Bewährungsstrafe für Oben-Ohne-Protest in Kirche verstößt gegen EMRK

In einer katholischen Kirche aus Protest die Nippel zeigen? Das kann von der Meinungsfreiheit geschützt sein, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Geklagt hatte eine Femen-Aktivistin aus Frankreich.

FEMEN ist eine feministische Protestgruppe, die 2008 in der Ukraine gegründet wurde und für die Organisation von Oben-ohne-Protesten bekannt ist. So entblösten sich beispielsweise im August zwei Frauen neben Bundeskanzler Olaf Scholz, um für ein Gas-Embargo zu protestieren. Auf ihre Oberkörper hatten sie „Gas Embargo now“ geschrieben.

Im streitgegenständlichen Fall ging es um Femen-Aktivistinnen die 2013 “oben ohne” in der Kirche La Madeleine in Paris demonstriert hatten. Mit der Aktion hatten sie die strenge Haltung der katholischen Kirche zur Abtreibung kritisiert. Vor dem Altar hatten die Frauen außerdem eine Abtreibung simuliert. Dafür wurde sie in Frankreich zu einem Monat Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem mussten sie der Kirche 2.000 Euro Schadensersatz zahlen und Anwalts- und Gerichtskosten der Gegenseite in Höhe von weiteren 1.500 Euro bezahlen. Zwar hatten die Aktivistinnen gegen das Urteil Berufung eingelegt, jedoch erfolglos.

Abwägung Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit

Deswegen wendeten sich die Femen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der ihnen jetzt Recht gab. Die Richter:innen entschieden, dass die Bewährungsstrafe im vorliegenden Fall nicht verhältnismäßig sei. Das französische Gericht habe die politischen Motive der Femen-Aktivistinnen nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere stünde die Protestaktion unter dem Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe für eine Straftat im Bereich der politischen Äußerung sei nur in Ausnahmefällen mit der Meinungsfreiheit vereinbar. Nämlich nur bei „außergewöhnlichen Umständen, wie zum Beispiel bei Hassreden oder Aufstachelung zur Gewalt“.

Hier hätten die Frauen ihre Brüste gerade nicht entblöst, um die Religionsfreiheit anzugreifen, sondern in einem engeren Kontext zu der von ihnen geäußerten politischen Meinung. Bei einer Abwägung der Religionsfreiheit der Kirche und der Kirchgänger gegen die Meinungsfreiheit der Aktivistinnen überwiege deswegen letztere. Der Gerichtshof kommt deswegen zu dem Schluss, dass die französischen Gerichte nicht in angemessener Weise ein Gleichgewicht zwischen den betroffenen Interessen hergestellt haben. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe auf Bewährung sei “in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig” gewesen. Deswegen stelle das Urteil eine Verletzung von Art. 10 EMRK dar.


Pressemitteilung: https://hudoc.echr.coe.int/

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