Harry Potter und die Drei-Elemente-Lehre: Ist die magische Welt ein souveräner Staat?

Alle Jurastudierenden, die zumindest einmal in die Vorlesung zum Staatsrecht hineingeschnuppert haben, kennen die Drei-Elemente-Lehre. Diese gibt drei Kriterien vor, die Voraussetzung für einen souveränen Staat im juristischen Sinne sind. Spannend wird es, wenn man die Theorie auf die magische Welt von Harry Potter anwendet. Handelt es sich bei der Zaubererwelt um einen Staat im Sinne der Drei-Elemente-Lehre?

Die Frage kann nur beantwortet werden, wenn man sich den Inhalt der Drei-Elemente-Lehre genauer ansieht. Begründer der Theorie ist der österreichische Staatswissenschaftler Georg Jellinek, der ab 1891 allgemeines Staatsrecht und Völkerrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg lehrte.

Nach Jellinek ist ein Staat ein soziales Gebilde, das ein von Grenzen umgebenes Territorium (Staatsgebiet), eine darauf als Kernbevölkerung ansässige Gruppe von Menschen (Staatsvolk) sowie eine auf diesem Gebiet herrschende Staatsgewalt voraussetzt. Die drei Elemente der Lehre sind also: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Wie sieht es in unserer Zaubererwelt aber damit aus?

Großbritannien als „Staatsgebiet“

Wie alle Harry Potter Leser:innen wissen, spielen die Harry Potter Bücher in Großbritannien, wobei die Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei in Schottland liegt, während das Zaubereiministerium im Untergrund Londons angesiedelt ist. Neben Hexen und Zauberern aus Großbritannien gibt es aber auch in anderen Ländern eine magische Bevölkerung. So erfährt man in Band vier, dass im Jahr 1994 die 422. Quidditch-Weltmeisterschaft zwischen Irland und Bulgarien stattfindet. Im gleichen Buch kommen außerdem Schüler:innen aus Frankreich (Beauxbatons) und Osteuropa (Durmstrang) zu Besuch, um in Hogwarts am Trimagischen Turnier teilzunehmen. Die in unserer realen Welt existierenden Länder gibt es also auch in den Harry Potter Büchern.

»Was sind das wohl für Leute?«, sagte er [Anm. Harry]. »Sie gehen nicht nach Hogwarts, oder?« »Ich glaub, die gehen auf irgendeine ausländische Schule«, sagte Ron. »Ich weiß jedenfalls, dass es noch andere Schulen gibt, hab aber noch nie jemanden davon kennen  gelernt. Bill hatte eine Brieffreundin auf einer Schule in Brasilien … das ist schon ewig  lange her  …  und er wollte mal als Austauschschüler dorthin, aber Mum und Dad konnten  es sich nicht leisten. Seine Brieffreundin war schwer sauer, als er absagte, und hat ihm  einen verhexten Hut geschickt, der seine Ohren schrumpeln ließ.«”

Das stellt uns beim Kriterium „Staatsgebiet“ vor ein großes Problem. Die magische Bevölkerung teilt sich strenggenommen ein Staatsgebiet mit der Muggelbevölkerung. In London wurde das Problem so gelöst, dass das Zaubereiministerium unter der Erde geschaffen wurde. Die Muggel wissen also nichts davon, dass sie sich ihr Staatsgebiet mit einer magischen Bevölkerung im Untergrund teilen. Und auch magische Dörfer wie Hogsmeade, die Winkelgasse oder Godrics Hollow liegen ganz normal auf dem Territorium Großbritanniens.  

„Da Hogsmeade das einzige nur von Zauberern und Hexen bewohnte Dorf in Großbritannien war, vermutete Harry, dass es eine Art Zuflucht war für Geschöpfe wie die Sabberhexen, die sich nicht so geschickt tarnen konnten wie Zauberer.”

Das „Staatsgebiet“ wird dabei juristisch definiert als „ein begrenzter Teil der Erdoberfläche“, wobei sich der Staat in territorialer Hinsicht nicht nur auf die Fläche selbst bezieht, sondern auch nach oben bis zur Stratosphäre und nach unten bis zum Erdmittelpunkt reicht. Also auch auf das unterirdische Zaubereiministerium. Dort, wo sich die Muggel-Welt und die Zauberer-Welt flächendeckend überschneiden, fehlt es also an einem eigenen Staatsterritorium. Aber: Heißt das dann, dass es keine Zaubererwelt gibt oder fehlt an dieser Stelle nicht eher ein Teil unserer Muggel-Welt? Fragen über Fragen.

Zumindest Hogwarts ist so mit Schutzzaubern belegt, dass es von Muggeln weder gesehen noch betreten werden kann. Gleiches gilt für die Winkelgasse und Hogsmeade. Wenn Muggel diese Gegenden also nie betreten können, spricht vieles dafür, dass zumindest diese Fleckchen auf der Landkarte echtes, einzigartiges Zauberer-Territorium sind.

Muggel und Magier als “Staatsvolk

Die magische Bevölkerung bezeichnet nicht-magische Menschen liebevoll als „Muggel“. Doch auch dabei gibt es problematische Überschneidungen. Muggelstämmige Personen wie Hermine Granger – deren Eltern beide keine magischen Fähigkeiten haben – wachsen ganz normal in der Muggelwelt auf. Sie haben eine Geburtsurkunde, einen Pass und gehen in der Muggelwelt zur Schule. Erst mit elf Jahren werden sie im Hogwarts-Internat eingeschult und bekommen Zugang zu den magischen Institutionen wie z.B. zur Winkelgasse, wo sie dann auch ein Zauberer-Konto in der Zaubererbank Gringotts eröffnen können.

»Ein Muggel«, sagte Hagrid, »so nennen wir Leute wie ihn, die nicht zu den
Magiern gehören. Und es ist dein Pech, dass du in einer Familie der größten Muggel
aufgewachsen bist, die ich je gesehen habe.«

Strenggenommen verfügen muggelstämmige Schüler:innen und auch Zauberer wie Harry, die zumindest in der Muggelwelt aufwachsen, also über eine “doppelte Staatsbürgerschaft”. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht kennt verschiedene Möglichkeiten, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben (§ 4 StAG). Unter anderem den Erwerb durch Geburt sowie durch Einbürgerung. Das Geburtsortprinzip wie die USA kennt Deutschland nicht. Dort ist es so, dass alle Personen, die auf dem Boden der USA geboren sind, automatisch die amerikanische Staatsbürgerschaft kraft Geburt (birthright citizenship) erhalten. In Großbritannien unterscheidet man zwischen der Staatsbürgerschaft durch Geburt (im Inland), Abstammung (“by descent”) oder Einbürgerung (“by naturalisation”).

Schaut man sich Familien wie die Malfoys oder die Weasleys an, die ausschließlich in der Zaubererwelt unterwegs sind, fragt man sich umgekehrt aber auch: Gibt es überhaupt eine magische Staatsbürgerschaft? Denn die Hexen und Zauberer scheinen über das ganze Land verstreut zu leben. Für eine solche magische Staatsbürgerschaft spricht, dass alle magisch geborenen Kinder von Hogwarts registriert werden. Diese automatische magische Registrierung ist die Voraussetzung dafür, dass die Kinder dann eine Einladung nach Hogwarts erhalten. Statt einem Geburtenregister existiert also zumindest ein offizielles Schulregister, das von der “Feder der Akzeptanz” erstellt wird.

“Es [Anm. die sog. Feder der Akzeptanz] erkennt die Geburt eines magischen Kindes und schreibt seinen oder ihren Namen in ein großes Buch. Jedes Jahr überprüft Professor McGonagall das Buch und schickt den Kindern, die elf werden, Eulen, um ihnen mitzuteilen, dass sie einen Platz in Hogwarts haben.”

Und noch etwas spricht für eine magische Staatsbürgerschaft. Das Zaubereiministerium belegt alle minderjährigen Hexen und Zauberer mit der sogenannten „Spur“. Einem Zauber, der alle magischen Aktivitäten rund um diese Person registriert. Neben Hogwarts scheint also auch das Zaubereiministerium die Geburt magischer Kinder zu registrieren. Spätestens wenn man sich mit elf Jahren in der Winkelgasse einen Zauberstab ausgesucht hat, fungiert auch dieser als Ausweispapier. Beispielsweise, wenn man ein Konto in Gringotts eröffnen bzw. Zugang zu einem Verlies haben will.

„»Die Spur, die Spur!«, sagte Mad-Eye ungeduldig. »Der Zauber, der magische Aktivitäten im Umfeld von unter Siebzehnjährigen aufspürt, mit dem das Ministerium rausfindet, wenn Minderjährige Zaubern! Wenn du oder irgendjemand um dich herum einen Zauber ausführt, um hier rauszukommen, dann wird Thickness davon erfahren, genauso wie die Todesser.«

Das alles spricht dafür, dass es sich bei den klar definierten Hexen und Zauberern (zu denen auch Squibs gehören) in Großbritannien um das magische Staatsvolk eben jenes Territoriums handelt.

Alle Staatsgewalt dem Zaubereiministerium!

Welche Staatsform herrscht eigentlich in der Zaubererwelt vor? Denn diese trägt ganz entscheidend dazu bei, wer in der magischen Welt die Staatsgewalt ausübt. Dazu gibt es eine erschreckend klare Antwort! Alle Macht bündelt sich im hierarchisch gegliederten Zaubereiministerium und dessen Chef dem Zaubereiminister.

„»Zaubereiministerium vermasselt mal wieder alles, wie üblich«, brummte Hagrid und blätterte um. »Es gibt ein Ministerium für Zauberei?«, platzte Harry los. »Klar«, sagte Hagrid. »Wollten natürlich Dumbledore als Minister haben, aber der würde nie von Hogwarts weggehen. Deshalb hat Cornelius Fudge die Stelle bekommen. Gibt keinen größeren Stümper. Schickt also Dumbledore jeden Morgen ein Dutzend Eulen und fragt ihn um Rat.« »Aber was tut ein Zaubereiministerium?« »Nun, seine Hauptaufgabe ist, vor den Muggels geheim zu halten, dass es landauf, landab immer noch Hexen und Zauberer gibt.« »Warum?« »Warum? Meine Güte, Harry, die wären doch ganz scharf darauf, dass wir ihre Schwierigkeiten mit magischen Kräften lösen. Nö, die sollen uns mal in Ruhe lassen.«“

Das Zaubereiministerium ist wiederum in verschiedene Abteilungen gegliedert, denen jeweils ein:e Abteilungsleiter:in (ähnlich z.B. unserer Minister) vorsteht. Beispielsweise die Abteilung für magische Strafverfolgung. Eine Art Staatsanwaltschaft, die auch die Polizei (magische Strafverfolgungspatrouille) sowie ein Sondereinsatzkommando (Auroren) beherbergt. Dabei entspricht das Bild des Zaubereiministeriums dem eines kafkaesken, aufgeblasenen Behördenapparates.

By: jontorresart (DeviantArt)

Das größte Problem: Die Zaubererwelt verfügt über kein Parlament und auch keine politischen Parteien. Der Zaubereiminister wird vielmehr laut Pottermore/Wizarding World vom Volk alle sieben Jahre direkt gewählt.

„The Ministry of Magic was formally established in 1707 with the appointment of the very first man to hold the title ‘Minister for Magic’, Ulick Gamp.\* The Minister for Magic is democratically elected, although there have been times of crisis in which the post has simply been offered to an individual without a public vote (Albus Dumbledore was made such an offer, and turned it down repeatedly). There is no fixed limit to a Minister’s term of office, but he or she is obliged to hold regular elections at a maximum interval of seven years.”

An der mächtigen Stellung des Zaubereiministers kann auch der Zaubergamot, das höchste Gericht der Zaubererwelt, nichts ändern. Denn diesem steht der Zaubereiminister direkt vor. Cornelius Fudge fungiert in Harrys disziplinarischer Anhörung als Ankläger und Richter in Personeneinheit. Und auch bei den abstimmenden Personen handelt es sich nicht um neutrale Berufsrichter, sondern um eine Jury aus angesehenen Personen der Zauberergesellschaft – auf deren Zusammensetzung wiederum der Zaubereiminister einwirkt. Wenig verwunderlich ist es deswegen, dass Sirius Black komplett ohne eine Gerichtsverhandlung im Folter-Knast Askaban landet. Das gleiche Schicksal ereilt zeitweise auch den Halbriesen Hagrid.

Das politische und rechtliche System der Zaubererwelt ist damit fehleranfällig, antidemokratisch und unfair. Das ändert aber nichts daran, dass das Zaubereiministerium eine klar definierte – sehr strenge – Staatsgewalt über seine Bevölkerung ausübt. Auch dieses Kriterium der Drei-Elemente-Lehre ist damit erfüllt.


Weitere Artikel zum Thema Harry Potter und Jura:

-Werbung-

Ähnliche Artikel

Social Media

6,795FollowerFolgen
2,166FollowerFolgen
Download on the App Store
Jetzt bei Google Play
-Werbung-

Letzte Artikel