Digitalisierung der Justiz: Was geht schon, wo sind die Grenzen?

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Twitter und andere Onlineplattformen dieser Art erfreuen sich nicht erst seit den vergangenen zwei Corona-Jahren größerer Beliebtheit. Diese Beliebtheit bezüglich des Kurznachrichtendienstes ist bei Elon Musk in letzter Zeit zwar abgekühlt, jedenfalls aber in einem prozesshaften Sinne vorhanden, wenn man sich seine kürzlichen Bemühungen hinsichtlich der Verhinderung eines beschleunigten Verfahrens im Fall Musk vs. Twitter ansieht. Doch soll dies hier nicht Thema werden. Vielmehr soll es darum gehen, welche Potentiale die Coronazeit aufgezeigt und welche tiefgreifende Veränderungen sie auch in der Justiz angestoßen hat. Aber eins nach dem anderen.

Legal Tech: Das “It”-Thema der Stunde

Während die Justiz bei der Digitalisierung noch hinterherschnauft, beschäftigen sich immer mehr Kanzleien und ITler mit dem Thema Legal Tech. Also im weitesten Sinne mit der Automatisierung juristischer Prozesse. Dadurch soll die Effizienz und Qualität der juristischen Arbeit gesteigert werden. Das versprechen zumindest die Befürworter:innen. Die Gegner:innen warnen davor, dass so Arbeitsplätze verloren gingen und gleichzeitig die Qualität der anwaltlichen Beratung sinke. Denn individuelle Rechtsfälle seien gerade nicht in Schema F zu pressen und von einer KI zu lösen, sondern bedürfen einer menschlichen Betreuung. Das Thema Legal Tech steckt heute – zumindest in Deutschland – noch in den Kinderschuhen. Bisher geht es hier beispielsweise um Formvorlagen für Klageschriften. Noch können Computer keine Mandantengespräche führen und selbstständig auch noch keine Klagen schreiben. Was in diesem Bereich aber in Zukunft möglich sein wird, zeigt beispielsweise der erste digitale Ehevertrag mittels Blockchain, geschlossen in Österreich (JURios berichtet). Für Aufsehen hat auch ein Versuch aus den USA gesorgt. Bei diesem schlug eine Künstliche Intelligenz mehrere Anwält:innen bei der Vertragsanalyse (JURios berichtet).

Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA)

Seit dem 01. Januar 2022 ist das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) verpflichtend für Rechtsanwält:innen. Zwar gibt es den aus der Kanzleipraxis verbreiteten Zusatz “vorab per Telefax” noch, der Inhalt dieser Regelung ist aber mittlerweile wohl fast deckungsgleich mit dem unmittelbaren Zugang auf elektronischem Wege.

Uneingeweihte werden nun wohl aufhorchen: Ein Schritt in Richtung Digitalisierung der Justiz/der juristischen Arbeit? Ja, nicht nur durch E-Government ist dies vorangetrieben worden, sondern auch in anderen Bereichen nimmt der technologische Fortschritt merklich Formen an (kritisch JURios). Der Vorteil des beAs liegt in letzter Konsequenz in der digitalen Akte sowie der Nachvollziehbarkeit und Sicherheit des Schriftverkehrs. Der Nachteil liegt in der Umstellung der bisherigen Arbeit, den Kosten für die Modernisierung und der gänzlichen Umstrukturierung eines bestehenden, langjährig betriebenen Systems. Zu guter Letzt muss man sich auch die Frage erlauben, ob es sich bei dieser Vorschrift für die anwaltliche Tätigkeit sogar um einen Grundrechtseingriff handelt.

Digitale Verhandlung: § 128a I ZPO

Ein anderes Beispiel für die einziehende Digitalisierung findet sich in § 128a I ZPO. Dort heißt es, dass das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen – auf Antrag oder von Amts wegen – gestatten kann, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird im Rahmen dessen zeitgleich in Bild und Ton an beide Orte übertragen.

Die Erleichterung für die Beteiligten liegt dabei auf der Hand. Fraglich ist, ob das Justizgrundrecht auf eine öffentliche Verhandlung in diesem Zusammenhang noch ausreichend gewahrt wird oder ob dieses Prozedere letztlich zu einer verbesserten Anwendung des besagten Grundrechts führt? Problematisch ist auch die Thematik der Aufzeichnung des Gerichts und ob dieser Umstand für die Entscheidungskörper einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung hat.

Dashcams und Wildtierkameras

Ein anderer äußert interessanter Aspekt der Digitalisierung ist der Einsatz von Dashcams bzw. Unfallkameras. Diese sind beim Auto vorne bzw. hinten angebracht und können im Falle eines Autounfalls zur Rekonstruktion des Unfallhergangs herangezogen werden. Dabei ist die rechtliche Zulässigkeit umstritten. Bei Wildtierkameras ist ein anderes Prinzip im Fokus, da sie in erster Linie zur Wildtierbeobachtung konzipiert sind.

Der Unterschied zwischen diesen Aufzeichnungsmethoden liegt darin, dass bei der einen rein zufällige menschliche Sichtungen erfolgen, die so nicht gewollt sein können. Bei der anderen sind Aufnahmen zur Beweissicherung und Beweisbarkeit gewollt, wenn etwas Unvorhergesehenes im Straßenverkehr geschieht.

In beiden Fällen geht es jedoch um das allgemeine Persönlichkeitsrecht der von der ungewollten und teilweise auch unbewussten Aufnahme betroffenen Person (vgl. hierzu Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG).

Neuer Stoff für Dissertationen!

Es ist deswegen wenig verwunderlich, dass die Digitalisierung – innerhalb der Justiz, aber auch im Allgemeinen – zu spannenden neuen Rechtsfragen führt. Beispielsweise beim autonomen Fahren. Es stellt sich hier z.B. die Frage, wer haftet, wenn die Steuerungssoftware eines autonom fahrenden Autos in den Fahrvorgang eingreift und dabei aus Versehen einen Unfall verursacht, der vom Fahrenden hätte vermieden werden können. Ist dann noch der:die Fahrer:in schuld? Oder doch eher der:die Autohersteller:in? Dieser Frage gehen beispielsweise Markus Weichbold und Jan Feldmann an der Universität Wien nach. Einen Fachaufsatz zu diesem Thema verfasste schon 2018 Prof. Wolfgang Mitsch für die KriPoz.

Ausblick

Kommen wir aber nochmals auf Herrn Musk zu sprechen: Dieser hat für seine Angestellt:innen eine hundertprozentige Präsenzpflicht vorgeschrieben, sofern bei diesen noch keine 40 Stunden pro Woche erreicht sind. Dieses Prinzip von “ganz oder gar nicht” ist in manchen Bereichen korrekt und nicht anders umsetzbar. Ein Freifahrtschein für eine Generalisierung dessen sollte dies aber nicht werden, da viele Branchen sich für permanente „Home-Office-Tage“ anbieten würden. Viele Studien bewiesen an dieser Stelle bereits, dass bei einer umfassenden „Home-Office-Welle“ die CO2-Bilanz positiv verändert werden würde. Der Blick sollte daher darauf gerichtet sein, welche Bereiche möglicherweise permanent oder in großen Teilen sporadisch in Zukunft digitalisiert werden können. Selbst gewisse Vorlesungs- oder Lerninhalte sind dazu geeignet, digitalisiert zu werden, um den Studierenden die Chance der wiederkehrenden Aufarbeitung zu geben.

Das bringt jedoch die Frage mit sich, welches Potential generell noch im Thema Digitalisierung steckt. Beispielsweise auch im Hinblick auf das lang ersehnte e-Examen im Jurastudium (JURios berichtet)!

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