Als Erstakademiker Jura studieren: Was erwartet mich als “Arbeiterkind” im Jurastudium? (Teil 1)

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Menschen ohne Studium leben nicht hinter dem Mond und ein abgeschlossenes Studium zeugt auch nicht zwingend von hoher Intelligenz. Im Folgenden möchte ich dir schildern, wie es sich anfühlt, als Erstakademiker (oder auch “Arbeiterkind”) Jura zu studieren. Welchen Vorurteilen muss man sich stellen? Und ist das Jurastudium trotzdem zu meistern? Spoiler: Ja!

Tipps fürs Jurastudium

Meine Vergangenheit: Bildungskiller DDR

Vorab möchte ich dich auf eine kurze Reise in die Vergangenheit mitnehmen und beleuchten, weshalb meine Eltern keine Akademiker sind. Meine Eltern wuchsen in der DDR auf. Das dortige Bildungssystem war mehr auf das System fixiert, als darauf, höhere Bildung zu fördern. So wurde meinen Eltern der Zugang zum Abitur – trotz Bestnoten – systematisch verwehrt. Die Gründe lagen auf der Hand: Sie waren keine Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und setzten sich stattdessen für christliche Gemeindearbeiten ein. Da nur eine begrenzte Anzahl der Schüler für das Abitur zugelassen wurden, war es nicht äußerst verwunderlich, dass meine Eltern nicht zu diesen Schülern gehörten.

Postpubertärer Jugendlicher auf der Suche nach Herausforderungen

Wenn die Eltern nicht studiert, ja nicht einmal das Abitur gemacht haben, wie kommt man dann auf die Idee, Jura studieren zu wollen? Oberflächlich zusammengefasst entwickelte sich bei mir schon früh eine Faszination für das Jurastudium und die späteren Berufsmöglichkeiten. Die Mythen, die sich um die Härte des Studiums rankten, ließen in mir einen gewissen Ehrgeiz entfachen. So entschied ich mich aus freien Stücken, mich ins Ungewisse zu stürzen.

Mit dieser Entscheidung gehöre ich statistisch gesehen allerdings zu einer Minderheit. Von den rund 2,8 Millionen Studierenden in Deutschland kommen laut Deutschem Studentenwerk (DSW) 52 Prozent aus einer sogenannten Akademikerfamilie. Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien beginnen 74 ein Studium; bei den “Arbeiterkindern” sind es hingegen nur 21 von 100. Das hört sich erstmal gar nicht so schlimm an. Blickt man auf den Studienverlauf, ergeben sich statistisch gesehen jedoch noch erschreckendere Zahlen. Die Quote der Nichtakademikerkinder, die tatsächlich einen Bachelorabschluss schaffen, liegt bei 70 Prozent, die Quote der Akademikerkinder liegt bei 85 Prozent. Bis zum Master steigt die Relation auf knapp 1:6, bis zum Doktortitel sogar auf 1:10. Das heißt, von 100 Akademikerkindern erwerben durchschnittlich zehn den Doktortitel, von 100 Nichtakademikerkindern nur eines.

Nachteile als Arbeiterkind

Was für Nachteile erwarten dich möglicherweise als Erstakademiker? Möchte man chronologisch vorangehen, wird man zunächst auf die Hürde der Immatrikulation stoßen. Hierbei kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Eltern mit abgeschlossenem Studium von den neuen digitalisierten Prozessen genau so viel Ahnung haben, wie Eltern, die nicht studiert haben.

Ein weiteres Problem ist die Frage der Finanzierung des Jurastudiums. Eltern ohne Studienabschluss möchten ihren Kindern häufig keinen höheren Bildungsweg finanzieren. “Familien mit geringerem Bildungshintergrund tendieren häufig dazu, die Kosten für höhere Bildung zu überschätzen und Bildungserträge zu unterschätzen, ungeachtet des vielleicht hohen Bildungspotenzials ihres Kindes”, so die Erfahrungen des Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Das ist aber natürlich nicht immer so. Und außerdem gibt es inzwischen viele Möglichkeiten (BAföG, Studienkredit, Nebenjob usw.), um das Jurastudium auch ohne Unterstützung der Familie zu finanzieren (JURios berichtet). Trotzdem berichten gerade Jurastudierende, die auf einen Nebenjob angewiesen sind, dass ihnen dadurch weniger Zeit zum Lernen bleibt – in dieser Hinsicht können “Arbeiterkinder” also benachteiligt sein.

Ein Nachteil ergibt sich außerdem regelmäßig daraus, dass man von seinen Eltern eher keine Lernmethoden nahegelegt und auch keine Studienerfahrungsberichte übermittelt bekommt. Zum Glück leben wir in einer Zeit, in der Informationen leicht zugänglich sind, sodass man sich selbst einen guten Überblick über verschiedene Lerntypen (z.B. in diesem JURios-Artikel) verschaffen kann. Eher kann man sich auf anfängliche Diskussionen einstellen, weshalb man denn nicht zu jeder einzelnen Vorlesung gehe, sondern sich den Stoff allein beibringen wolle. Hat man diese Fronten geklärt, dann haben wir es mit relativ überschaubaren Nachteilen zu tun.

Sicherlich gibt es Studierende, deren Eltern ebenfalls Jura studiert haben und die dadurch direkt an einer Wissensquelle sitzen. Aus eigenen Erfahrungen kann ich aber sagen, dass es dem nicht zwingend bedarf. Deine Eltern müssen keine Staatsexamina gemacht haben, um dich mit deinen Karteikarten abfragen zu können.

Wie sieht die Realität aus?

Über das Jurastudium kursiert außerdem das Vorurteil, dass es besonders “elitär” sei (so z.B. der Tagesspiegel). Jurastudierende würden gerne unter sich bleiben und “Arbeiterkinder” erstmal ausschließen.

Dieses Vorurteil kann ich zur Hälfte bestätigen. Zu Beginn meines Studiums bestand mein Freundeskreis in der Universität überwiegend aus „Arbeiterkindern“. Im Nachhinein kann ich sagen, dass die Suche nach Bekanntschaften nicht von bewussten Prozessen gesteuert war, sondern dass ich im Unterbewusstsein Kriterien entwickelt und mich dadurch mit Menschen vernetzt habe, mit denen ich mich identifizieren konnte. Wahrscheinlich wäre ich niemals mit jemandem ins Gespräch gekommen, der in den ersten Vorlesungen ein Hemd oder einen Anzug getragen hat.

Eine spannende Erfahrung machte ich aber in meinem letzten Praktikum. Dabei kam ich mit einer Mitpraktikantin ins Gespräch. Ihre Eltern waren beide Juristen und sie war beinahe schon fassungslos, dass ich Jura studiere, ohne dass meine Eltern wenigstens ein Studium abgeschlossen hatten. Rückblickend war dieses Gespräch das erste Mal, dass ich mir über diese Thematik Gedanken gemacht habe. Das Gefühl ausgeschlossen zu werden, hatte ich jedoch weder im besagten Praktikum noch in der Universität.

Und auch die Juristischen Fakultäten versuchen, Jurastudierende ohne Akademikereltern zu unterstützen. So bietet die Uni München z.B. ein Mentoring-Programm für Arbeiterkinder an. Und auch Studierende und junge Jurist:innen ergreifen die Initiative. Beispielsweise das “Netzwerk multikultureller Jurist*innen e.V.”. Im Podcast “Jura und die Welt da draußen” berichtet Sophia von ihren Eindrücken als Jurastudentin der ersten Generation.

Was erwartet dich also als Arbeiterkind wirklich? Die Antwort: Ein langes und forderndes Studium. Der Trost: Das erwartet auch jeden aus einem Akademikerhaushalt. Am Ende schreibt jeder die Klausuren allein und für sich selbst. Hier kommt es nicht darauf an, ob die Eltern studiert haben oder nicht, sondern ob du fleißig warst (und ob das Glück des Klausurthemas auf deiner Seite war).


Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Beitrag aus unserer Serie “Arbeiterkind”. Teil 2 und 2 findet Ihr hier:

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Darius Schulz
Darius Schulz
Student der Rechtswissenschaft mit dem Schwerpunkt Wirtschaft- und Medienrecht an der Universität Potdam.

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