Wieso in Belgien 55 Richter:innen und Staatsanwält:innen im Gefängnis sitzen

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In Belgien sitzen momentan 55 Richter:innen und Staatsanwält:innen im Gefängnis. Und das freiwillig. Sie nehmen an einem Experiment teil, um die belgischen Haftbedingungen am eigenen Leib zu erfahren. Auch eine Idee für die deutsche Justiz?

An Stammtischen und im Internet werden regelmäßig härtere Haftbedingungen gefordert. Große Teile der Bevölkerung hängen dem Irrglauben an, dass ein JVA-Aufenthalt einem Kindergeburtstag ähnelt. Den ganzen Tag schlafen, TV gucken und sich auf Kosten des Staates den Bauch vollschlagen. So ein beliebtes Vorurteil. Doch die Realität sieht etwas anders aus. Zwar sind sowohl in Deutschland als auch in Belgien die Haftbedingungen im Vergleich zu anderen Ländern gut, doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Gefängnisaufenthalt auch in europäischen Ländern kein Zuckerschlecken ist. Die Gefangenen verlieren beispielsweise jegliche sozialen Kontakte, ihre Arbeit und Hobbys. Viele werden depressiv. Und das Leben im Strafvollzug ist komplett fremdbestimmt. Weder Lichtschalter noch Türen dürfen selbst bedient werden. Um 22 Uhr geht das Licht aus, ob man will oder nicht.

Prisonisierungs-Effekte nicht unterschätzen

Ärzt:innen und Kriminolog:innen warnen deswegen schon seit Jahrzehnten vor den sogenannten Prisonisierungs-Effekten. Die Prisonisierung bezeichnet den Prozess der allmählichen Anpassung von Gefangenen an die Gefängniskultur, an die im Gefängnis geltenden Gegebenheiten und Normen. Das geht soweit, dass es zu einer Persönlichkeitsveränderung bei den Insassen kommt – und das nicht zum Guten. Einer der in § 3 StVollzG Bund geregelten Grundsätze ist deswegen das Gegensteuerungsprinzip. Demnach ist den schädlichen Folgen der Haft entgegenzuwirken, beispielsweise durch Besuche oder Vollzugslockerungen wie den Ausgang.

Wie sich der Strafvollzug anfühlt, das wollen in Belgien die 55 Richter:innen und Staatsanwält:innen herausfinden, die freiwillig an einem dreitägigen Experiment teilnehmen. Von Freitag bis Sonntag halten sie sich in einer Justizvollzugsanstalt in Haren (bei Brüssel) auf. Die Inhaftierung soll dabei so realistisch wie möglich gestaltet werden, teilte der belgische Justizminister Vincent Van Quickenborne mit. “Die Richter und Staatsanwälte wissen natürlich, wie es in einem Gefängnis abläuft.“ Dies am eigenen Leib zu erleben, könne den Justizbeamt:innen jedoch dabei helfen, fundierte Strafen zu verhängen.

Gefängnis-Komplex soll bald eröffnet werden

Das Gefängnis in Haren wurde neu gebaut und steht momentan noch leer. Noch in diesem Jahr soll es eröffnet werden und Platz für 1.200 Häftlinge bieten. Damit fehlt dem Experiment bereits ein ganz entscheidender Faktor: Die Mithäftlinge. Und deren Drangsalierung sowie Gewalttätigkeiten, die im Knast zur Tagesordnung gehören.

Die 55 Freiwilligen müssen während ihres Aufenthalts auch Aufgaben in der Küche und der Wäscherei übernehmen. Sie müssen auf die Anweisungen der JVA-Beamt:innen hören und dürfen ihre Handys nicht benutzen. Anders als echte Häftlinge können die Richter:innen und Staatsanwält:innen das Experiment aber jederzeit abbrechen. Wer früher raus will, muss das Codewort „Terminus“ rufen. Und auch das dürfte den Aufenthalt deutlich erleichtern. Denn die Aussicht, in nicht einmal drei Tagen wieder auf freiem Fuß zu sein, dürfte jeden Aufenthalt erträglich machen. Weiß man jedoch, dass man Jahre oder Jahrzehnte im geschlossenen Vollzug verbringen muss, dürfte das die Psyche deutlich mehr belasten.

Es ist nicht das erste Experiment dieser Art in Belgien. Als 2014 die Haftanstalt von Beveren in Ostflandern eröffnet wurde, gab es ebenfalls „Testtage“ für Justizangestellte. Ob die Freiheitsstrafen nach einem derartigen Experiment tatsächlich kürzer ausfallen, bleibt zu bezweifeln.


Fundstelle: https://www.zeit.de/

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