Strafbarkeitsrisiken durch Forderung nach Arzneimittelflohmärkten in der Krise?

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“Im Falle des Auftretens von Strafbarkeitsrisiken und Nebenwirkungen durch die Forderung nach Arzneimittelflohmärkten in der Lieferketten- und Produktionskrise fragen Sie die Staatsanwaltschaft oder Verteidiger:innen!” Könnte es nach der jüngsten Äußerung in internen Gremien der Bundesärztekammer geheißen haben.

Lässt man eine Äußerung von vor Weihnachten 2022 nochmal Revue passieren, fragt man sich unwillkürlich, ob eine derartige dramatische Lage auf dem Arzneimittelmarkt eine öffentliche Forderung nach Flohmärkten mit Medikamenten rechtfertigt oder rechtlich ein Risiko für den sich Äußernden birgt.

Historischer Arzneimittelmangel

Deutschland befindet sich zum Jahreswechsel weiter in einer historischen Arzneimittelmangellage – insbesondere bei Fiebersäften, Blutdrucksenkern und Schmerzmitteln sieht es düster aus. Bestünde jene Lage nicht und wäre die Äußerung an die Öffentlichkeit gelangt, hätte die Forderung des Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK) sicherlich einige lachende Gesichter nach sich gezogen, so gab es im Netz nur Häme (HNA). Der Zeitpunkt, zu dem die Aussage getätigt wurde, ist wichtig, da hiervon seine rechtliche Wertung abhängen kann. Kurios ist die Situation deshalb, weil der Chef des höchsten Ärztegremiums nur Gutes im Sinne zu haben schien, die Konsequenzen jedoch möglicherweise nicht richtig gewichtet wurden. Es ließe sich sagen, er wollte eine Mangellage mindern bzw. lindern, indem auf in der Gesellschaft vorhandene Arzneimittelbestände zurückgegriffen wird, um die Kinder, die vor allem „fiebersenkende Säfte“ brauchen, zu schützen.

Jedoch handelt es sich bei einem Arzneimittel um eine „Ware ganz besonderer Art“ (OLG Köln, Prütting/Prütting: 2018). Eine Flohmarktidee mit Arzneimitteln lässt sich somit nicht einfach so leicht in den Raum stellen, wie z.B. die Betroffenen sollten sich notfalls mit abgelaufenen Kaugummis aushelfen, die vielleicht fad schmecken, bei denen es jedoch nicht maßgeblich auf die heilende Wirkung ankommt oder schädliche Nebenfolgen auftreten können (NDR). Betrachtet man die Äußerung aus strafrechtlicher Sicht, lässt sich Folgendes erwägen:

Arzneimittelregulierung

Arzneimittel werden durch das seit 1961 existente und zahlreiche Male an EU-Gesetzgebung angepasste Arzneimittelgesetz reguliert. Kern dieses Gesetzes ist auch das jedem Juristen zumindest unter dem Begriff „Nebenstrafrecht“ bekannte Strafrecht in den §§ 95 AMG ff., welches in speziellen Fällen lex specialis gegenüber Kernstrafrechtsvorschriften (StGB) sein kann.

Die Herstellung von Arzneimitteln wird ebenso streng reguliert, wie deren Inverkehrbringen oder Handel mit diesen Produkten. Der Staat hat nach der Contergan-Katastrophe im letzten Jahrhundert fundamentale Sicherheitsgesetzgebung betrieben, um die Gefahren durch potentiell schädliche oder täuschende Arzneimittel bis auf ein erträgliches Risiko zu mindern (Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtstaat, S. 1 ff.).

Fragen lässt sich, ob sich der Chef der BÄK durch seine Forderung der Anstiftung zum Inverkehrbringen von irreführenden, täuschenden Arzneimitteln, gem. §§ 8 Abs. 2 i.V. m. 95 Abs. 1 Nr. 3a, 26 StGB oder zur Anstiftung zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln deren Verfalldatum abgelaufen ist, § 8 Abs. 1 Nr. 2, 96 Nr. 3 AMG, 26 StGB strafbar gemacht haben könnte. Die Verbote in § 8 AMG beziehen sich auf das Fälschen und das Inverkehrbringen abgelaufener Arzneien:

„(1) Es ist verboten, Arzneimittel oder Wirkstoffe herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die […] 2. mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung versehen sind. […]

(3) Es ist verboten, Arzneimittel, deren Verfalldatum abgelaufen ist, in den Verkehr zu bringen.“

Die Bayerische Landesapothekerkammer ist kritisch und führte aus, dass “Verfalldaten auf Arzneimittelpackungen weit mehr als eine Empfehlung [sind]. Das unterscheidet sie vom Mindesthaltbarkeitsdatum auf Lebensmitteln.” (Lamour, BR 24)

Anstiftung zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln, die…

Als Anstifter:in macht sich strafbar, wer einen anderen vorsätzlich zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt. Voraussetzung wäre das Vorliegen einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat. Zudem gilt: „Vorsatz des Anstifters setzt voraus, dass der Anstifter die vorsätzliche Begehung der Haupttat durch den Haupttäter und das Hervorrufen des Tatentschlusses des Haupttäters durch ihn selbst (sog. doppelter Anstiftervorsatz) zumindest für möglich hält (kognitives Element) und billigend in Kauf nimmt (voluntatives Element). Anstifter kann auch sein, wer kein ideelles oder materielles Interesse am Taterfolg hat. Auf seine Motivation kommt es grundsätzlich nicht an.“ (Becker, HRRS 2021 Nr. 799).

Es wird in den allermeisten Fällen bereits an der relevanten Haupttat – oder ihrem Nachweis fehlen. Problematisch ist darüber hinaus die Anforderung des Bestimmens im Rahmen des § 26 StGB. Bestimmen meint das “Hervorrufen des Tatentschlusses”. Dieses würde scheitern, wenn die Eltern in der Nachbarschaft schon fest dazu entschlossen waren, sich auf „eigene Faust“ (z.B. aus Nächstenliebe oder echter Nachbarschafshilfe) mit abgelaufenen Arzneimitteln zu helfen und diese auf einem flohmarktähnlichen Stand anzubieten, denn dann stellt sich die Frage, ob ein sog. omnimodo facturus, also ein bereits zur Tat fest Entschlossener, vorliegt.

Zudem ist schließlich der Adressatenkreis der Äußerung für eine Anstiftung zum Inverkehrbringen irreführender Arzneimittel gem. §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 i.V. m. 95 Abs. 1 Nr. 3a, § 96 Nr. 3, 97 Abs. 2 Nr. 1 AMG, 26 StGB zu unbestimmt, denn die Anstiftung erfordert nicht nur eine hinreichend konkretisierte Tat, sondern auch einen klaren Kreis an angesprochenen Personen. Hier wurde jedoch die Bevölkerung angesprochen, wobei es an einer solchen Konkretisierung fehlt.

Außerdem könnte die Äußerung eine bußgeldbewehrte Handlung gem. §§ 8 Abs. 3 i.V.m. 97 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 AMG, 14 Abs. 2 OWiG darstellen. Dann würde die sich äußerndende Person als Täter:in sanktioniert, da es für Ordnungswidrigkeiten keine Teilnahme an der Tat gibt. Zuständig wäre dann die örtliche Verwaltungsbehörde gem. §§ 36,  47 Abs. 1 OwiG (Regierungspräsidien und Bezirksregierungen). Derzeit ist nicht bekannt, ob Ermittlungen aufgenommen wurden.

Strafbarkeit nach Kernstrafrecht

Im Raum stand kurz nach den allerersten Presseäußerungen der Verdacht der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten gem. § 111 StGB, denn wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter (§ 26) bestraft.

Öffentlich meint die Verbreitung der Äußerung an einen unbestimmten Personenkreis. Die Äußerung erfolgte gerichtet an die Bevölkerung und wurde über das Internet und außerdem über das Radio verbreitet.

Auffordern meint eine ausdrückliche oder konkludente Kundgabe des Willens gerichtet an die Motivation eines unbestimmten Adressatenkreises, von dem der oder die Auffordernde ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangt (BGHSt 32, 310 (311-12)). Es stellt sich die Frage, ob bereits keine Aufforderung i.S.d. Norm vorliegt, da nur eine Betätigung des Kommunikationsgrundrechts gem. Art. 5 GG gegeben ist. Wäre das der Fall, wäre auf den Hintergrund und die politische Bedeutung der Äußerung abzustellen und ihre Bedeutung für den öffentlichen Diskurs zu berücksichtigen, was tatbestandsausschließend wirken würde. Die Äußerung wurde in einer äußerst angespannten Lage auf dem Pharmamarkt und einer politischen Grundstimmung zum Umdenken der Versorgung mit Arzneimitteln nach fast drei Jahren Pandemiezustand getätigt, um auf die Ernsthaftigkeit der Lage (Arzneimittelproduktion und Lieferkettenprobleme) hinzuweisen, womit sie grds. vom Schutzbereich gedeckt ist. Die Äußerung forderte jedoch auch ausdrücklich alle Personen, sei es mit abgelaufenen Arzneimitteln oder funktionstüchtigen, nicht aufgebrauchten Blistern, Säften, Packungen etc. auf, jene abzugeben. Dies soll in der Nachbarschaft flohmarktähnlich, wie eine Art „Schaulaufen“, bzw. wie ein Angebot-und-Nachfrage-Szenario umgesetzt werden. Betont wurde ein solidarisches Abgeben und Teilen von Arzneien, weshalb sich nur bei strenger Betrachtung der sofortige Anschein strafbaren Inhalts bestätigten ließe.

Zudem müsste, wenn eine Aufforderung angenommen würde, die Tat rechtswidrig sein. Rechtswidrig ist eine Tat gem. § 11 Nr. 5 StGB, wenn sie gegen ein strafbewehrtes Verbot verstößt und somit sanktionierbar ist. Hierunter können auch die sanktionierbaren Verstöße gegen § 8 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 3 AMG fallen, die explizit das Inverkehrbringen umfassen. Das Inverkehrbringen wird in § 4 Abs. 17 AMG legaldefiniert als „das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere.“ Hierunter können zahlreiche Handlungen, die auf Flohmärkten üblich sind, fallen – insbesondere die Abgabe an einen „Kunden- und Interessiertenkreis“. Es ließe sich überlegen, ob die Tat deshalb nicht rechtswidrig ist, da ein Notstand in Bezug auf die Versorgung mit Arzneimitteln vorliegt, wobei zwar die Erforderlichkeit und Geeignetheit aufgrund der Mangellage bejaht werden könnten, jedoch zu bedenken wäre, dass ein derartiges Verhalten die Selbstbeschaffung und den „Kleinsthandel“ mit Arzneimitteln befeuert und die staatliche Arzneimittelversorgung „aushebelte“, weshalb die Angemessenheit zu Recht verneint werden könnte. Es ist zuvorderst Aufgabe des Staates, in dieser Mangellage schnellstmöglich steuernd einzugreifen, wozu der Staat auch legislativ ermächtigt und ressourcenmäßig ausgestattet ist.

Mithin wurde nach einer strengen Auffassung öffentlich zu einer rechtswidrigen Tat aufgefordert. Es wäre jedoch nach einer weniger strengen Auffassung ggf. auch vertretbar, das Auffordern zu verneinen, da eine bloße Befürwortung zu der Begehung dieser Handlungen vorlag, jedoch war die Rhetorik der Äußerung sehr eindeutig, weswegen mehr für die erste Alternative spricht.

Eventualvorsatz

Zudem erforderte  § 111 StGB das Vorliegen eines Eventualvorsatzes in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale. Das Inverkehrbringen abgelaufener Arzneimittel müsste zumindest billigend in Kauf genommen werde. Die Äußerung wurde getätigt, um gerade jenes Verhalten in der Bevölkerung zu erreichen. Ein Verbotsirrtum gem. § 17 StGB ist unwahrscheinlich, da die BKÄ eine sehr große Rechtsabteilung hat, die Äußerung ihres Präsidenten – auch in Zeiten der beschleunigten Kommunikation durch soziale Medien ­ kontrollieren sollte. Dagegen spricht jedoch in dubio pro reo, dass auf Nachfrage von Journalisten ein Sprecher der BÄK die Äußerung seines Chefs präzisierte: „Selbstverständlich ist damit kein ‚Flohmarkt‘ im wörtlichen Sinne gemeint, sondern ein Akt der Solidarität der Gesunden mit ihren erkrankten Mitmenschen. Solche Formen der Nachbarschaftshilfe sollten in schwierigen Zeiten eine Selbstverständlichkeit sein.“ (Sucker-Sket, DAZ-online). Eine Rechtfertigung aufgrund der extremen Lage über § 34 StGB wäre grds. auch erneut anzudenken. Schlussendlich kann eine Strafbarkeit an mehreren Punkten scheitern – frühestmöglich ließe sich eine Tatbestandsmäßigkeit bei Anerkennung der Weite des Schutzbereichs des Art. 5 GG verneinen.

Fälschungsgefahren auf Flohmärkten

Eine Mangellage hat zudem die Folge, dass apothekenpflichtige und technisch durch Prävention vor Fälschung geschützte Arzneimittel Gegenstand von Plagiaten und echten Fälschungen i.S.d. § 8 Abs. 2 AMG werden könnten. Mangellagen werden in der organisierten Kriminalität häufig ausgenutzt. Damit könnte der Fälschungsschutz durch das nationale Verifikationssystem von Arzneimitteln (securpharm ©) faktisch bedroht werden und es könnte eine neue Lücke für das Eindringen von gefälschten Arzneimitteln in die legalen Lieferketten entstehen. Zudem können sich auf größeren, unübersichtlicheren Flohmärkten in Großstädten unseriöse „Nachbarschaftshändler“ an ihrem „Wundergebräu“ versuchen, um sich eine neue Absatzquelle in finanziellen Notzeiten zu verschaffen. Die Forderung ist also ungeschickt, da sie staatliche Versorgung mit Arzneimitteln unnötig kleinredet anstatt konstruktive, ungefährlichere und vor allem rechtssichere Wege vorzuschlagen.

Fazit

Apotheken, dem Großhandel oder pharmazeutischen Unternehmern können empfindliche verwaltungsrechtliche Konsequenzen drohen, wie der Widerruf der Betriebserlaubnis, Versagungen, Untersagungsverfügungen etc., wenn sie verfallene Arzneimittel abgeben.

Die Forderung war mithin unsicherheitsstiftend und nicht wohl überdacht, was jedoch für Notforderungen wohl üblich ist und als typisch beschrieben werden kann. Jedoch sollten die Rechtsabteilungen der BÄK zukünftig ggf. derartige Äußerungen, wenn sie davon Kenntnis haben, abmildern oder klarstellen, um unnötige Verunsicherung der Bevölkerung zu vermeiden. So hieß es auch richtigerweise aus dem Gesundheitsministerium: „Der Vorschlag von privaten Arzneimittelflohmärkten klingt zunächst charmant und pragmatisch. Allerdings sollte aus fachlicher Sicht davon Abstand genommen werden.“ (NDR) Es sollte stattdessen frühzeitig politisch gegengesteuert werden. In derartigen Notsituationen gibt es außerdem Erlass- und Verordnungsmöglichkeiten, um kurzfristig einzuschreiten. Hoffen wir auf ein besseres Jahr 2023!

Hier einige Entscheidungen zum Nachlesen:

1. VG Köln, Beschl. v. 20.09.2018, Az. 7 L 1895/18 (Widerruf der Apothekenbetriebserlaubnis wegen eines Fehlens der erforderlichen Zuverlässigkeit: „qualitativ mangelhaften Arzneimitteln (verfallene ungeprüfte Ausgangsstoffe)“)

2. VG Köln, Urteil vom 30.06.2015, Az. 7 K 5584/13 (Haltbarkeit eines Arzneimittels vor Anbruch)

3. VG Münster, Urteil vom 05.12.2018, Az. 19 K 1787/16.T (Bußgeld bei verfallenen Tierarzneimitteln)


Fundstellen:

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