„Trial consulting“ – wie wichtig die “richtige” Jury im US-amerikanischen Strafprozess ist

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Aus US-amerikanischen Serien ist auch den deutschen Jurist:innen das dort gebräuchliche Recht grundlegend bekannt. Für großes Unverständnis sorgt dabei oft das Rechtsinstitut der „Jury“ – also der Geschworenen – in einem Strafprozess. Das System geht soweit, dass es in den USA sogar Firmen gibt, die professionelles „trial consulting“ anbieten. Die also Strafverteidiger:innen bei der Auswahl und dem Umgang mit den Geschworenen unterstützen und beraten. Spannend!

Das amerikanische Rechtssystem sieht zwei verschiedene Arten von „Jurys“ vor. Die Grand Jury (16-23 Geschworene) entscheidet, ob in einem Strafprozess überhaupt Anklage erhoben wird. Die Trial Jury (6-12 Geschworene) stimmt dann in der Hauptverhandlung über die Schuldfrage ab. Das gesamte System ist höchst komplex.

Grand Jury und Trial Jury

Die Geschworenen sollen möglichst „unvoreingenommen“ sein. Deswegen ist es sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch für die Verteidigung besonders wichtig, welche Personen am Ende in der Jury sitzen. Beim Auswahlprozess dürfen beide Seiten Fragen stellen und Personen, die ihnen voreingenommen erscheinen, aus der Jury entfernen lassen. Für sie rücken dann andere Personen nach. Alleine die Geschworenen der „Trial Jury“ befinden über die Schuld oder Unschuld des:der Angeklagten. Ihre Entscheidung heißt „verdict“. In größeren Strafverfahren in den USA muss die Jury einstimmig entscheiden. In der Praxis werden die überwiegende Mehrheit der Strafverfahren jedoch nicht durch ein Urteil der Geschworenen, sondern durch einen Vergleich („plea bargain“) abgeschlossen.

Staatliches Informationsvideo für Geschworene in den USA

In den meisten Staaten werden die Geschworenen nach dem Zufallsprinzip anhand von Wählerverzeichnissen ausgesucht. Ihnen wird ein Formular zur Vorqualifizierung zugesandt, in dem sie Fragen beantworten und angeben müssen, ob es Gründe gibt, die sie von der Tätigkeit als Geschworene:r ausschließen würden. Im föderalen System werden die Geschworenen nach dem Jury Selection Act ausgewählt.

Voire dire: die Auswahl ist entscheidend

Bei der Vorvernehmung („Voire dire“) werden die potenziellen Geschworenen von den Anwält:innen, der Staatsanwaltschaft und den Richter:innen befragt. Bei Kapitalverbrechen hat jede Seite zwanzig Veto-Möglichkeiten. Das soll ein faires Verfahren gewährleisten, indem Geschworene aussortiert werden, die eine an dem Fall beteiligte Person kennen, die über Informationen zu dem Fall verfügen oder die möglicherweise starke Vorurteile gegenüber dem:r Angeklagten oder gegenüber der Tat haben.

Der Auswahl der „richtigen“ Jury-Besetzung wird dabei so viel Wichtigkeit zugemessen, dass es Firmen gibt, die „trial consulting“ anbieten. Dabei handelt es sich um eine spezielle Beratung, die z.B. Strafverteidiger:innen dabei helfen soll, zu bestimmen, welche Geschworenen ihrem Fall „helfen“ und welche Geschworenen für den:die Angeklagte eher hinderlich sind. Bei der „Prozessberatung“ werden Sozialwissenschaftler:innen, Psycholog:innen und Kommunikationsexpert:innen eingesetzt. Sie unterstützen die Anwält:innen bei der Vorbereitung von Zeug:innen, der Verbesserung von Argumenten und Rhetorik sowie bei der Auswahl von Geschworenen.

Wie wichtig das trial consulting für einen Fall sein kann, zeigt unter anderem die US-amerikanische Netflix-Serie “Lincoln Lawyer”, die wir Euch in unserem Beitrag zu den besten Anwaltsserien vorgestellt haben.

Dr. Jo-Ellan Dimitrius: Prozessberaterin von O.J. Simpson

Einer breiten Öffentlichkeit wurden die “trial consultants” erstmals durch den O.J. Simpson Prozess bekannt. So wird die Prozessberaterin Dr. Jo-Ellan Dimitrius, die an der Auswahl der Geschworenen für den O.J. Simpson-Prozess beteiligt war, inzwischen als „weltbeste Expertin“ auf ihrem Feld gehandelt. Die heute 68-Jährige schrieb ihre Doktorarbeit über das Thema “The Representative Jury: Fact or Fallacy”. Seit 1984 hat sie an über 1.000 Verfahren mitgewirkt und über 600 Jury-Besetzungen ausgewählt. Das “American Lawyer Magazine” bezeichnet sie deswegen als “Seherin” (“Seer”).

Der US-amerikanische Football-Spieler O. J. Simpson wurde 1994 über Nacht berühmt, nachdem ihm vorgeworfen worden war, seine Exfrau Nicole Brown Simpson und deren Bekannten Ronald Goldman ermordet zu haben. Der darauffolgende Mordprozess wurde live im US-TV übertragen. Die Geschworenen sprachen O.J. Simpson am 3. Oktober 1995 – nach neunmonatiger Verhandlung – frei. Der Prozess wurde kritisiert, weil beide Seiten versuchten, die Geschworenen auf emotionaler – statt auf sachlicher – Ebene zu beeinflussen. Zudem ging es in der Verhandlung vor den vornehmlich afroamerikanischen Geschworenen an vielen Stellen nicht um die Sache selbst, sondern um vermeintlichen und wirklichen Rassismus der Ermittler:innen. Trotz des Freispruchs verurteilte ein Zivilgericht O.J. Simpson im Februar 1997 zu einer Schadensersatz-Zahlung in Höhe von 33,5 Millionen US-Dollar an die Hinterbliebenen. Dies war möglich, da der Freispruch im Strafprozess für den Zivilprozess nach US-Recht nicht bindend ist.

Über den Fall erzählt Dimitrius der CNN: “Im Fall von O.J. wussten wir, dass es eine bestimmte Bevölkerungsgruppe gibt, die für unsere Verteidigung offener sein würde, weil wir vor dem Prozess so viel recherchiert hatten.” So bestand die Hälfte der Geschworenen im Strafprozess gegen O.J. Simpson aus afroamerikanischen Frauen. Und das war laut Dimitrius kein Zufall: “Wir erfuhren, dass afroamerikanische Frauen mit High-School-Abschluss oder geringerer Bildung, aus welchen Gründen auch immer, nicht glaubten, dass der nächste Schritt nach häuslichem Missbrauch oder häuslicher Gewalt notwendigerweise Mord sei”, sagte sie gegenüber CNN. “Ich konnte es damals nicht erklären, ich kann es heute nicht erklären, aber aus irgendeinem Grund waren sie diejenigen, die am offensten hierfür waren.”

Obwohl die Auswahl der Geschworenen in einem Prozess wichtig ist, betonte Dimitrius: “Ich ändere die Beweise nicht.” Sie sieht ihre Funktion eher als “Ergänzung zur Erfahrung eines guten Prozessanwalts.”

Obwohl es im Bereich des trial consultings mit Sicherheit viele Scharlatane gibt, ist nicht abzustreiten, dass die Besetzung der Jury einen großen Einfluss auf den Ausgang eines Strafprozesses hat. Das kann übrigens auch hier in Deutschland passieren. Denn auch bei uns gibt es im Strafprozess sogenannte Schöff:innen. Bei einer Besetzung mit beispielsweise einem:r Strafrichter:in und zwei Schöff:innen am Amtsgericht, können die Schöff:innen den:die hauptberufliche:n Richter:in damit theoretisch überstimmen.

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