Ein zweifelhaftes Vergnügen: Obwohl Horrorfilme zu dem wohl umstrittensten Filmgenre überhaupt gehören, genießen viele Produktionen wie die »Halloween«Filmreihe längst Kultstatus und erfreuen sich einer riesigen Fangemeinde. Im juristischen Sinne dagegen sind sie oftmals Gegenstand von kontroversen Diskussionen. Im Mittelpunkt: Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG. Wir fragen uns also: Darf Kunst Horror?
Antwort: Ja! So wurde der Horrorklassiker »The Texas Chain Saw Massacre«sogar in die ständige Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art aufgenommen, während »Nekromantik 2 – Die Rückkehr der liebenden Toten« offiziell als Kunstfilm gehandelt wird. Wer sich nun fragt, was an der Darstellung von blutigen Verstümmelungen, nekrophilem Verhalten oder brutalen Folterszenen »Kunst« im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG sein soll, dem sei gesagt, dass Kunst nicht schon deshalb verneint werden kann, weil das Werk sittlich oder moralisch anstößig ist. Es kommt lediglich darauf an, »ob ein künstlerischer schöpferischer Akt in einer kunsttypischen oder ähnlichen neuen Erscheinungsform vorliegt« (BVerfG, Beschl. v. 24.02.1971, Az. 1 BvR 435/68). Diese Überlegungen gelten für jede Form der Kunst, also auch für den (Horror-)Spielfilm. Dennoch darf die Kunstfreiheit nicht als Freiheit ohne Grenzen verstanden werden. Stattdessen ist sie ihrerseits ebenfalls an die grundgesetzliche Werteordnung gebunden, sodass sie zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gilt. So darf Gewalt nicht hemmungslos dargestellt und wahre Begebenheiten nicht unverfremdet ausgeschlachtet werden, ohne dass es juristische Konsequenzen nach sich zieht…
Zensiert, verboten, beschlagnahmt: befreit die Zombies!
Wem »Süßes oder Saures« und Kürbisschnitzen zu harmlos ist, greift an Halloween gern zu einem Horrorfilm. Doch bei manchen dieser Filme gilt nicht nur wegen des Gruselfaktors: nicht hingucken! Denn bei Horrorfilmen kommt es nicht selten vor, dass diese auf dem Index landen oder sogar beschlagnahmt werden. Die Folge: Sie dürfen in Deutschland nicht beworben, geschweige denn ungeschnitten verkauft oder gezeigt werden.
Ausgerechnet der öffentlich-rechtliche Kultursender ARTE hat mit der Ausstrahlung von »Zombie 2 – Das letzte Kapitel« im Januar 2022 einen solchen beschlagnahmten Film »uncut« im Free-TV gezeigt. Ein kurioses Versehen, das nun juristische Konsequenzen nach sich zieht. Dabei unterscheidet sich »Zombie 2« zumindest in Sachen Schockfaktor nicht groß von anderen Zombieapokalypsen-Darstellungen à la Kassenschlager »The Walking Dead«. Dennoch landete das Untoten-Spektakel nicht nur auf dem Index, sondern wurde obendrein wegen »allzu expliziter Gewaltdarstellung« beschlagnahmt. Wer gegen das daraus resultierende Werbe- und Verbreitungsverbot verstößt, wird mit Freiheitsstrafen oder Geldbußen bestraft. Ein Schicksal, das wohl nun auch die Verantwortlichen des Senders ARTE zu treffen droht, denn die Staatsanwaltschaft Baden-Baden hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Gewaltdarstellungsverbots gemäß § 131 StGB. Ein zu hartes Vorgehen, wegen ein bisschen Kunstblut?
Es wird (wieder) getanzt: zur rechtlichen Problematik des § 131 StGB
Kunst und Gewaltdarstellung schließen sich zwar begrifflich nicht aus, bei einem Konflikt muss jedoch eine Werteabwägung zwischen der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG und dem in § 131 StGB verfassungsrechtlich geschützten öffentlichen Frieden vorgenommen werden. Dabei tritt die Kunstfreiheit im Einzelfall dann zurück, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 131 StGB erfüllt sind. Diese stehen jedoch wegen ihrer Unbestimmtheit in Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG immer wieder in der Kritik.
Gemäß § 131 Abs. 1 StGB wird bestraft, »wer einen Inhalt […] der grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildert, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, verbreitet […].« Den heutigen Wortlaut und den – zugegeben kuriosen – Zusatz »menschenähnliche Wesen« verdankt die Norm dem Kultklassiker des modernen Horrorgenres schlechthin: Die Rede ist von Sam Raimis »Tanz der Teufel« welcher 1981 mit einschlägigen Gewaltszenen gegen die dargestellten »Besessenen« polarisierte. Trotz Vorlegens mehrere Schnittfassungen, wurde »Tanz der Teufel« wegen Verstoßes gegen § 131 StGB beschlagnahmt. Gegen die zugrundeliegenden Beschlüsse reichten die Vertriebsfirmen Verfassungsbeschwerde ein, sodass sich 1992 schließlich auch das Bundesverfassungsgericht mit der Problematik der Tatbestandsbestimmtheit des § 131 StGB auseinander setzen musste:
Dieses entschied, dass es das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht zulasse, das Tatbestandsmerkmal »Mensch«, auf die im Film dargestellten »Besessenen« auszuweiten, sodass der Tatbestand des § 131 StGB schon deshalb nicht erfüllt wäre. Die Norm an sich hielt das Gericht für verfassungsgemäß, wenn auch eine restriktive Auslegung, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal »in einer die Menschenwürde verletzenden Weise« geboten sei. Dieses sei nicht schon deshalb erfüllt, weil der Film rohe Gewalttaten »ohne jegliche sozial sinnhafte Motivation um ihrer selbst willen« zeigt, sondern erst dann, wenn diese »darauf angelegt sind, beim Betrachter eine Einstellung zu erzeugen oder zu verstärken, die den jedem Menschen zukommenden fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet« (BVerfG, Beschl. v. 20.10.1992, Az. 1 BvR 698/89). Trotz der Zweifel, ob »Tanz der Teufel« dieses Tatbestandsmerkmal überhaupt erfüllt, blieb der Film aufgrund des gesetzgeberischen Zusatzes »menschenähnliche Wesen« in § 131 StGB weiterhin beschlagnahmt. Dies änderte sich erst 2017, als das Landgericht Berlin (Beschl. v. 24.1.2017, Az. 517 Qs 88/16) feststellte, »dass nach heutigen Maßstäben eine strafrechtliche Relevanz [nach § 131 StGB] nicht mehr festzustellen ist«. Aufgrund des »wenig naturalistisch und eher parodistisch« anmutenden Charakters von »Tanz der Teufel«, könne keines der Tatbestandsmerkmale des § 131 StGB als erfüllt angesehen werden. Daraufhin bejahte das Landgericht eine Beeinträchtigung der beschwerdeführenden Filmvertreibungsfirma in ihrer Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG, insbesondere in ihrem Recht auf Verwertung und Verbreitung des Films, sodass die Beschlagnahmung aufgehoben wurde.
Doch der aktuelle ARTE-Vorfall rund um »Zombie 2« zeigt einmal mehr, dass § 131 StGB noch immer durch eine außergewöhnliche Häufung nur schwer fassbarer normativer Merkmale gekennzeichnet ist, die Gerichte, Staatsanwaltschaften und Behörden weiterhin vor Schwierigkeiten stellen: So ist es beispielsweise nur schwer vorstellbar, dass »A Serbian Film« trotz der kaum auszuhaltenden Gewaltszenen gegen Frauen und Kinder eine FSK 18-Freigabe – wenn auch in gekürzter Version – bekommt, während Filme wie »Zombie 2«, trotz ihres nach heutigem Verständnis fast komödiantisch anmutenden Charakters beschlagnahmt bleiben. Fakt ist: Die Beschlagnahmung von Horrorfilmen wegen Verstoß gegen § 131 StGB bewegt sich auf einem ausgesprochen grundrechtssensiblen Terrain. Angesichts der Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale, laufen die Behörden Gefahr, die Kunstfreiheit Einzelner auf heute nicht mehr nachvollziehbarer Grundlage einzuschränken. Demnach bleibt letztlich die Frage, ob Gewaltdarstellungen in Filmen überhaupt noch unter Strafe gestellt werden sollten oder ob eine Entkriminalisierung geboten ist.
Ein Kannibale klagt: Abwägung von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht
Generell gilt, dass ein Spielfilm, der eine frei erdachte Handlung wiedergibt, ungeachtet seines künstlerischen Wertes ein Erzeugnis der Kunst ist (BVerwG, Urt. v. 21.12.1954, Az. I C 14/53). Doch manchmal kommt es vor, dass sich Produzenten von den realen Grausamkeiten des Lebens inspirieren lassen. So auch der Horrorfilm »Rohtenburg« aus dem Jahr 2006, welcher von den Taten des weltweit bekannten »Kannibalen von Rotenburg«, Armin Meiwes handelt. Dieser sah sich durch die detailgetreue Wiedergabe der ihm vorgeworfenen Straftaten sowie 88 Filmszenen, die seinen Lebenslauf exakt widerspiegeln in seinem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1; 1 Abs. 1 GG verletzt. Nachdem sein Antrag auf einstweilige Verfügung vom Landgericht Kassel (Beschl. v. 12.01.2006, Az. 5O 55/06) zurückgewiesen wurde, legte er Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ein (Urt. v. 03.03.2006, Az. 14 W 10/06) , mit Erfolg: Dieses entschied, dass »Rohtenburg« das allgemeine Persönlichkeitsrecht Meiwes verletze, da der Horrorfilm dessen Privatleben und Straftaten nicht hinreichend verfremdend wiedergebe. Allein die Veränderung der Schreibweise des medienbekannten Tatorts durch lediglich einen Buchstaben und die Einbettung des Geschehensablaufs in einen fiktiven Rahmen, reiche nicht aus. Der geplante Kinostart von »Rohtenburg« in den deutschen Kinos wurde daraufhin gemäß §§ 823 Abs. 1; 1004 BGB untersagt. Ob »Rohtenburg« nicht dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG unterliegt, ließen die Richter ausdrücklich offen, »weil die Abwägung der widerstreitenden Belange im konkreten Fall [ohnehin] zu dem Ergebnis führt, dass die Kunstfreiheit hinter dem Schutz der Persönlichkeit des Verfügungsklägers zurückzutreten hat«.
Dass dies nicht der Fall war, entschied wenige Jahre später der Bundesgerichtshof (Urt. v. 26.05.2009, Az. VI ZR 191/08). Dieser stellte fest, dass sich Meinungsäußerung und Kunst nicht ausschließe, sodass »Rohtenburg«, trotz Darstellung wahrer Tatsachen, unter den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG falle. Diese Kunstfreiheit würde im Rahmen einer Abwägung auch nicht hinter dem Persönlichkeitsrecht Meiwes zurücktreten: Angesichts des medialen Rummels um Meiwes, welchen er selbst durch zahlreiche Interviews, die Veröffentlichung eines Buches und die eines anderen Filmes förderte, wäre auch der genretypische Einsatz von Horrorstilmitteln nicht geeignet, sein öffentliches Ansehen zusätzlich in belastender Weise zu mindern. Dies geschah – aufgrund der Schwere der Tat – bereits mit neutraler Berichterstattung über die rechtskräftige Verurteilung Meiwes, sodass dem Eingriff in dessen Persönlichkeitsrecht durch »Rohtenburg« keine große Bedeutung mehr zugesprochen werden könne. Das Urteil wurde schließlich auch vom Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 17.06.2009, Az. 1 BvQ 26/09) bestätigt, nachdem Meiwes erfolglos Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Aufführung des Films stellte.
Im Übrigen ist »Rohtenburg« nicht der einzige Horrorfilm, der sich mit dem Kannibalismus des Meiwes befasst. 2006 erschien mit »Cannibal – Aus dem Tagebuch des Kannibalen« eine weitaus blutigere Version, in welcher auf pornographische Weise das homosexuelle Verhältnis zwischen Meiwes und seinem Opfer, sowie die anschließende Kannibalismusszene detailliert dargestellt wird. Zu detailliert für die deutschen Sittenwächter: Der Film wurde 2007 vom Amtsgericht Neuburg/Donau (Beschl. v. 25.05.2007, Az. 13 Js 17319/06) wegen Darstellung von Gewaltpornographie gemäß § 184a StGB bundesweit beschlagnahmt.
Anschauen auf eigene Gefahr!
Wann ein Horrorfilm die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Im rechtlichen Sinne hat man festgestellt, dass viele »Horrorschocker« von damals inzwischen Klassikerstatus genießen. Johann Wolfgang von Goethe hat einmal gesagt: »Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen.« Für viele Horrorfilme mag das wohl stimmen. Dies haben auch die Gerichte erkannt: In immer mehr Verfahren in denen Horrorfilme gegenständlich sind, wird zugunsten der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG entschieden. Vielleicht dürfen sich Horrorfilmfans ja deshalb auch schon bald wieder bei einem nicht mehr beschlagnahmten »Zombie 2« vor dem Fernseher gruseln, wenn es wieder heißt: Happy Halloween!
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Amerkung: Dieser Artikel erschien in Kooperation mit dem DeGryuter Verlag auch in der November-Ausgabe der JURA – Juristische Ausbildung (Klick).