Amtsrichter hält verschärften Kinderpornografie-Paragraph (§ 184b StGB) für verfassungswidrig

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Ein Münchener Amtsrichter hat beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein konkretes Normenkontrollverfahren angestoßen. Der Grund: Er hält den im Jahr 2021 verschärften § 184b StGB, der die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinderpornografischer Inhalte bestraft, für verfassungswidrig.

Hintergrund: Die konkrete Normenkontrolle

Eine konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG ist ein staatsorganisationsrechtliches Verfahren und befasst sich mit der Überprüfung der Wirksamkeit einer Rechtsnorm angesichts eines konkreten gerichtlichen Verfahrens. Gemäß Art. 100 Abs.1 GG ist das BVerfG für diese Überprüfung zuständig. Der:die Richter:in muss von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt sein. Bloße Zweifel an der Verfassungswidrigkeit genügen nicht, sodass an die Zulassungsvoraussetzung hohe Anforderungen gestellt werden. Ist die Normenkontrolle begründet, so wird die verfassungswidrige Norm für nichtig oder mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt (§§ 82 I, 78 S. 1 BVerfGG). Bis zu 100 Verfahren dieser Art gehen jährlich beim BVerfG ein. Das vorliegende Verfahren (Az. 2 BvL 11/22) des Münchener Amtsrichter Grain ist eines davon. Er strebt die Überprüfung des § 184b StGB an.

Verschärfung des § 184b StGB – Verbreitung, Erwerb, Besitz von Kinderpronographie

Seit dem ersten Juli 2021 sieht das Gesetz gemäß § 184b StGB eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor, bei der Verbreitung, dem Erwerb und dem Besitz von kinderpornographischen Inhalten. Nach der Strafschärfung und der damit einhergehenden Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr, handelt es sich fortan bei § 184b StGB um ein Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB. Eine Einstellungsmöglichkeit wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO oder gegen Auflage gemäß § 153a StPO ist somit nicht mehr möglich. Vor der Hochstufung handeltes es sich bei § 184b StGB nach § 12 Abs. 2 StGB lediglich um ein Vergehen mit einer Mindeststrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, sodass die oben genannten Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung noch greifen konnten.

Außerdem hat der Vorwurf eines Verbrechens zur Folge, dass vor dem Schöffengericht verhandelt werden muss, sodass in Anwesenheit von einem Berufsrichter und zwei Schöffen verhandelt wird.

Folgen der umstrittenen Strafschärfung

Die fehlenden Einstellungsmöglichkeiten eines Verfahrens wegen der Verbreitung, dem Erwerb und dem Besitz von kinderpornographischen Inhalten hat weitreichende Konsequenzen – oft trifft die Strafverfolgung nicht immer die wahren Täter:innen!

Dies hat beispielsweise zur Folge, dass Eltern, die entsprechendes Bildmaterial auf den Mobiltelefonen ihrer Kinder finden und zur Warnung oder Kenntnisnahme an andere Eltern aus der Schulklasse, dem Verein oder dem Jahrgang weiterleiten, mit einem Verfahren nach § 184b StGB und den damit verbundenen strafrechtlichen Maßnahmen rechnen müssen. Ebenso sind auch Lehrkräfte dieser Problematik regelmäßig ausgesetzt, wenn sie derartige Fotos und oder Videos auf den Geräten ihrer Schüler:innen feststellen, sichern und anschließend sowohl an die Eltern, als auch an die Polizei übermitteln. Aber auch Belästigungsopfer, die unaufgefordert pornographische Inhalte geschickt bekommen, können sich strafbar machen, sollten sie diese nicht umgehend löschen.

Als Mitglied einer großen Chatgruppe drohen einem ähnliche Probleme, sobald ein:e Teilnehmer:in kinderpornographische Inhalte teilt und diese automatisch von dem Mobilgerät runtergeladen werden. Oft ohne, dass man selbst davon etwas bemerkt, da man in großen Chatgruppen oft hunderte verpasste Nachrichten hat. In diesem Fall hat man ebenfalls mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen – mit gehangen, mit gefangen.

Diese Beispiele wären wohlmöglich vor dem ersten Juli 2021 wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO eingestellt worden, zumal sowohl die Eltern, als auch das Lehrpersonal nicht die Absicht hatten, kinderpornographische Inhalte zu verbreiten, sondern davor warnen und Aufklärungsarbeit leisten wollten.

Nun ist es aber so, dass die Gesetzesänderung überwiegend zu einer höheren Belastung der Polizei und der Justiz führt und eine Flut an größtenteils überflüssigen bzw. eher „harmlosen“ Strafverfolgungsverfahren auf den Schreibtischen der Staatsanwaltschaft hinterlässt – denn die Staatsanwaltschaft muss Anklage erheben. Sollte der:die Betroffene in einem Beamtenverhältnis stehen, droht mit einer rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens außerdem die Aufhebung des Beamtenverhältnisses nach § 24 Beamtenstatusgesetz. Zumal ein Eintrag, hinsichtlich des § 184b StGB im BZR (Bundeszentralregister) für viele Arbeitnehmer:innen das Aus ihres Arbeitsverhältnisses bedeuten würde.

Fehlende Einstellungsmöglichkeit – verfassungswidrig?

Hintergrund für die angestrebte konkrete Normenkontrolle ist zurzeit ein laufendes Verfahren, in dem der Amtsrichter gegen eine Mutter aus München wegen Verbreitung von Kinderpornographie, verhandeln musste. Der verhandelte Fall ereignete sich am 30. Juli 2021 – nur wenige Tage, nachdem die Gesetzesänderung in Kraft trat. Während dem Homeschooling ihrer acht Jahre alten Tochter, tauchte im Chat ein Bild von dem entblößten Schambereich einer gleichaltrigen Klassen- oder Schulkameradin auf. Wohlmöglich sollte es sich um einen Scherz handeln, doch die Mutter war empört über dieses Verhalten und machte einen Screenshot von dem Foto, welches den Intimbereich des Mädchens zeigte.

Diese Bildschirmaufnahme schickte sie kurzerhand als Warnung in die Elterngruppe und wollte damit auf das Problem aufmerksam machen und andere Eltern zu sensibilisieren. Neben der Mutter des Mädchens, welches das Foto versendet hatte, konnten auch 30 weitere Teilnehmer:innen der Gruppe den Screenshot des intimen Fotos sehen. Als Reaktion auf die Darstellung der Schamlippen ihrer Tochter im Eltern-Chat ging die Mutter der Geschädigten zur Polizei. Die Folge: Die Staatsanwaltschaft schrieb eine Anklage gegen die Mutter, die den Screenshot anfertigte und diesen auch noch verbreitete. Der Frau droht nun eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr.

Erfahrener Amtsrichter kritisiert Politik

Bereits seit 2005 bearbeitet der Amtsrichter aus München Fälle von Kinderpornografie, gilt als Experte auf diesem Gebiet und war auch schon als Sachverständiger im Bundestag tätig. Der Gesetzgeber sei bei der Strafschärfung „weit über das Ziel hinausgeschossen“, soll er nun nach Karlsruhe geschrieben haben, heißt es im Bericht der Süddeutschen Zeitung.

Grain ist der Ansicht, dass die fehlende Möglichkeit, ein solches Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen, verfassungswidrig ist. Ebenso, dass für Kinderpornografie kein „minderschwerer Fall“ vorgesehen ist, welcher viele Verfahren frühzeitig “aussortieren” würde. Daher möchte er diese Norm im geschilderten Fall nicht anwenden und wandte sich an das Bundesverfassungsgericht, welches nun die Wirksamkeit des § 184b StGB überprüfen soll. Solange die Klärung dieser Frage noch aussteht, ist das Verfahren gegen die Münchener Mutter bis auf weiteres ausgesetzt.

Es ist davon auszugehen, dass der Normenkontrollantrag von Richter Grain nicht der erste und letzte Antrag in diesem Zusammenhang bleiben wird. Die Strafschärfung war zwar politisch gut gemeint, aber nicht gut durchdacht, sodass man viele neue Probleme geschaffen hat, mit denen man sich nun im Nachhinein auseinandersetzten muss. 


Fundstelle: https://fachanwaltstrafrechtberlin.de/Schlagwort/184b-stgb/

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