Initiative OpenRewi – kostenlose Lehrbücher für alle?

OpenRewi, die Initiative für eine offene Rechtswissenschaft, setzt sich dafür ein, juristische Lehrbücher, Fallbücher und Handbücher frei zugänglich im Internet zu veröffentlichen. Kostenlos und für alle. Wir haben mit den Köpfen hinter OpenRewi gesprochen und uns erklären lassen, wie das funktioniert und warum am Ende alle von einer “offenen Rechtswissenschaft“ profitieren.

Der Begriff „open source“ ist vor allem aus der Informationstechnologie bekannt. Darunter versteht man Software, deren Quellcode frei verfügbar ist. Jede:r kann also einsehen, wie das Programm funktioniert und welche Technologie dahinter steckt. Meistens dürfen die Programme kostenlos genutzt und weiterverbreitet werden. Dies beugt beispielsweise Monopolstellungen vor und kurbelt Innovationen an.

Auch im wissenschaftlichen Bereich gibt es seit vielen Jahren Bestrebungen, Forschungsergebnisse (im sog. open access) und Lehr- und Lernmaterialien (sog. open educational resources) kostenlos für alle zugänglich ins Netz zu stellen. In den USA ist es beispielsweise schon üblich, wissenschaftliche Aufsätze in Datenbanken online zur Verfügung zu stellen. Auch in Deutschland gibt es immer stärkere Bestrebungen, den Output von Wissenschaftler:innen für jede:n zugänglich zu machen. So profitieren alle Studierenden, Lehrenden, Forschenden und Interessierten von diesem Wissen. Offene Lizenzen erlauben es zudem, die Veröffentlichungen weiterzuentwickeln.

In Deutschland stehen juristische Texte (aber auch Urteile) meistens noch hinter einer Bezahlschranke (beispielsweise bei Beck Online oder Juris). So werden nur etwa ein Prozent aller Gerichtsentscheidungen im Netz veröffentlicht. Auch Lehrbücher werden bisher weitgehend kommerziell hergestellt und müssen von Bibliotheken und Studierenden gekauft werden. Das behindert nicht nur die Forschung, weil eine Auswertung von Daten unglaublich kompliziert ist, sondern ist auch intransparent für Bürger:innen, die sich über Gerichtsentscheidungen informieren möchten.

Der Verein in Gründung OpenRewi möchte hier für deutliche Verbesserungen sorgen.

JURios: OpenRewi wurde 2020 gegründet. Wie kam das damals zustande?

“Die Idee für den Verein hatte Maximilian Petras, der heute auch einer der Vereinssprecher von OpenRewi ist. Er ist auf das von Nikolas Eisentraut herausgegebene offene Lehrbuch zum Verwaltungsrecht ‘Verwaltungsrecht in der Klausur’ gestoßen und hat sich dann genau wie Nikolas zuvor für eine Projektförderung im Fellow-Programm Freies Wissen beworben. Im Rahmen der Projektförderung hat Max dann weitere Mitstreiter:innen für den Verein und für ein eigenes Lehrbuchprojekt zu den Grundrechten gesucht und gefunden. Gleich zu Beginn haben sich weitere Freiwillige für eigene Projekte gefunden, die parallel zu wachsen begannen. Louisa Zech hat mit dem Strafrechtsprojekt begonnen und Rhea Nachtigall ein Projekt zum Migrationsrecht gestartet. Luca Knuth hat unsere Website aufgesetzt. Wegen Corona haben wir uns anfangs im kleinen Kreis in digitalen Meetings getroffen, die Struktur ist aber schnell gewachsen und weitere Projekte sind hinzugekommen. Uns wurde schnell klar, dass offen verfügbare Lehrbücher auf großes Interesse stoßen, sowohl bei den Studierenden als auch beim wissenschaftlichen Mittelbau und teilweise sogar in der Professor:innenschaft, dass es aber bisher noch keine Infrastruktur gab, um solche Projekte zu realisieren. Da war es an der Zeit, eine Satzung aufzusetzen und die Vereinsgründung in die Wege zu leiten.”

Als Ziel hat sich OpenRewi gesetzt, die Öffnung der Rechtswissenschaft im Sinne von Open Science zu fördern. Die Initiative möchte Studierenden eine qualitativ hochwertige Alternative zu kommerziellen Lehrbüchern bieten und dafür alle examensrelevanten und gesellschaftlich bedeutsamen Rechtsgebiete mit offen lizenzierten Lehrbüchern und begleitenden Fallbüchern abdecken. Gleichzeitig möchte OpenRewi auch die Öffnung anderer Publikationsformate fördern und unterstützt daher z.B. auch Handbuch- und Kommentarprojekte. Mit OpenRewi soll ein Ort entstehen, an dem rechtliches Wissen diskutiert und geteilt werden kann. “Alle sind willkommen, selbst ein Projekt zu starten, daran mitzuwirken oder bei der Vereinsarbeit zu unterstützen. Wir setzen uns außerdem aktiv für Diversität in den Projekten und im Verein ein.”

JURios: Und wer macht heute alles bei Euch mit? Wer sind die „Köpfe“ hinter OpenRewi?

“Die Initiative wird sowohl von den Vereinsmitgliedern als auch von unseren Projekten und ihren Autor:innen getragen. Der Verein hat einen Vorstand mit unseren Vorstandsprecher:innen Valentina Chiofalo und Maximilian Petras. Gleichzeitig lebt der Verein von den Projekten, die in unserer Projektkonferenz vertreten sind und die die inhaltliche Basis unserer Arbeit schaffen. Unser Verein folgt den Prinzipien einer offenen Vereinskultur: Transparenz, demokratische Beteiligung & direkte Kommunikation. Jede Person, die Lust hat, kann sich in unseren Strukturen einbringen und etwas zur Öffnung der Rechtswissenschaft beitragen. Es machen sowohl Studierende, Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und auch der:die ein:e oder andere Professor:in bei uns mit.”

In den letzten zwei Jahren hat OpenRewi bereits überraschend viele Projekte gestartet. Am Anfang stand das Projekt „Verwaltungsrecht in der Klausur“. Gemeinsam mit 35 Wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen aus ganz Deutschland hat Nikolas im Rahmen der Förderung durch das Fellow-Programm „Freies Wissen“ ein offen lizenziertes Lehrbuch und ein begleitendes Fallrepetitorium verfasst. Es handelt sich um das erste offen lizenzierte Lehr- und Fallbuch in der deutschen Rechtswissenschaft überhaupt.

Das Fallrepetitorium kann seit Oktober 2019 auf der Verlagshomepage des Carl Grossmann Verlags kostenlos heruntergeladen, im Buchhandel käuflich erworben und auf Wikibooks.org kostenlos gelesen und bearbeitet werden. Das Lehrbuch kann seit Februar 2020 auf der Verlagshomepage von De Gruyter kostenlos heruntergeladen, im Buchhandel käuflich erworben und auf Wikibooks.org kostenlos gelesen und bearbeitet werden.

Das Lehrbuch verzeichnet Stand heute allein auf dem Repositorium der Freien Universität Berlin über 40.000 Dateizugriffe. Hinzu kommen die Nutzer:innen, die das Buch auf Wikibooks oder über die Verlagshomepage nutzen.

Nur wenig später erarbeitete das Projekt Grundrechte ein offenes Lehrbuch und ein offenes Fallbuch zu den Grundrechten. Diese wurden auf Wikibooks erstellt und anschließend unter einer Open Access Lizenz bei DeGruyter veröffentlicht. Zuletzt hat eines der OpenRewi-Projekte ein Lehr- und Fallbuch zum Staatsorganisationsrecht veröffentlicht.

JURios: Wie läuft die Erstellung eines solchen Buches bei Euch ab? Erzählt mal!

“Am Anfang jeden Projekts steht immer jemand, der oder die sich fragt: Wieso gibt es das eigentlich nicht für alle frei zugänglich und kostenlos? In der Regel geht es dann mit einem Call weiter – wir organisieren also über den Verein einen Aufruf an potentielle Autor:innen, wer an einer konkreten Projektidee mitwirken möchte. So findet sich ein Team, das dann gemeinsam das Projekt realisiert. OpenRewi steht den Teams mit Rat und Tat zur Seite: in der Projektkonferenz, mit dem Know-How unserer Mitglieder, mit unserer Infrastruktur und mit Anleitungen, die etwa erklären, was es als Herausgeber:in eines Lehrbuchs oder als Autor:in zu beachten gilt. Das Grundrechteprojekt beispielsweise wurde im Kreis der Autor:innen gemeinsam geplant, dann in mehreren Book-Sprints realisiert und anschließend gegenseitig gereviewt, bevor die fertige Datei dann zum Verlag ging.”

Doch damit nicht genug. Zu den laufenden Projekten von OpenRewi gehören unter anderem ein Lehrbuch zum Strafrecht BT, ein Handbuch zu aktuellen Fragen des Geistigen Eigentums und ein Fallbuch zum Asylrecht. Dabei stehen die Texte von OpenRewi einem „klassischen“ Lehrbuch/Fallbuch in nichts nach. Die Mitarbeitenden sind fast alle Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und/oder Doktorand:innen an thematisch passenden Lehrstühlen, aber auch fachlich ausgewiesene Praktiker:innen. Sie kennen die Grundsätze des Wissenschaftlichen Arbeitens genau und haben auch bereits selbst erste Lehrerfahrungen, beispielsweise bei der Betreuung von universitären Arbeitsgemeinschaften. Ein Peer Review Verfahren sorgt dafür, dass jeder Text vor der Veröffentlichung auf Herz und Nieren geprüft wird.

JURios: Welche Herausforderungen und Hindernisse müsst Ihr täglich meistern?

“Ein immer wieder auftauchendes Thema bei uns ist die Infrastruktur: Wir publizieren unsere Inhalte aktuell auf Wikibooks, was an sich eine wirklich tolle Plattform für kollaboratives Arbeiten ist. Dennoch fehlen uns Add-ons, die für ein richtig gutes digitales Lehrbuch toll wären, etwa die Möglichkeit, direkt im Text zu markieren, zu kommentieren und eine Rückfrage an den:die Autor:in zu stellen. 

Auch treiben uns die Publikationsgebühren der Verlage um: Ein Open-Access-Buch in einem Verlag zu veröffentlichen, kostet uns nämlich (nicht gerade wenig) Geld! Die Autor:innen arbeiten dagegen ehrenamtlich an den Inhalten, weil Open Access bedeutet, das Wissen nicht kommerziell zu verwerten, sondern kostenlos zur Verfügung zu stellen.”

Doch so schnell geben sich die Engagierten bei OpenRewi nicht geschlagen. Für die Zukunft haben sie noch viele gute Ideen in petto. Um ihr Projekt zu organisieren und zu finanzieren, hat OpenRewi einen Verein gegründet. Von den Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert OpenRewi unter anderem die Hosting-Kosten der Website. Die Mitglieder wiederum profitieren von Schulungen, Veranstaltungen und Networking-Events.

OpenRewi freut sich jederzeit über neue Mitglieder, aber auch über Herausgeber:innen und Autor:innen, die eigene Projekte starten oder an ihnen mitwirken wollen. Auch Spenden sind herzlich willkommen. Eine Bewerbung ist über die Website von OpenRewi möglich. 

JURios: Wie sieht Eure Zukunft aus? Was hat OpenRewi kurzfristig und langfristig geplant?

“Wir möchten uns als feste Adresse für offene und hochwertige juristische Lehrmaterialien und andere wissenschaftliche Publikationen etablieren. Dazu gehört, dass wir noch viele Projekte auf den Weg bringen, um den Studierenden ein breites Angebot an kostenlosen Lehrmaterialien bieten zu können. Zugleich sollen die bestehenden Projekte wachsen und in  zweite Auflagen gehen. Langfristiges Ziel ist es, um die Lehrbücher herum interaktive Lernumgebungen entstehen zu lassen, in denen der Lehrbuchtext mit interaktiven Wiederholungsfragen, Lehrvideos und aktivierenden Lernspielen angereichert ist.”

Vielen Dank für das Gespräch. JURios wünscht OpenRewi für die Zukunft alles Gute und allzeit gutes Schaffen!

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Redaktion
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JURios. Kuriose Rechtsnachrichten. Kontakt: redaktion@jurios.de

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