Jurastudium: Warum es falsch ist, dass Prof’in Chiusi von einem “Loser-Bachelor” spricht

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Am 29. Juni 2022 erschien ein Artikel der Juraprofessorin Tiziana Chiusi in der FAZ, in dem sie den integrierten Bachelor als “Loser-Bachelor” bezeichnet. Studierendenvertreter:innen sind entsetzt.

Chiusi stellt in ihrem Artikel die steile These auf, dass “gerade aber die Qualität des erfolgreichen deutschen Modells der Juristenausbildung […] eine sehr wichtige Voraussetzung des wirtschaftlichen und rechtsstaatlichen Erfolgs der Bundesrepublik dar [stellt].” Sie ist der Ansicht, das zweistufige Modell in Deutschland – bestehend aus Universitätsstudium und zweijährigem Referendariat – böte einen großen Vorteil gegenüber dem in anderen Ländern üblichen Bachelor/Master-Modell. Diese These kann man vertreten. Die Art, wie Chiusi das in ihrem FAZ-Beitrag jedoch tut, ist für viele Jurastudierende ein Schlag ins Gesicht und trägt nicht zu einer sinnvollen Debatte auf Augenhöhe bei.

Frühe Spezialisierung statt Breitenstudium

Das deutsche Jurastudium ist bereits jetzt im internationalen Vergleich extrem lang, altbacken und theoriebezogen. Seit Jahrzehnten wird kritisiert, dass Jurastudierende sieben Jahre faktisch nur auf das Richter:innen-Dasein hin ausgebildet werden. Und das, obwohl über 80 Prozent aller Absolvent:innen später in der Anwaltschaft arbeiten. Das deutsche Jurastudium ist gleichzeitig thematisch extrem breit gefächert. Eine inhaltliche Spezialisierung findet lediglich im Schwerpunktbereich statt. Und auch später im Rechtsreferendariat gibt es noch nicht die Möglichkeit, sich auf einen Berufsweg vorzubereiten. Auch überzeugte Strafrechtler:innen müssen die Zivil- und Verwaltungsstation durchleben.

Die schlimmste Erkenntnis aller angehenden Jurist:innen ist jedoch: Wer nach ungefähr zehn Semestern und damit fast fünf Jahren Lebenszeit durch das Staatsexamen fällt, hat außer Abitur (und eventuell Führerschein) absolut nichts. Obwohl man zahlreiche Hausarbeiten (in den meisten Universitäten 8-10) und mindestens genauso viele Klausuren geschrieben hat, werden diese akademischen Leistungen nicht honoriert. Der:die “gescheiterte” Jurastudent:in darf nochmal von vorne anfangen. In einem anderen Studiengang. Dass Chiusi diese Jurastudierenden kollektiv als “Loser” bezeichnet, ist ein Skandal.

“Loser-Bachelor” unverschämt und weltfremd

In zeitlicher Hinsicht in Chiusis Abrechnung mit dem Jura-Bachelor kein Zufall. Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben nach den Landtagswahlen den integrierten Jurabachelor in ihre Koalitionsverträge aufgenommen. Und immer mehr Jurafakultäten entscheiden sich unabhängig von politischen Vorstößen dafür, einen Bachelorabschluss für Jurist:innen anzubieten. Dass dieser kein vollwertiges Staatsexamen darstellt, ist bekannt. Ein Bachelor/Master-Abschluss qualifiziert auch nicht für eine Karriere als Richter:in, bei der Staatsanwaltschaft oder in der Anwaltschaft. In Unternehmen werden Wirtschaftsjurist:innen jedoch händeringend gesucht. Die Tage der sogenannten Juristenschwemme sind vorbei. Und der Jura-Bachelor bringt deutlich jüngere Absolvent:innen auf den Berufsmarkt, die dann noch Zeit haben, sich in der Praxis zu spezialisieren. Beispielsweise auf das immer wichtiger werdende Datenschutzrecht. Auch Versicherungen, Banken und Verbände suchen nach Mitarbeiter:innen mit juristischem Gespür. Die Jobaussichten sind heute also so gut wie nie.

Der integrierte Bachelor hat außerdem für alle Jurastudierende einen entscheidenden Vorteil: Niemand muss sich mehr vor dem kompletten Scheitern fürchten! Denn Prüfungsangst und Existenzängste sind etwas, das angehende Jurist:innen um ein vielfaches mehr quält als andere Student:innen. Und das kommt daher, dass es heute noch kein Auffangnetz gibt. Es gilt: Alles oder nichts! Chiusi tut auch das in ihrem FAZ-Artikel mit einem Schulterzucken ab. Sie ist der Ansicht, Schuld an der Prüfungsangst sei nicht das System Jurastudium, sondern die kommerziellen Repetitorien. Und das ist schlichtweg Quatsch. Die Prüfungsangst stellt sich bereits in den ersten Semestern ein. Dann, wenn Juraprofessor:innen wie Chiusi davor warnen, dass nur die allerbesten das Studium bestehen werden. Ein kommerzielles Repetitorium besuchen angehende Jurist:innen hingegen erst dann, wenn alle Zwischenprüfungen bereits geschafft sind und das Examen vor der Tür steht. An der Angst, die im Jurastudium umgeht, sind also nicht die Repetitorien schuld. Sondern die Professor:innen und das System “altbackenes, deutsches Jurastudium mit Eliteanspruch”. Chiusis Annahmen sind damit “unverschämt, weltfremd und führen an der eigentlichen Debatte komplett vorbei” (LTO).

Reform des Jurastudiums, jetzt!

Und selbst die Behauptung, dass das Juraexamen durch den Bachelor “abgewertet” werden würde, ist schlicht falsch. Denn niemand bekommt für weniger Leistung einen höherwertigeren Abschluss. Der Inhalt des Jurastudiums an sich wird nicht angetastet – und damit dessen Qualität auch nicht gesenkt. Es wird lediglich ein – anderer, zusätzlicher – Abschluss als “Auffangtatbestand” eingeführt für alle, die am “richtigen” Juraexamen “scheitern”. Oder um es positiv zu formulieren: Für alle, die sich lieber spezialisieren und gezielt einen wirtschaftstauglichen Master absolvieren wollen.

Wir begrüßen es deswegen, dass die Bundesfachschaft Jura sowie viele Landesfachschaften sich engagiert für eine bundesweite Einführung des integrierten Bachelor einsetzen. Dabei werden sie auch von der Initiative iur.reform unterstützt, die eine repräsentative Umfrage gestartet hat, um ein für alle mal zu klären, wie man das deutsche Jurastudium für alle gewinnbringend reformieren kann. Auch Leah Feyh, Antonia Tabea Hoff und Christvie Yenge sprechen sich online für einen integrierten Bachelor aus. Prof. Roland Schimmel schreibt dazu für LTO: “Der strenge Blick der Verfasserin auf die vielen, angeblich für das Jurastudium in Wirklichkeit ungeeigneten Studenten offenbart eine Nur-die-Harten-kommen-in-den-Garten-Haltung, die Zweifel an der Qualität der juristischen Ausbildung und der Aussagekraft der Prüfungen erst gar nicht aufkommen lässt. Ein guter Jurist ist, wer gute Prüfungsnoten erzielt. Naja.” Dass hier Reformen her müssen, bestreitet außer Chiusi heute eigentlich niemand mehr.

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