Mythos “Mundraub”: Kann ich mich wegen Mundraub strafbar machen?

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Mal schnell im Supermarkt eine Traube in den Mund stecken? Oder am Feldrand von den Erdbeeren naschen? Dem:der Kolleg:in eine Pommes vom Teller klauen? Völlig zu Recht besagt ein bekannter Werbeslogan “du bist nicht du, wenn du hungrig bist”. Doch welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen beim Mundraub?

Rein formaljuristisch ist die Bezeichnung als “Mundraub” in den meisten Fällen schon völlig falsch. Denn ein Raub setzt nach § 249 StGB voraus, dass eine fremde Sache “mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben” weggenommen wird. Nimmt man sich also einfach nur Lebensmittel von einer Warenauslage, vom Feldrand oder von einem Teller fehlt es bereits am Merkmal der “Gewalt” oder “Drohung”. Nur wenn man beispielsweise eine Waffe zückt und den:die Gegenüber zur Herausgabe der Nahrungsmittel zwingt, käme ein “echter” Raub überhaupt in Betracht. (Für Fortgeschrittene: Oder ist es vielleicht doch eine räuberische Erpressung i.S.d. § 253, 255 StGB?).

“Mundraub” ist Diebstahl

Doch welcher Straftatbestand kommt dann in Betracht? In den meisten Fällen ist tatsächlich ein Diebstahl nach § 242 StGB einschlägig. Dieser setzt die Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache voraus, in der Absicht, sie sich oder einem Dritten zuzueignen. Bei Lebensmitteln (und natürlich auch bei Flüssigkeiten wie Getränken) handelt es sich völlig unstrittig um bewegliche Sachen. Ist man selbst nicht Eigentümer:in der Nahrungsmittel (für Fortgeschrittene: Und sind diese nicht “herrenlos”) handelt es sich auch um “fremde” Sachen. Unter einer “Wegnahme” ist juristisch der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams zu verstehen. Eine Wegnahmehandlung kann regelmäßig im Ergreifen der Sache zu sehen sein. Und auch in deren Verzehr. All diese objektiven Tatbestandshandlungen müssen in der Absicht geschehen, die Sache sich oder einem Dritten zuzueignen. Wegen Diebstahls macht sich also auch strafbar, wer Lebensmittel z.B. für seine Kinder entwendet. Ein Diebstahl wird mit einer Geldstrafe oder auch einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft.

Gibt es hiervon Ausnahmen? Jain, nach § 248a StGB ist der Diebstahl von sogenannten geringwertigen Sachen (je nach Bezirk 20-50 Euro) ein relatives Antragsdelikt. Das heißt, die Tat wird nur verfolgt, wenn der:die Eigentümer:in (oder z.B. der:die Supermarktinhaber:in) einen Strafantrag stellt oder die Staatsanwaltschaft von einem “besonderen öffentlichen Interesse” ausgeht.

Einverständnis z.B. auf dem Erdbeerfeld

Außerdem lässt ein Einverständnis des:der Eigentümer:in den Tatbestand des Diebstahls entfallen. Ist der:die Kolleg:in also einverstanden, dass man in der Kantine Pommes mopst, liegt kein Diebstahl vor. Dieser Sonderfall greift auch beim Selbstpflücken von Erdbeeren. Isst man auf dem Feld die süßen Früchte direkt und bezahlt nur die, die man im Korb gesammelt hat, liegt kein Diebstahl vor, wenn der:die Landwirt:in mit dieser Praxis explizit einverstanden ist. Das muss jedoch ausdrücklich so kommuniziert werden. Ansonsten gilt: Erntet man Felder oder Obstbäume ab, macht man sich wegen Diebstahls gem. § 242 StGB strafbar!

Das Eigentum wird aber auch im Zivilrecht besonders geschützt. Neben einer strafrechtlichen Verfolgung droht deswegen auch eine Schadensersatzforderung des:der Eigentümer:in für die verzehrten Lebensmittel nach § 823 I, II BGB.

Historischer Hintergrund

Schon nach der Bibel gab es Fälle des erlaubten Mundraubes: „Wenn du in den Weinberg eines andern kommst, darfst du so viel Trauben essen, wie du magst, bis du satt bist, nur darfst du nichts in ein Gefäß tun. Wenn du durch das Kornfeld eines andern kommst, darfst du mit der Hand Ähren abreißen, aber die Sichel darfst du auf dem Kornfeld eines andern nicht schwingen.“ – (Dtn 23,25 f.)

Historisch geht der “Mundraub” auf einen Straftatbestand zurück, der seit 1851 im damaligen Strafgesetzbuch stand. § 370 Nr. 5 StGB a.F. sah damals einen speziellen Tatbestand der “Entwendung von Genuss- und Nahrungsmitteln” vor. Wer Lebensmittel lediglich in sehr geringen Mengen sowie für den alsbaldigen Verzehr entwendete, sollte aber auch nach historischem Recht nicht bestraft werden. Im Volksmund wurde diese “Verbrauchsmittelentwendung” als “Mundraub” bezeichnet. Unter großen Widerständen wurde der Mundraub auch in das Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) vom 1. Januar 1872 aufgenommen („Notdiebstahl“).

Spannend sind auch die Definitionen, die sich das Reichsgericht für die verschiedenen Tatbestandsalternativen des § 370 Nr. 5 StGB ausdachte. Nahrungsmittel“ waren die zur Ernährung des menschlichen Körpers bestimmten Esswaren und Getränke, auch Saatkartoffeln, solange sie noch genießbar sind (RGSt 1, 223). „Genussmittel“ sind Stoffe, die von dem Körper aufgenommen, einen Reiz auf das Nervensystem auszuüben geeignet und bestimmt sind wie Tabak, Zigarren, Parfüms, nicht jedoch Blumen (RGSt 4, 72). „Gegenstände des hauswirtschaftlichen Gebrauchs“ sind alle Gegenstände, die im gewöhnlichen Leben zur Befriedigung eines hauswirtschaftlichen Bedürfnisses verbraucht zu werden pflegen, gleichgültig, ob mit diesem Verbrauch ein unmittelbares Genießen des Menschen verbunden ist oder nicht wie z. B. Viehfutter, nicht jedoch Wäschestücke (RGSt 46, 247, 261).

Zum 01. Januar 1875 wurde der Straftatbestand der Verbrauchsmittelentwendung abgeschafft. Das sorgte jedoch nicht für eine Straferleichterung. Das Gegenteil war der Fall. Die Wegnahme von Lebensmitteln fiel jetzt ganz regulär unter den Diebstahlstatbestand. Und wurde damit im Zweifelsfall härter bestraft als davor. Im Alltag ist der Mythos vom “Mundraub” jedoch in den Köpfen der Bevölkerung hängengeblieben. Und das, obwohl es ihn schon lange nicht mehr gibt.

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