Hand auf’s Herz: Was macht der oder die durchschnittliche Studierende mit geschriebenen Klausuren? Also jenen Klausuren, die man an der Universität als Übungs- oder Pflichtklausur gefertigt hat, beim Repetitor oder nach einem Fall aus einem Klausurenbuch? Bestenfalls packt man sie in einen Ordner, schlimmstenfalls wirft man sie weg. Das ist sicherlich der falsche Weg.
In einer solchen Klausur stecken viele Stunden Arbeit – 5h für das Anfertigen der Arbeit, vielleicht hat man 3h in einer Klausurbesprechung verbracht. Kommt noch Fahrtzeit hinzu (zum Klausur- und zum Besprechungstermin) ist man schnell bei 10h. Diese zehn Stunden einfach so „in die Tonne zu werfen“ wäre doppelt sinnlos. Anhand von Klausuren lässt sich zielführend und ausgesprochen effektiv lernen. UND: Den höchsten Lernwert erzielen Sie, wenn die selbst verfassten Klausurlösung – auch wenn das schmerzt – Satz für Satz durchgearbeitet und an der Musterklausur gemessen wird.
Klausurensammlung anlegen
Am besten, Sie legen sich – pro Fach – eine Klausurensammlung an. Im Laufe der Zeit werden Sie so eine schöne Sammlung an Material besitzen, jeweils aus Angabe, Musterlösung und Ihrer eigene Lösung. Dieser Sammlung stellen Sie ein Übersichtsblatt mit einer Tabelle voran. In der ersten Spalte vergeben Sie eine laufende Nummer für Querverweise. In der zweiten Spalte notieren Sie sich das zentralen Thema bzw. die zentralen Themen der Klausur in zunehmender Kleinteiligkeit (z.B. „Verfassungsrecht – Staatsorganisationsrecht – Abstrakte Normenkontrolle“). In den nächsten beiden Spalten notieren Sie sich, was Sie bereits gut bewältigt haben – und wo Sie sich verbessern möchten. Je konkreter Sie das fassen können, um so besser (z.B. „Prüfschema Verfassungsbeschwerde“). In die letzte Spalte – das ist die eigentlich schönste – kommen Querverweise zu anderen Klausuren, in denen das gleiche oder ähnliche Probleme abgefragt wurden.
Vor die einzelne Klausur kommt jetzt noch ein Überblick mit einer Gliederung, die Sie selbst anhand der Musterlösung erstellen.
Wozu das Ganze?
- So bekommen Sie einen Überblick, in welchen Bereichen Sie bereits eine Klausur geschrieben haben – und wo Ihnen vielleicht die Klausurpraxis fehlt. Nur wenn man dieses Wissen hat, kann man das eigene Übungsprogramm sinnvoll ergänzen. Sie werden feststellen: Es macht fast Spaß, das Übersichtsblatt im Laufe der Zeit immer weiter zu vervollständigen. Aus den Spalten zwei und drei Ihrer Tabelle können Sie konkretes Feedback für sich selbst gewinnen. Sie sehen, was „sitzt“ und was noch geübt werden muss. Notieren Sie sich in diese Spalten nicht nur, was an materiellen Wissen vorhanden oder nicht vorhanden ist – sondern auch sonstige Korrekturhinweise aus der Klausur (etwa: „Gutachtenstil einhalten“).
- Gleichzeitig stellen Sie auch fest, dass der jeweilige Bereich, den Sie beherrschen müssen, überschaubarer wird. Gerade am Anfang erscheint Jura wie ein endloser Ozean, in dem immer wieder neue Probleme auftauchen und man irgendwie nie festen Boden unter den Füßen erhält. Mit den Klausuren schaffen Sie sich immer größer werdende Inseln des Wissens („Im Verfassungsrecht beherrsche ich nun die Verfassungsbeschwerde, die abstrakte und die konkrete Normenkontrolle und den Organstreit.“).
- Parallel werden Sie sehen: auch Klausurersteller wollen und können das Rad nicht neu erfinden. Nach einer Weile wird offensichtlich: Es tauchen immer wieder die gleichen Probleme in anderem Gewand auf. Daher ist die vierte Spalte mit den Querverweisen so zentral. Hier können Sie sich Verbindungsstege zwischen den „Wissensinseln“ legen. Je mehr Planken, um so besser kommen Sie trockenen Fußes von Insel zu Insel. Wichtig ist dabei, dass Sie sich hier die Klausuren „verschiedener Anbieter“ vernetzen. Manche(r) neigt allzu sehr dazu, sich auf einen bestimmten Repetitor zu verlassen, dabei ist es wichtig, sich an verschiedene Fallformulierungen zu gewöhnen.
- Wenn Sie ein bestimmtes Thema wiederholen möchten (z.B. den Organstreit), dann ziehen Sie die Klausurensammlung heran. Nach einer kurzen theoretischen Wiederholung mit dem Lehrbuch schauen Sie sich dann ganz gezielt an, wie das Thema in Klausuren verpackt und abgefragt wird (und Sie werden erneut feststellen: Klausurersteller erfinden nicht das Rad neu… siehe oben!) und wie Sie damit umgegangen sind.
- Das Erstellen und die Pflege Ihrer Sammlung bringt Ihnen auf lange Sicht einen riesigen Lerngewinn. Sie sind gezwungen, sich immer wieder mit Gelerntem und Geschriebenem, mit eigenen Fehlern und fremden Erwartungen im Detail auseinander zu setzen. Das Befassen mit der eigenen Leistung ist die EINZIGE Möglichkeit, den Erwartungshorizont der Klausurersteller zu erfahren. Durch das Gliedern der bereits geschriebenen Klausuren (etwas, was man als durchschnittlicher Student, als durchschnittliche Studentin vermutlich eh viel zu selten und zu ungern macht) für das Vorblatt bekommt man noch einmal mehr Routine und Überblick. Theoretisches Wissen wird mit praktischer Anwendung verknüpft.
- Sie werden mit der Zeit merken, dass das erforderliche Wissen tatsächlich nur die halbe Miete ist. Ausdruck, Formulierung, das schriftliche Prüfen, die Problemherausarbeitung – also das zu Papier bringen – sind genauso wichtig für den Klausurerfolg sind. Nur: Dieses lernen Sie nicht durchs Schreiben allein, sondern indem Sie sich mit Ihren geschriebenen Lösungsversuchen befassen. Sie werden merken: Je mehr Zeit vergeht und je mehr Sie von der Klausurangabe vergessen haben, desto komischer muten oft die eigenen Ausführungen an. Mit einem gewissen Abstand kann die eigene Ausdrucksfähigkeit und sprachliche Präzision beim juristischen Ausdruck aber problemlos verbessert werden.
- Schlussendlich gilt: Sie schaffen sich auf diese Art und Weise selbst schnell psychologischen Halt. Sie sehen den Lernerfolg im wahrsten Sinne des Wortes wachsen. Sie bekommen die Stoffmenge in den Griff. Sie wissen, wie Probleme in Klausuren verpackte werden. Das alles gibt das unbezahlbare Gefühl für die Klausur: „Untergehen kann ich gar nicht. Ich werde mindestens (!) trockenen Fußes auf die andere Seite gelangen.“ Mit einem solchen Mindset kann nichts schief gehen!
Die Autor(inn)en sind seit vielen Jahre in der Referendarsausbildung tätig und Autor(inn)en zahlreicher juristischer Standardwerke. Von Dallmayer/Glossner stammt „Jura – erfolgreich studieren“, von Dallmayer „Zivilrechtliche Musterklausuren“ und „Die Station in Zivilsachen“. Dallmayer/Glossner/Haumer/Krätzschel haben gemeinsam „Die mündliche Prüfung zur Zweiten Juristischen Staatsprüfung“ verfasst. Alle Bücher sind im Verlag C. H. Beck erschienen.
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