Ich bin nicht mehr zwanzig. Meistens bin ich darüber wenig traurig, aber nochmal studieren mit Anfang 40? Das ist eine harte Entscheidung. Kein Recht mehr auf BAföG, schräge Blicke, ein Bruch im Lebenslauf. Dennoch passte mein Timing ausnahmsweise. Ich war eine Weile selbständig im künstlerischen Bereich, habe nebenbei zudem geschrieben. Als Corona kam, saß ich mit frischem Abi in der Tasche (auch als Externe via SGD) schon voller Vorfreude auf Jura am Schreibtisch. Und alle Veranstaltungen, mit denen ich bis dato meinen Lebensunterhalt bestritten hatte, fielen weg. Hochzeiten, Betriebsfeiern, Schützenfeste, Feiern in kleinen Kneipen. Und vor mir lag, was ich seit Jahrzehnten hätte machen wollen, wären da nicht all die üblichen Unwägbarkeiten des Lebens gewesen und das „es hat wohl nicht sein sollen“ im Hinterkopf. Jetzt sollte es sein. Und da zurück nicht ging: volle Kraft voraus!
Von der Vorstellung des hehren akademischen Studiums in die Realität
Ich war bei Studienbeginn nicht gänzlich unbedarft. Einige Semester als „Gasthörende“ an der Präsenzuni hatte ich bereits mitgenommen. U.a. Staats- und Verfassungsrecht. Und nebenbei auch viel Politikwissenschaft, etwas Germanistik, Linguistik. Ich lerne gerne. Und gerne autark. Dazu kam meine naiv klingende, aber aufrichtige Begeisterung für die Geschichte der Aufklärung, der ersten Erklärungen der Menschenrechte. Thematisch war ich in Jura sofort zuhause. Angst hatte ich vor möglichem Elitismus, vor dem Alter der anderen. Und als Mensch, der aus einem verschrienem „bildungsfernem Haushalt“ stammt, war Teil der Angst auch immer, man könne mir anmerken, ansehen, dass ich eigentlich nicht in dieses Studium gehöre. Das altehrwürdige Jurastudium hatte es in der Vergangenheit ja eher nicht so mit dem „Proletariat“. Gerade an diesem Punkt ist die Fernuni ein Segen. War die Präsenzuni in Altersfragen tatsächlich vorrangig auf junge Leute ausgerichtet, wenn auch nicht in völliger Ausschließlichkeit, so ist die Fernuni Hort aller Altersklassen und aller Herkunftsgeschichten. Viel inklusiver. Und ja, sie ist ein großes Stück anonymer. Nun mag das daran liegen, dass mein Studienbeginn in der Coronazeit lag und alles (nicht nur an der Fernuni) online lief. Aber der Unterschied ist wohl: an der Fernuni bleibt das meiste online. Ausnahmen sind hier normalerweise nur diverse Prüfungen. Für mich ein Segen. Nicht missverstehen: ich mag Menschen. Meistens. Aber noch mehr mag ich die Freiheit, mir auszusuchen, mit welchen Kommilitonen ich arbeite, zu welchen Uhrzeiten, wo und wie. So sind Standesdünkel und unschöne Gruppendynamiken seltener. Liebe Kommilitonen habe ich dennoch gefunden. Auch online merkt man, wer ungefähr im selben Lerntempo unterwegs ist. Und mehr als zwei-drei Mitlernende brauche ich persönlich nicht. Aber da ist wohl jeder anders gestrickt.
Die FernUni – Aufbau und Ablauf
Die Fernuni ist für Menschen, die kein Tutoring erwarten. Hier wird man nicht an die Hand genommen, bekommt keinen Stundenplan, keine fixen Vorgaben. Jedenfalls nicht viele. Zu Semesterbeginn kommen die „Studienbriefe“ (und so leid es mir tut: qualitativ sind die meisten davon mittelmäßig, einige gnadenlos veraltet, andere unvollständig). Man tappt also eine ganze Weile im Dunkeln. Ein paar Infoveranstaltungen hier und da, aber ohne Google und externe Lektüre (z.B. Hildebrand und die Einführung in den Gutachtenstil ) eher undurchschaubar.
Damit der Rest verständlicher wird, ein kurzer Überblick über den Studienaufbau, der sich auch hier findet. Für das jeweilige Semester wählt man Module. Pro Modul erhält man i.d.R. 10 ECTS. Teilzeitempfehlung: zwei Module pro Semester, Vollzeit: drei Module. In den Modulhandbüchern findet sich dann die Form der jeweiligen Abschlussprüfung. Das sind je nach Modul Hausarbeiten oder Klausuren. Die Module sind, vergleicht man mit der Präsenzuni, extrem kompakt. So ist Strafrecht nur ein Modul in einem Semester, während Präsenzunis regulär über mehrere Semester verteilen. (Gleiches gilt übrigens für Schuldrecht AT und Staats- und Verfassungsrecht).
Für einige Module werden auf Moodle Vorlesungen der Professoren angeboten. Vorlesungen. Wie an der Uni. (An dieser Stelle bitte mein persönliches Staunen mitlesen). Bisher genau drei Module hatten diesen Luxus im Angebot und ich habe gerade das vierte Semester beendet. Alle anderen bieten auf Moodle ein Mentoriat an. Eine Art Mischform aus AG und Vorlesung mit Fokus auf Falllösungen, aber auch Erklärungen zum materiellen Recht. Manchmal gut betreut, manchmal grausig. Es gibt wohl kaum eine Uni, an der die Professoren so wenig Kontakt zu ihren Studenten pflegen, wie an der Fernuni, denn die Mentoriate leiten Mitarbeiter (meist ganz gut) oder Externe (meist, aber nicht immer, ganz furchtbar). Die wenigen Profs, die Vorlesungen ins Netz stellen, sind rar. Da bietet selbst die LMU mehr online an. Und das für alle Studenten bundesweit, ohne Zugangsbeschränkung. (Von hier aus herzlichsten Dank für den Mut zur Modernität und Offenheit an die LMU und ihre tollen Professoren – z.b. Prof. Lorenz – und die Vorlesungen, die auch uns Fernstudis zugutekommen).
Wie war es denn nun, das erste Semester?
Meine fast kindliche Freude darüber, in meinem Alter nochmal studieren zu dürfen setzte genug Endorphine frei, um trotz aller Widrigkeiten freudig durch Moodle (a.k.a. „the rabbithole“) zu stolpern, das Propädeutikum ganz gut zu meistern und damit die erste Konfrontation mit dem Gutachtenstil („Gutachtenstil“ bitte mit akustisch-gruseliger Untermalung lesen) zu überstehen, der mir erst im dritten Semester nicht mehr als lausig abgestraft wurde, so gut war die Einführung. Ich schaffte auch Staats- und Verfassungsrecht plus Grundzüge des Europarechts mit relativ mittelmäßiger Note. Meine erste Hausarbeit inklusive Todesangst. Die Ansage: „Mehr als zwei Fehlzitate führen zum Durchfallen“ reicht jedem Anfänger, Recherchearbeit mit der Lupe zu betreiben. Und der Humor der Fernuni für einen Ersti war unschlagbar. In der ersten HA überhaupt im öffentlichen Recht die Zulässigkeit verneinen zu müssen, ist der übliche Fernunihumor. Bestanden. Was soll`s?…
Die Nummer mit der „Frustrationstoleranz“ lernt man an der Fernuni jedenfalls schneller als anderswo. Schneller als den Gutachtenstil auf jeden Fall. Und durchgefallen bin ich als Ersti auch. BGB AT. Liebe ich heute eigentlich. Aber heute weiß ich ja auch, dass externe Lektüre mein bester Freund ist. Tenor aller im Vorfeld (auch externer Mentoren in Bezahlkursen): „AGB kommen nie dran. Ist ja eigentlich schon Schuldrecht.“ Fernuni Hagen seit Beginn, inklusive erster Prüfung BGB AT im ersten Semester: „Prüfen wir doch einfach mal AGB.“ (Seit dem ersten Semester gab es eine Einsendearbeit und drei Abschlussklausuren mit AGB-Prüfung. Irgendwer an der Fernuni pflegt einen Fetisch). Muss ich das mit der Frustrationstoleranz wiederholen? Toleranz kann ich…
Und dennoch liebe ich das Studium. Jura ist meins. Ich wünschte, ich hätte den Einstieg vor zehn Jahren gewagt. Vor allem, weil mein Traumjob dann doch Justiz und Richterschaft wäre.
Was bietet die Fernuni also insgesamt?
Studienbriefe, Moodle mit zumeist mäßiger Betreuung, EAs (Einsendeaufgaben, die so früh im Semester kommen, dass sie ein Ärgernis und keine Hilfe sind), Klausuren am Semesterende. Eher maue Informationspolitik, so man nicht Glück hat, an die wenigen guten Betreuer zu geraten. Ein paar tolle und viele anstrengende Mentoren. Aber mehr als alles andere: eine bezahlbare Möglichkeit, auch spät noch einmal Jura zu studieren. Ein Privileg. Sogar neben dem Beruf und neben der Familie. Die Chance, am Ende des Studiums stolz sagen zu können: „Das habe ich mir selbst erarbeitet“. Denn das MUSS man an der Fernuni mehr noch als an jeder Präsenzuni.
Und die Hauptsache ist natürlich: Mit Erfüllung der Voraussetzungen hat man dann die Zulassung zum regulären Ersten Staatsexamen in NRW in der Tasche. Bisher bietet die Fernuni zudem zusätzlich den Bachelor als Pflichtbelegung. Wobei die Reformen des neuen JAG darauf Auswirkungen haben werden. Nicht zuletzt, weil hier viele Änderungen zu erwarten sind, wollte ich nicht in zu viele Details bezüglich der Belegpflichten gehen. Diese könnten sich ab dem kommendem Sommersemester wesentlich ändern. An dieser Stelle kurz die ergänzende Info, dass man an der Fernuni auch nur auf Bachelor und Master of Law studieren kann, was für viele sicher interessant ist. Ich studiere persönlich auf EJP (Erste Juristische Prüfung). Ich kann also nur aus meiner Erfahrung heraus berichten. Der Weg zum Bachelor, wenn bisher auch inkludiert im EJP, mag allein für sich ein wenig anders aussehen und mit anderen Erwartungen und Erfahrungen einhergehen.
Und aller Kritik zum Trotze
Wer sich also an die Fernuni wagt, der sollte gut darin sein, sich selbst zu motivieren, sich selbst Lehrmaterial zu suchen und Quellen zu erschließen, die das Lernen erleichtern. Autodidakten sind hier gut aufgehoben. Menschen mit Familie, Berufstätige mit Flexibilitätsbedarf. Mitbringen sollte man eine hohe Frustrationstoleranz, Ehrgeiz und nicht allzu hohe Anforderungen an die Universität, wenn es um Hilfestellung geht.
Die Fernuni ist der mutige und notwendige Schritt, auch in den klassischen Geisteswissenschaften mehr Digitalisierung zu wagen und lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Sie gefährdet nicht die Qualität des Studiums, sondern öffnet Menschen mit atypischen Lebensläufen die Türen. Und nicht unverdienter als auf dem ersten Bildungsweg.
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