergütung für den freiwilligen Sitzungsdienst sei deswegen nicht unverhältnismäßig und damit auch nicht ermessensfehlerhaft.

Kein Mindestlohn für Referendar:innen

Zwar können den Rechtsreferendar:innen im Rahmen der Ausbildung Geschäfte von Beamt:innen des gehobenen oder des mittleren Justizdienstes (z.B. Urkundsbeamt:innen) übertragen werden. Diese Tätigkeiten sind aber zeitlich, örtlich, organisatorisch und inhaltlich in die Ausbildungstätigkeit eingebunden und im Verhältnis zu dieser im Wesentlichen zu Ausbildungszwecken ausgeübten Beschäftigung nebensächlich. Auch dies spreche deswegen nicht gegen die Angemessenheit der Nebenvergütung im Sitzungsdienst. Überdies weisen die Richter:innen darauf hin, dass das Rechtsreferendariat grundsätzlich eine Vollzeitbeschäftigung darstellt. Rechtsreferendar:innen haben sich deswegen mit voller Kraft der Ausbildung zu widmen, § 6 I 1 JAG. Beim Rechtsreferendariat handele es sich deswegen weder um ein Arbeitsverhältnis noch ein Praktikumsverhältnis. Somit sei beispielsweise auch das Mindestlohngesetz nicht anwendbar.

Auch wenn die Entscheidung im Hinblick auf die Vergütung der Sitzungsdienste juristisch überzeugt, bleiben trotzdem Zweifel an der Höhe der Unterhaltsbeihilfe im Allgemeinen und der Ausgestaltung des Referendariats im Besonderen zurück. Vor allem letzteres ist in Baden-Württemberg – und vielen anderen Bundesländern – dringend reformbedürftig. Beispielsweise bei der Einführung und Umsetzung des sogenannten e-Examens.


Entscheidung: VG Freiburg, Beschl. v. 21.09.2021, Az. 3 K 3225/20
Entscheidung: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 04.04.2022, Az. 4 S 3797/21

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